Essen. Das erste Aus in einer Vorrunde ist für den Deutschen Fußball-Bund die größte Blamage in der WM-Geschichte seit 1930. Ein Kommentar.
Der deutsche Fußball hat es nicht besser verdient: 0:2 gegen Südkorea, Tabellenletzter in der WM-Gruppe F, nur ein Sieg mit 2:4 Toren – das erste Aus in einer WM-Vorrunde ist die größte Blamage für den Deutschen Fußball-Bund (DFB) in der WM-Geschichte seit 1930. Es ist kein Trost, dass es den Titelverteidigern Spanien 2014 und Italien 2010 nicht anders erging. Das Aus von Kasan ist selbst verschuldet: Niemals kamen die deutschen Nationalspieler während des Turniers aus ihrer Komfortzone.
Das Last-Minute-Tor zum 2:1 gegen Schweden ein paar Tage hat nur kaschiert, was alle anderen rund um die Nationalmannschaft schon seit Wochen spüren. Die Mannschaft hatte nicht mehr das Zeug zu großen Taten. Schleppend trabten die Nationalspieler der Blamage entgegen. Niemand will den Spielern unterstellen, dass sie die Pleite gewollt haben. Sie haben aber auch nicht den Eindruck vermittelt, als ob sie sich mit aller Kraft dagegen stemmen würden. Die Frage ist: Warum konnten sie nicht anders gegen Südkorea? Man muss es so sagen: Von Anfang an, schon vor Turnierbeginn, steckte der Wurm drin.
An Warnsignalen hat es nicht gemangelt. Die Affäre um die Erdogan-Fotos von Mesut Özil und Ilkay Gündogan, die schwache Vorbereitung mit dem glücklichen Sieg gegen Saudi-Arabien und der Pleite gegen Österreich, die Konter-Anfälligkeit im ersten WM-Spiel gegen Mexiko: Deutschland war ständig mit Unruhe beschäftigt und weniger mit der Frage, wo das Problem liegt. Das Problem war einfach zu orten: Die Mannschaft fühlte sich besser, als sie in Wirklichkeit war. Die Medienschelte von Toni Kroos brachte es auf den Punkt: Zu Selbstkritik waren die Helden von 2014 nicht fähig.
Bundestrainer Joachim Löw war gezwungen, von seiner großen Linie seit 2006 abzuweichen und seine WM-Stammmannschaft rekordverdächtig durchzuwechseln. 20 Spieler aus dem WM-Kader hat er eingesetzt: Das macht ein Trainer nur, wenn er von seiner Elf nicht überzeugt ist. Löw wird es nicht zugeben: Aber die Mannschaft hat ihn im Stich gelassen. Acht Weltmeistern gab er die Chance, die erste Titelverteidigung eines Weltmeister seit 1962 zu schaffen. Am Ende waren es genau diese Weltmeister, die keine WM-Form erreichten und ihr Leistungspotenzial nicht abriefen.
Um diese Weltmeister beim Namen zu nennen: Sami Khedira, Mesut Özil, Thomas Müller, Toni Kroos – ihr Formtief konnten die Neulinge um Timo Werner und Leon Goretzka nicht kompensieren. Es bleibt dabei: Der Sieger vom Confed-Cup scheitert im Jahr darauf vorzeitig. Im Moment mag die Nation darüber traurig sein. Aber ganz ehrlich: Instinktiv haben so viele Fußballfans, hört man in die Sozialen Netzwerke hin, das Unheil kommen sehen. Und vielleicht steckt auch etwas Gutes darin: Man muss sich jetzt nicht von Runde zu Runde quälen.
Dem ersten WM-Aus seit DFB-Gründung 1900 wohnt ein neuer Anfang inne. Löw und einige Nationalspieler, so ist nicht auszuschließen, werden ihren Rücktritt erwägen. Vielleicht nicht sofort, aber in den nächsten Tagen, wenn Ruhe einkehrt. Den Stab sollte man jetzt nicht über die Weltmeister von 2014 brechen. Jahrelang haben sie uns berauschenden Fußball geboten. Die Höhepunkte: das 4:1 über England und das 4:0 über Argentinien vor acht Jahren, das 7:1 über Brasilien und das 1:0 über Argentinien vor vier Jahren. Das wird man keinem vergessen.