Sotschi . Noch nie hat die Nationalelf unter Löw weniger Tore erzielt als in den vergangenen vier Spielen. Nun muss Löw den Angriff beleben.
In der Schaltzentrale der deutschen Nationalelf gibt es eine Taktiktafel mit Magneten. Sie steht in einem engen Raum im ersten Stock des Mannschaftshotels in Sotschi, der mit dem Schild „Scouting und Teammeeting“ gekennzeichnet ist. Auf der Magnettafel kann man die einzelnen Spieler in Positionen verschieben, so wie das Generationen von Trainern getan haben. Und das ist kurios. Der DFB ist heute ein durch und durch technisierter Verband.
Dem Stürmer Timo Werner zum Beispiel werden einzelne Spielszenen für die Analyse auf sein Smartphones gesendet. Er kann auf seinem Hotelbett liegen und in einer teaminternen App untersuchen, ob der Gegner bei Ecke eher im Raum oder gegen den Mann verteidigt. Es ist nicht mal völlig ausgeschlossen, dass Werner dort auch erfährt, was die schwedischen Verteidiger gern frühstücken. Aber wenn es drauf ankommt, dann tut es eben immer noch die gute alte Taktiktafel.
Es braucht Ideen für mehr Tore
In der Nationalelf-Schaltzentrale im ersten Stock stehen auch Laptops. DFB-Analysten sitzen davor und tragen eifrig Erkenntnisse darüber zusammen, wie Schweden normalerweise spielt. Die Mannschaft von Bundestrainer Joachim Löw trifft am Sonnabend in der zweiten Gruppenpartie auf die Skandinavier (20 Uhr/ARD) und muss gewinnen, wenn man nicht Gefahr laufen will, auszuscheiden. Dafür braucht es Informationen über den Gegner, aber vor allem braucht es Ideen, wie man endlich wieder mehr Tore erzielen kann.
Nur drei Treffer gelangen Löws Elf in den vergangenen vier Partien (0:1 gegen Brasilien, 1:2 gegen Österreich, 2:1 gegen Saudi-Arabien und 0:1 gegen Mexiko). Nie in der zwölf Jahre langen Amtszeit des 58-Jährigen gab es eine schlechte Ausbeute innerhalb von vier aufeinander folgenden Spielen. Ein Sturmtief ist über Deutschland aufgezogen, und das vor dem „Endspiel“ gegen Schweden, einer Elf, die vor allem eines kann: verteidigen.
Die möglichen DFB-Aufstellungen gegen Schweden
1. Marco Reus könnte für Julian Draxler auf der linken Offensivseite in die Start-Elf rücken. Das wäre für die Platzhirsche die schonendste Aufstellung. Bundestrainer Löw würde zwar einen formstarken Angreifer rausnehmen, aber eben keinen, bei dem es gleich ein Politikum wäre wie bei Özil oder Müller. Reus würde über die linke Seite immer wieder in die Spitze ziehen, wie er das auch bei Borussia Dortmund gern tut. Es wäre das klassische 4-2-3-1-System des deutschen Teams. Motivation: Wiedergutmachung des Verlierer-Teams: Neuer - Kimmich, Boateng, Hummels, Hector - Khedira, Kroos - Müller, Özil, Reus - Werner.
2. Mesut Özil könnte Marco Reus weichen. Das wäre ein Politikum: Özil stand in allen Turnierspielen unter Löw in der Start-Elf. Dass der Bundestrainer ihn raus nimmt, erscheint daher unwahrscheinlich – zumal Özil gegen Mexiko kein Totalausfall war. Aber sollte sich Löw doch dafür entscheiden, wäre ein 4-4-2-System denkbar, in dem Reus die zweite, hängende Spitze neben Werner bildet (und Platz für Goretzka wäre). Dort spielte Reus im Test gegen Saudi-Arabien (2:1) bis zur Auswechslung. Die Führung von Werner bereitete er so vor: Neuer - Kimmich, Boateng, Hummels, Hector - Goretzka, Kroos - Müller, Draxler - Reus, Werner.
