Bochum. In der 11-Freunde-Interviewserie zum Thema "Schmerzmittel" spricht VfL-Spieler Christoph Dabrowski über den Druck bei leistungsbezogenen Verträgen, die Betäubung der Schmerzen und Wetterumschwünge im Kopf.
Christoph Dabrowski, der schwedische Stürmer Henrik Larsson hat mal auf die Frage eines Reporters, was er denkt, wenn er auf den Platz kommt, geantwortet: »Jetzt wird es gleich unheimlich weh tun«. Können Sie das nachvollziehen?
Christoph Dabrowski: Je älter man wird, desto deutlicher spürt man seine Knochen. Wenn noch ein paar Operationen dazu kommen, merkt man das noch intensiver.
Wo tut Ihnen der Fußball am meisten weh?
Dabrowski: Probleme mit Sprunggelenk oder Knie habe ich zum Glück noch nicht, aber ich bin jetzt 30 und es gibt Tage, an denen auch ich meine Knochen morgens beim Aufstehen merke, weil ich nun jahrelang unter Höchstbelastung spiele.
Welches waren die schlimmsten Verletzungen Ihrer Karriere?
Dabrowski: Ich hatte 2003 einen Trümmerbruch im Gesicht. Eine Minute vor Schluss hat mich mein Gegenspieler mit seinem Kopf an meinem getroffen. Es war der Orbitabogen, ein kleiner Knochen unterhalb des Auges, der war gebrochen, dazu das Jochbein und die Kieferhöhle. Leider hat sich das Ganze 2008 nochmal wiederholt, nur auf der linken Seite.
Dieselbe Verletzung nur in der anderen Gesichtshälfte?
Dabrowski: Da war auch die Augenhöhle gebrochen. Dort ist nun auch die Platte zu sehen, die dort eingesetzt wurde, weil ein kleiner Knochen abgebrochen ist. Nach Saisonende wird sie wieder herausgeholt. Am Anfang hatten wir Angst, dass auch der Sehnerv davon beeinträchtigt wird.
Wie lange haben Sie nach den Brüchen im Gesicht pausiert?
Dabrowski: 2003 ist die Verletzung fünf Spiele vor der Sommerpause passiert. Da war die Saison für mich gelaufen. Ich habe also nicht den Druck verspürt, schnellstmöglich zurückzukommen. Neun Wochen nach der Verletzung bin ich ganz normal in die Saisonvorbereitung eingestiegen.
Und wann sind Sie nach dem Unfall 2008 zurück gekommen?
Dabrowski: Ich habe schon nach vier Wochen wieder das erste Spiel gemacht, allerdings mit einem Gesichtsschutz. Ich hatte einfach die Motivation schnellstmöglich wieder auf dem Platz zu stehen. Das ist auch ein psychologisches Ding. Wenn man sich immer einredet »Scheiße, es geht nicht, das dauert zu lange«, dann zieht sich die Verletzungspause auch dementsprechend länger hin.
Können Sie den Schmerz beschreiben?
Dabrowski: Das Schlimmste war am Tag der Verletzung, nach dem Trauma. Ich hatte unheimliche Kopfschmerzen und mir wurde übel. Ich habe mich dann auch mehrmals übergeben, weil ich spürte, dass der Knochen gebrochen ist.
Wie groß ist der Leistungsdruck in der Bundesliga, auch bei noch nicht vollständig ausgeheilten Verletzungen vorzeitig wieder aufzulaufen?
Dabrowski: Groß. Jeder Spieler will seinen Stammplatz behalten und letztlich geht es immer auch um Geld und Verträge. Nicht alle Spieler verdienen genug Geld, wenn sie nicht auf dem Platz stehen. Der Großteil der Spieler hat leistungsbezogene Verträge. Da spielt das Geld natürlich auch eine wichtige Rolle, schnell wieder fit zu sein.
Haben Sie schon mal mit Schmerzmitteln Ihren Einsatz gesichert?
Dabrowski: Das ist gang und gäbe in der Bundesliga. Es gibt Situationen, in denen man sich bewusst entscheidet, auf die Zähne zu beißen und nimmt dann vor dem Spiel Tabletten, um den Schmerz zu unterdrücken. Aber irgendwann wirken die auch nicht mehr.
