Moskau. Jefferson Farfan schoss sein Land zur WM. Überall ist er Publikumsliebling. Auch in Russland: Mit Lokomotive Moskau ist er Meister geworden.
Es gibt so manchen Fußballer, der von sich behaupten kann, schon mal ein Erdbeben ausgelöst zu haben, jedenfalls, wenn der Begriff als Sinnbild für die tiefe emotionale Erschütterung einer großen Fangemeinde betrachtet wird. Aber ein echtes Beben, aufgezeichnet von wissenschaftlichen Messgeräten, von Seismographen? Tatsächlich ist dem Peruaner Jefferson Farfan im vergangenen Herbst dieses unglaubliche Kunststück geglückt. Als der Stürmer während der Playoffs gegen Neuseeland jenes kostbare Tor gelang, das dem kleinen Land seine erste WM-Teilnahme nach 36 Jahren bescherte, meldete das Erdbebeninformationsportal „Sismoalert“ eine Erschütterung in der Hauptstadt Lima, „genau in dem Moment, in dem Peru das Tor gegen Neuseeland schoss“. Das Stadion, die Stadt, das ganze Land waren in diesem magischen Augenblick in einen Zustand wilder Ekstase gestürzt. „Ich habe noch nie eine solche Zuneigung so vieler Menschen zu einer Mannschaft erlebt“, sagte Nationaltrainer Ricardo Gareca, ein Argentinier, danach um Fassung ringend.
Peru beginnt WM-Projekt am Samstagabend
Der Staatschef schenkte seinem Volk einen Feiertag, und die Nachbeben dieses Ausbruchs sind sogar in Moskau zu spüren. Auf den Straßen zwischen Bolschoi-Theater, Kreml und Luschniki-Stadion sind unverhältnismäßig viele Leute mit dem legendären weißen Trikot und der roten Scherpe unterwegs, feiernd, trinkend. Am Samstagabend beginnen sie ihr WM-Prokekt mit einem Spiel gegen Dänemark, das für Farfan eine Art Heimspiel ist. Der ehemalige Schalker, der in Gelsenkirchen zu den Publikumslieblingen zählte, spielt mittlerweile bei Lokomotive Moskau und ist auch dort sofort zum Helden geworden.
Erik Stoffelshaus, der elf Jahre als Teammanager beim Gelsenkirchener Traditionsverein arbeitete, ist heute Sportdirektor bei Lokomotive und hat den mittlerweile 30-Jährigen Angreifer in die russische Hauptstadt gelockt. Umgehend wurde der eher kleine Klub Pokalsieger und in diesem Frühjahr dann sogar russischer Meister. Eine kleine Sensation mit dem Schlüsselspieler Farfan. „Jef hat sehr viele entscheidende Tore geschossen, Siegtreffer, Führungstore, und im entscheidenden Spiel der Saison hat er in der 88. Minute den siegbringenden Angriff eingeleitet“, erzählt Stoffelshaus, der ungefragt darauf hinweist, wie professionell Farfan inzwischen arbeite. Das war nämlich nicht immer so.
Farfan wird „La Foquita“ genannt
Mal verlängerte er Eigenmächtig seinen Urlaub, mal wurde er aus der Nationalmannschaft ausgeschlossen, weil er sich bei einem heimlichen Kasinobesuch erwischen ließ, er war immer ein Freund des Nachtlebens und liebt schnelle Autos. „Jeff wird mir wieder mal erklären warum – und dann erneut kräftig zahlen“, hat sein ehemaliger Trainer Felix Magath nach einer der zahlreichen Farfan-Geschichten einst resigniert gesagt. Als der Angreifer, den sie in Peru liebevoll „La Foquita“ (das Seehündchen) rufen, 2015 nach Abu Dhabi zu Al Jazira wechselte, wurde ihm auf Schalke aber vor allem von Romantikern, von Liebhabern des schönen Spiels nachgetrauert.
Da passt es, dass Farfans bester Kumpel Paulo Guerreiro ist. Der zweite Star der peruanischen Nationalmannschaft war ebenfalls regelmäßig in Affären verwickelt, unvergessen sein Flaschenwurf als Spieler des Hamburger SV nach einem pöbelnden Fan. Und bis vor wenigen Tagen war der Kapitän Perus gesperrt, weil nach einer Partie in Argentinien Spuren von Benzoilecgonin in seinem Organismus nachgewiesen wurden – ein Kokain-Metabolit. Angeblich hatte er versehentlich einen Tee aus Koka-Blättern getrunken, der in Peru tatsächlich zur Alltagskultur zählt.
Aus Protest gegen die kurz vor Turnierstart aufgehobene Sperre hatte Farfan sich nach seinem Erdbebentreffer ein Trikot mit Guerreiros Rückennummer neun reichen lassen und erklärte später: „Dieser Erfolg ist für Paulo, ich hatte ihm versprochen, dass wir es schaffen würden.“ Die beiden sind schon zusammen zur Schule gegangen, nun bilden sie das Angriffsduo einer Mannschaft, die zum Kreis der besonders interessanten Außenseiter zählt. Wobei Farfan nicht mehr dieser rasend schnelle Flügelspieler ist, wie in den Jahren in der Bundesliga. „Er hat nicht mehr das Tempo, agiert aber weitaus intelligenter, spielt häufiger ab, ist mannschaftsdienlicher, strategischer. Man kann sagen, dass er jetzt ein wirklich kompletter Spieler ist“, sagt Stoffelshaus, der den Peruanern gute Chancen einräumt, die Rolle des WM-Exoten zu übernehmen, dem die Sympathien zufliegen. So wie den Isländern bei der letzten EM.