Sotschi. Deutschland ist bei der WM 2018 wieder mittendrin: Durch ein Tor von Toni Kroos in der 95. Minute besiegte das DFB-Team Schweden 2:1.
Wie viel da auf dem Spiel stand, war Joachim Löw anzusehen, als die Partie in die entscheidende Phase einbog. Ohne Halt zu finden, malmte der Bundestrainer vor seiner Trainerbank hin und her, stützte sich auf die Knie, ruderte mit den Armen, warf Wasserflaschen wütend weg – und wäre um ein Haar seinen Spielern an den Kragen gegangen, als sie sie nicht spielten, wie sie spielen sollten. Deutschland, der Weltmeister, brauchte einen Sieg, um die Chance zu wahren, aus eigener Kraft noch ins Achtelfinale dieser Weltmeisterschaft einzuziehen. Und er wartete bis zur letzten Sekunde, für eine irrwitzige Pointe zu sorgen. Toni Kroos schoss einen Freistoß aus fast unmöglicher Position zum 2:1 (0:1)-Sieg gegen Schweden ins Tor. In der fünften Minute der Nachspielzeit. In Unterzahl. Nach Rückstand. Ein Krimi hievt den Titelverteidiger zurück in dieses Turnier, aus dem er zwischenzeitlich schon fast ausgeschieden schien. Und Kroos hilft dabei. Der, der lange Zeit aussah wie die traurige Figur des Abends.
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Der hatte angefangen mit Erstaunlichkeiten. Bundestrainer Joachim Löw hatte zu für ihn vollkommen ungewöhnliche Maßnahmen gegriffen. Als Konsequenz aus dem völlig missratenen Auftaktspiel gegen Mexiko (0:1) tat er etwas, das er noch nie getan hatte: ein WM-Spiel ohne Mesut Özil beginnen. Und weil auch noch der langjährige Weggefährte Sami Khedira seinen Platz räumen musste, geriet diese Aufstellung zu einem mutigen Statement. Allein: es half nicht entscheidend.
DFB-Team begann gegen Schweden vielversprechend
Dabei geriet der Beginn vielversprechend. Nicht einmal zwei Minuten waren gespielt, als Julian Draxler eine prächtige Chance besaß. Timo Werner hatte ihn per Kopf freigespielt, doch der Profi von Paris Saint-Germain blieb mit seinem Schuss an einem schwedischen Abwehrbein hängen. Jonas Hector, planmäßig in die Mannschaft gerückt für Marvin Plattenhardt, hatte Sekunden danach eine gute Schusschance. Erneut Draxler war es, der einen Ball knapp am Tor vorbei spitzelte (8.). Und als Joshua Kimmich und der für Özil in die Mannschaft gerückte Marco Reus einen hübschen Vorstoß inszenierten und Victor Lindelof in höchster Not vor Werner retten musste, da schien es nur eine Frage der Zeit zu sein, ehe die deutsche Führung für Erleichterung sorgt.
Doch plötzlich fuhr dieser Mannschaft ein Schreck in die Knochen. Antonio Rüdiger verdaddelte im Mittelfeld den Ball – und einen Pass später stürmte der frühere Hamburger Marcus Berg einigermaßen ungehindert auf das deutsche Tor zu. Jerome Boateng eilte hinzu, hielt ein bisschen, trat ein wenig – aber Schiedsrichter Szymon Marciniak sah davon ab, auf Elfmeter zu entscheiden (13.).
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Doch das sich gerade Selbstbewusstsein des Weltmeisters wich einem Gefühl der Verwundbarkeit.
Diese zeigte sich nicht nur sportlich, sondern auch wahrhaftig. Sebastian Rudy grätschte einem Fehlpass von Toni Kroos hinterher – und bekam den Stollenschuh von Ola Toivonen ins Gesicht. Der WM-Debütant, der für Khedira spielte, blutete stark. Minutenlang musste er an der Seitenlinie behandelt werden. Hektik. Banges Warten. Doch der Münchner musste ausgewechselt werden. Für ihn kam nicht Khedira, auch nicht Leon Goretzka, sondern Ilkay Gündogan. Sekunden später: der nächste Wirkungstreffer. Fehlpass Kroos, Flanke – und dann schoss Ola Toivonen vermutlich das Tor seines Lebens. Geschickt nahm er den Ball mit und lupfte ihn über Neuer ins Tor (32.). Deutschland, der Weltmeister, vor dem Aus.
Gündogans abgefälschter Schuss hätte beinahe den Ausgleich gebracht (39.). Doch Löws Team wirkte geschockt, und konnte von Glück sagen, dass Schweden einen Konter nicht gut zu Ende spielte (44.) und dass Neuer einen Kopfball von Berg in voller Streckung parierte (45.). Wütend entschwand Löw in die Kabine – und fand die richtigen Worte und Maßnahmen.
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Nur drei Minuten dauerte es nach der Pause bis zum Ausgleich. Werner leitete ihn mit einer flachen Hereingabe ein, der eingewechselte Mario Gomez bekam noch seinen Hacken an den Ball und Reus bugsierte ihn aus sechs Metern mit dem Knie ins Tor (48.). Hoffnung.
Erst traf Brandt den Pfosten - und dann kam Kroos
Deutschland drängte. Kroos-Schuss abgefälscht daneben (49.), Müller-Kopfball daneben (51.), Hector-Schuss in die Hände von Torwart Robin Olsen (56.). Draußen ruderte Löw mit den Armen, schmiss Wasserflaschen, wütete und pöbelte gar. Kimmichs flache Hereingabe wollte Reus mit der Hacke vollenden, doch er verpasste den Ball knapp (61.). Es begann die Phase, in der Löw wütete. Werner kam frei zum Schuss, doch sein Ball ging über das Tor (81.). Eine Minute später flog Jerome Boateng mit einer Gelb-Roten Karte vom Platz. Doch selbst in Unterzahl ging noch was. Einen Gomez-Kopfball parierte der Torwart, ein Distanzschuss von Julian Brandt klatschte an den Pfosten. Dann kam Kroos – und traf.