Wenn man sie zu oft nimmt?
Dabrowski: Ja, genau. Man betäubt den Schmerz, aber die Verletzung wird vielleicht sogar noch schlimmer, weil man dagegen an arbeitet. Und irgendwann ist der Schmerz so schlimm, dass Tabletten nicht mehr helfen.
Bei welcher Art von Verletzung macht die Einnahme von Schmerzmitteln Sinn?
Dabrowski: Ich habe noch nie ein Muskelproblem mit einer Schmerztablette behandelt. Das bringt nichts. Denn es hat keinen Sinn einen Muskel zu betäuben, der nicht 100 Prozent leistungsfähig ist. Bei Bänderverletzungen ist es etwas anders. Man taped den Fuß, betäubt den Fuß und hat das Gefühl, dass man normal laufen kann.
Auf welche Mittel wird dabei zurück gegriffen?
Dabrowski: Es gibt mehrere Möglichkeiten: Es gibt Tabletten, die den Schmerz betäuben, zum Beispiel Voltaren oder Ibuprofen, und es gibt Spritzen mit dem Naturpräparat Traumeel, das ist eine noch stärkere Form der Unterdrückung.
Inwieweit geben die Ärzte einem Spieler das Okay, und wann ist der Spieler selbst die treibende Kraft?
Dabrowski: Ich spreche mit dem Arzt die möglichen Folgen ab und hier in Bochum entscheiden wir Spieler dann selbst, ob wir auflaufen oder nicht.
Heißt das, dass es bei anderen Vereinen anders zugeht?
Dabrowski: Das kann ich mir gut vorstellen, auch wenn ich es noch nicht miterlebt habe. Wenn ein Verein von einem Spieler besonders abhängig ist, kann ich mir sehr gut vorstellen, dass die Verantwortlichen auf den Spieler einreden, so dass dieser unterschwellig das Gefühl bekommt, unter Druck zu sein.
Sind Sie schon mal bewusst gegen Ihren Schmerz angegangen?
Dabrowski: Nach meiner Gesichtsverletzung 2008 stand ich nach vier Wochen wieder auf dem Platz – das war schon sehr früh, denn ein Knochen braucht vier bis sechs Wochen, um auszuheilen. Das war ein Risiko, aber ich habe gespürt, dass ich das mit meinem Kopf vereinbaren kann. Ich habe keinerlei Druck vom Verein gespürt.
Experten gehen davon aus, dass rund ein Fünftel aller Spieler in einem Kader regelmäßig auf Schmerzmittel zurückgreifen müssen, um fit zu sein.
Dabrowski: Das kann ich mir gut vorstellen. Ich muss auch ehrlich sagen, dass ich eine Phase in meiner Karriere hatte, in der ich nicht richtig darüber aufgeklärt wurde. Da bin ich blauäugig an die Sache rangegangen und habe einfach eingeschmissen. Je erfahrener und älter ich wurde, desto bewusster bin ich damit umgegangen. Inzwischen versuche ich, wenn es geht, ganz auf Schmerzmittel zu verzichten. Denn sie wirken auf das ganze System ein: Leber, Niere, Magen. Darüber macht man sich mit 21, 22, 23 gar keine Gedanken.
Sie hatten bei der Einnahme von Voltaren also auch Probleme mit dem Magen?
Dabrowski: Natürlich, klar! Schmerzmittel im Übermaß sind auch gefährlich.
Gab es noch andere Nebenwirkungen?
Dabrowski: Ich hatte das Problem, dass unter Schmerztabletten auch meine Koordination ins Ungleichgewicht geriet. Der Bandapparat ist plötzlich ganz anders eingestellt. Beim Spiel hatte ich das Gefühl, dass meine Bewegungen langsamer werden.
Sie sagen, dass Sie im Alter von 21, 22, 23 blauäugig waren...
Dabrowski: …vielleicht auch etwas länger – bis 27, 28…
…dabei sollen gerade Spieler am Ende der Karriere in hohem Maße auf Schmerzmittel zurück greifen, weil die Beschwerden im höheren Alter immer mehr zunehmen.
