Bochum. Dominik Horsch gibt beim Talentwerk des VfL Bochum die Strategie vor. Er versteht sich als Teamspieler und hat bereits Projekte angestoßen.
Es hat etwas gedauert, bis das Nachwuchsleistungszentrum, das Talentwerk des VfL Bochum, nach dem Wechsel von Alex Richter zu Eintracht Frankfurt im vergangenen Jahr eine neue Leitung bekam. Der Club stellte sich neu auf, installierte ein Trio als Leitung. Heiko Butscher ist Gesamtleiter Sport, Timo Saviano Leiter Administration. Komplettiert wird die Führungsspitze durch Dominik Horsch als Leiter Strategie und Entwicklung. Er wechselte vom Deutschen Fußballbund zum VfL.
Horsch ist in Bochum aufgewachsen. Nach seinem Abitur am Märkischen Gymnasium in Wattenscheid studierte er an der Deutschen Sporthochschule Köln. Geboren wurde er im brasilianischen Fortaleza, nach Südamerika zog es ihn auch in der Folge. Er arbeitete für den Coritiba FC sowie für das Organisationskomitee der Fifa WM 2014. Von 2015 bis Ende 2022, mit kurzer Unterbrechung, war er für die U-Auswahlmannschaften des DFB als Team-Manager im Einsatz.
Sie haben eine Minute Zeit. Reicht das, um ihre Aufgaben beim VfL Bochum zu beschreiben?
Das geht, auch wenn man dann an der Oberfläche bleibt. Grundsätzlich geht es bei meiner Stelle darum, die Trainer und indirekt die Spieler des Talentwerkes so zu unterstützen, dass sie sich darauf konzentrieren können, was auf dem Platz passiert. Sie sollen bestmögliche Rahmenbedingungen vorfinden, um bestmöglich arbeiten zu können. Dass ist das, was ich auch bisher als Teammanager beim DFB gemacht habe. Darauf zu achten, dass alle Funktionsbereiche, die in und für eine Mannschaft arbeiten, so gut arbeiten können, dass sie sich auf das Wesentliche konzentrieren können.
Dabei geht es auch um die Spieler?
Der Spieler steht im Fokus. Aber ich wirke nicht direkt an den Spielern, das gehört zum Aufgabenfeld des Trainers. Die Experten in den Funktionsbereichen und ich arbeite daran, dass die Menschen, die unmittelbar damit beschäftigt sind, das Leistungspotenzial der Spieler zu fördern und zu fordern, die besten Bedingungen vorfinden oder vorfinden sollen. Am Ende wollen wir so gut arbeiten und so gute Rahmenbedingungen liefern, dass der Faktor Zufall, den es im Fußball gibt, so weit wie möglich reduziert wird. Dafür sollen die Rahmenbedingungen beitragen: die Infrastruktur, die Philosophie. Ich bin in der glücklichen Situation, dass ich nicht von Spieltag zu Spieltag planen muss, sondern davon losgelöst arbeite.
Sie haben aber dennoch keinen Nine-To-Five-Job?
Nein, ich habe flexible Arbeitszeiten. Jetzt geht es um viele grundlegende Dinge, weil diese Position neu ist. Das bindet mich noch ans Büro. Ich will mehr bei den Spielen und im Training präsent sein. Ich muss ja auch sehen und verstehen, wie die Trainer arbeiten. Ich verstehe mich auch als Anlaufstelle bei Problemen. Wenn eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter ein Problem identifiziert, dann können sie es mir sagen. Ich versuche dann gemeinsam mit unseren Expertinnen und Experten eine Lösung zu finden. Darüber hinaus versuche ich selber Impulse zu geben.
Was ist der Status quo im Talentwerk des VfL Bochum und wo will der Club hin?
Das haben wir im Detail noch nicht erarbeitet. Wir haben vergangene Woche mit acht Personen der erweiterten Leitungsebene einen Workshop durchgeführt. Ziel war es, die Grundausrichtung des Talentwerks zu durchleuchten und die konzeptionelle Arbeit, Zielsetzung und Perspektive aller sportlichen und sportbegleitenden Funktionsbereiche zu diskutieren, um uns für die Zukunft neu auszurichten. Die bestehende Grundlage wurde noch unter Alex Richter erstellt, als es die Zertifizierung noch gab. Das war ein sehr komplexes und sehr umfangreiches Konstrukt, mit knapp 600 Seiten. Das wollen wir auf ein Handbuch reduzieren und entsprechend auf das Wesentliche vereinfachen.
Ziel des Talentwerkes ist oder bleibt also . . .?
Es geht in erster Linie um die Ausbildung der Spieler und nicht darum, dass wir Deutscher Meister werden. Das wäre natürlich ein schöner Zusatz. Woran wir uns messen, ist am Ende, ob wir einen Spieler vorzugsweise in unsere Profi-Mannschaft gebracht haben. Wenn es ein Spieler in eine andere Profimannschaft schafft, macht uns das auch stolz. Wir haben da ein Projekt zum Thema Vereinsidentifikation, wo es darum geht zu gucken, wen haben wir alles rausgebracht. Da sind spannende Namen aufgetaucht. Dazu gehören die offensichtlichen wie Hermann Gerland, Leon Goretzka, Armel Bella Kotchap, Ilkay Gündogan, Lukas Klostermann. In Summe sind wir auf rund 130 Spieler gekommen, die bei uns ausgebildet worden und dann Profis geworden sind. Dazu kommen aber auch knapp 100 Spieler, die wir noch prüfen müssen. Daraus soll sich ein Projekt entwickeln, damit präsenter wird, welche und wie viele Spieler der VfL Bochum ausgebildet hat. Ich finde es schade, dass man zur Hiltroper Straße zu unserem Nachwuchsleistungszentrum kommt, und dort sieht man nichts davon. Aber gerade da halten sich unsere Nachwuchsspieler auf. Da wollen wir etwas verändern, dass es mehr ins Bewusstsein kommt. Denn beim VfL Bochum wird seit Jahrzehnten sehr viel Qualität produziert.