3. Dreier- statt Viererkette in der Abwehr. „Eine Option, weil wir das spielen können“, so Verteidiger Mats Hummels. Damit würde mehr Stabilität im Zentrum entstehen. Aber wenn die beiden Außenverteidiger aufrücken, würde keine zu defensive Aufstellung entstehen. Für Reus bedeutet das: Position im linken Halbraum – neben Özil und Müller, ganz vorn Werner. Kroos wäre der Passgeber vor der Abwehr. Beim Confed-Cup vor einem Jahr war Löw mit dieser Taktik erfolgreich. Die bietet sich gegen Gegner mit zwei Stürmern an – wie gegen Schweden: Neuer - Boateng, Hummels, Rüdiger - Kimmich, Kroos, Hector - Müller, Özil, Reus - Werner. (dlb/JM)
Wie man im Angriff jetzt spielen muss, wurde Miroslav Klose am Donnerstag gefragt. Klose hält die Rekordmarke von 16 WM-Toren. Er könnte also wissen, wie das geht. Und er ist bei diesem Turnier als deutscher Stürmertrainer engagiert. „Jedenfalls besser als zuletzt“, antwortete der 40-Jährige, um einen Einblick zu geben, wie Löw den Angriff wiederbeleben will: „Wenn wir den Gegner analysieren, steht fest: Wir brauchen gegen Schweden die Läufe in die Tiefe. Dafür braucht man auch die Spieler, die die Läufe machen. Und nicht immer nur zum Ball gehen, sondern auch das Diagonalspiel suchen, die Wege machen und damit Löcher für andere freilaufen“, sagte Klose. Spieler wie der schnelle Werner, aber vor allem auch Marco Reus. Ob er den Dortmunder damit meine, wurde Klose gefragt: „Sie sind schon lange dabei, Sie können sich Ihre Meinung bilden“, sagte er. Also ja.
Schweden steht tief, verteidigt stabil
Es braucht gar nicht mal die geballte Fachkompetenz der DFB-Scoutingabteilung, um zu wissen, wie Schweden spielt. In einem 4-4-2-System, tief stehend aus einer sehr stabilen Defensive heraus. In den vergangenen vier Partien hat die Mannschaft von Trainer Janne Andersson nur ein einziges Gegentor kassiert. Im Play-off zur WM gelang es dem viermaligen Weltmeister Italien in zwei Spielen nicht, einen Treffer zu erzielen. Und in der Qualifikation wurde nicht nur die Niederlande hinter sich gelassen, sondern auch das hochgelobte französische Team voller Stars mit 1:2 geschlagen.
Weil Schweden im ersten Gruppenspiel Südkorea bezwungen hat (1:0), würde man schon mit einem 0:0 gegen Deutschland dicht ans Weiterkommen heranrücken. „Das wird ein schweres Spiel“, sagte Klose und deutete an, was jetzt zu tun ist: „Die Schweden stehen sehr kompakt. Da wird es auf die Laufbereitschaft ankommen.“
Reus ist so ein laufstarker Spieler. Gegen Mexiko schwirrten die deutschen Angreifer ohne ihn um den Strafraum herum wie die Fliegen – lästig für die Mittelamerikaner zwar, aber harmlos. Reus soll jetzt zustechen wie eine Biene. Mit seiner Abschlussstärke einerseits und seiner Bereitschaft, ständig in freie Räume zu sprinten. Auf welchem Weg der 29-Jährige in die Startelf findet, dafür gibt es mehrere Varianten. Fakt ist nur, dass Deutschland seine und Werners Tiefenschärfe braucht, um wieder zu Toren zu kommen: „Gegen Mexiko hatten wir zwar ein paar Chancen, trotzdem war das Gefühl da, als wären wir sehr sehr ungefährlich gewesen. Das gilt es abzustellen“, sagte Werner.
Die Alternative im Sturm: Mario Gomez
Es gibt noch einen anderen Stürmer im deutschen Kader: Mario Gomez. Tiefenscharf ist der zwar nicht, aber ein Torjäger. „Mit Mario zusammen wäre immer eine Option. Wir verstehen uns“, sagte Werner. Aber wahrscheinlich ist das nicht. Gomez wird eher der Vorschlaghammer sein, sollte sich die schwedische Mauer zu lange als standfest erweisen.
Stürmertrainer Klose sieht nicht nur die Offensive in der Pflicht, sondern vor allem die Führungsspieler. „Wir haben die Leute, die jetzt liefern müssen und die auch den Charakter haben, vorne wegzugehen“, sagte er. Einer davon heißt Thomas Müller. Auch der weiß ja eigentlich, wie das mit dem Toreschießen geht. Er steht bei zehn WM-Treffern.