Dabrowski: Ich habe das Glück, dass ich nicht jeden Morgen überlegen muss, wie ich über den Tag komme. Ich weiß aber nicht, ob ich nicht ähnlich handeln würde, wenn ich massive Probleme hätte. Ob ich nicht auch beim Frühstück etwas einwerfen würde, um den Trainer zu zeigen, dass ich noch voll da bin. Man muss ja auch den wirtschaftlichen Faktor sehen. Jeder weiß, wie schwer es heutzutage ist, in der freien Marktwirtschaft Geld zu verdienen.
Hat Ihre Verletzung im Gesicht noch Nachwirkungen?
Dabrowski: Nein, ich merke nur bei Wetterumschwüngen ein leichtes Ziehen im Kopf.
Welche Spätschäden wird Ihre Karriere auf jeden Fall nach sich ziehen?
Dabrowski: Wenn ich noch fünf Jahre Spiele, habe ich inklusive Jugend gut 20 Jahre auf professionellem Niveau gespielt – das sind 20 Jahre Höchstbelastung. Da ist es normal, dass Knie und Knorpel Verschleißerscheinungen aufweisen.
Das ist das Berufsrisiko.
Dabrowski: Ich denke, dass man im normalen Leben einigermaßen damit klarkommen kann. Es sei denn, man hatte schon zur aktiven Zeit mehrere Knieoperationen.
Wenn ein Arzt Ihnen sagen würde: »Hör auf, sonst kannst Du Dein Leben lang keinen Hobbysport mehr treiben«. Wäre das ein Grund für Sie aufzuhören?
Dabrowski: Gute Frage. Da habe ich mir noch gar keine Gedanken drüber gemacht. Vielleicht kommt in so einem Moment die Vernunft – Fußball ist ja auch nicht alles.
Ivan Klasnic hat die Ärzte des SV Werder verklagt, weil er sie verantwortlich für seine Nierenschäden macht, sie hätten sein Leiden durch die Verabreichung von Schmerzmitteln verschlimmert. Ist sein Fall ein mahnendes Beispiel oder waren Ihnen die Nebenwirkungen von Medikamenten schon vorher klar?
Dabrowski: Es war schon ein Schock, als ich von seinen Problemen hörte. Ich bin da zwiegespalten, weil ich den Mannschaftsarzt sehr gut kenne und ich habe in meiner Bremer Zeit immer gute Erfahrungen mit ihm gemacht.
Es war also nicht der Auslöser für ein Umdenken?
Dabrowski: Nein, ich beschäftige mich schon seit Jahren mit dem Thema, was Organe angeht. Ich arbeite auch mit einem Heilpraktiker zusammen, der testet, wie Organe arbeiten. Er hat mir klar gemacht, wie wichtig es ist, auf die Niere und die Leber zu achten, weil sie den Körper entgiften.
Fällt Ihnen auf, dass junge Spieler in dieser Hinsicht sorgloser sind?
Dabrowski: Im Vereinsalltag merkt man, dass sie sich nicht so sehr mit diesen Themen beschäftigen. Sie kommen zum Training, ziehen ihr Ding durch und gehen wieder nach Hause. Ich habe mich in dem Alter aber genauso verhalten. Deshalb gehe ich auf die Spieler ein und unterhalte mich mit ihnen über diese Themen. Viele leben in den Tag hinein und merken erst in den nächsten Jahren, was dabei herauskommt.
Gehen Sie im Training auch mal auf Sparflamme, wenn Sie merken, dass sich eine Verletzung anbahnen könnte?
Dabrowski: Man entwickelt ein gewisses Feingefühl für seinen Körper und weiß, wann man rausgehen muss, um sich behandeln zu lassen. Das ist die Voraussetzung für eine lange Karriere.
Wie lange wollen Sie noch spielen?
Dabrowski: Mein Ziel ist es, bis 35 zu spielen. Alles, was danach kommt, ist Bonus. Aber man braucht auch Glück: Wenn dir einer in die Knochen fährt und das Bein ist gebrochen, kann es ganz schnell vorbei sein.
Interview von Tim Jürgens
Ergänzung zum 11Freunde-Heft #91 06/2009 und erschienen bei 11Freunde.de