Gibt es weitere Projekte, die bereits laufen?
Ja, es gibt zum Beispiel eins zum Thema Ernährung. Da arbeiten wir mit Marius Kirmse zusammen, der das Thema bei den Profis verantwortet. Wir haben uns zusammengesetzt und überlegt, was wir erreichen wollen. Das gleiche versuchen wir nun für die weiteren Bereiche ebenso zu machen. Für beispielsweise die Sportpsychologie, pädagogische Begleitung oder Physiotherapie.
Haben Sie alles auf einmal angeschoben?
Ja, das war sehr ambitioniert. Jetzt sind viele Dinge in Bewegung. Aber wir differenzieren schon. Wir schauen, was können und müssen wir jetzt anschieben und machen und was können wir später starten. Das passiert viel im sehr guten Austausch mit Timo Saviano und Heiko Butscher.
Wo hat es am meisten pressiert?
Auch interessant
Beim Talentwerkhaus, unserem Vereinsinternat. Da haben sich die Rahmenbedingungen geändert, die wir zu erfüllen haben. Wir sind optimistisch, schon bald bekanntgeben zu können, was wir dort erreicht haben.
Wie geduldig müssen Sie sein?
Bislang wurde ich noch nicht gereizt. Wir schauen immer, was für uns am besten ist und dabei das Kosten-Nutzen-Verhältnis nicht aus den Augen zu verlieren.
Aber am Geld dürfte es doch nicht scheitern, wenn das Thema Ausbildung so wichtig, ja essenziell ist, oder?
Das ist eine provokante Frage. Präzise gesagt: Wir wollen in der Ausbildung weiterhin zur Spitze gehören, wir wollen Qualität haben. Aber gleichzeitig sagen wir, wir wollen der VfL Bochum bleiben, wir verzichten auf Schnickschnack. Die Spieler sollen vernünftige Bedingungen haben, dass sie sich wohl fühlen, um optimale Leistungen bringen zu können. Und noch einmal: Die Verantwortlichen sagen jetzt nicht, dass wir immer die günstigste Lösung finden müssen. Wir dürfen gerade in der Tat frei denken. Wir müssen gucken, dass es in den Kontext passt und VfL-like bleibt. Heiko Butscher hat es zuletzt häufiger aufgenommen: kein Brimborium. Das ist für uns kein Marketing-Wort, das ist unser Ansatz. Wir wollen super Bedingungen haben für die Jungs, aber wir wollen jetzt nicht für sie einen Whirlpool an die Hiltroper Straße bauen. Wir brauchen die Balance zwischen Wohlfühlen, Leistung und Bodenständigkeit. Am Ende ist es Fußball.
In wieweit hilft Ihnen, dass sie bei der U21-Nationalmannschaft sehr nahe dran waren?
Ich hatte das Privileg, oft bei der U21 mit im Trainerteam zu sitzen. Ich habe diesen interessanten Austausch mitbekommen können. Da habe ich viele gute Trainerpersönlichkeiten, mit unterschiedlichen Ideen, Hintergründen und Vorstellungen erlebt. Ob Stefan Kuntz zu Beginn, Nachfolger Toni Di Salvo, Co-Trainer Daniel Niedzkowski und in meinem letzten Jahr auch noch Hermann Gerland, der immer wieder traditionelle Ansätze einbrachte, ohne den neuen Ideen gegenüber ablehnend zu sein. Aber er bringt immer wieder rein: Leute, am Ende geht es darum, dass wir auf dem Trainingsplatz stehen, 20 Bälle, Hütchen, Tore – fertig.
Wie sieht ein normaler Tagesablauf bei Ihnen aus?
Er beinhaltete gerade in den ersten Wochen und Monaten sehr viele Sitzungen. Ich wollte alle Funktionsbereiche kennenlernen. Ich bin auch die Schnittstelle zu vielen anderen Abteilungen im Verein wie Marketing oder Fanbetreuung. Dazu gehörte auch zum Beispiel, die Rahmenbedingungen für den neuen Kraftraum an der Hiltroper Straße abzustimmen. Was dürfen, müssen, sollen die Spieler machen. Aber auch, wie ist die Reinigung des Kraftraumes geregelt. Ich habe selten einen Tagesablauf, der gleich ist.
Wann sollen die vielen Dinge, die Sie jetzt angestoßen haben, laufen?
Wir wollen die Sommerpause dafür nutzen, um die meisten Dinge umzusetzen. Einiges haben wir noch gar nicht anstoßen können. Das soll jetzt folgen. Bei den Kooperationen mit anderen Vereinen, die während Corona schwierig waren, wollen wir intensivieren, vielleicht sogar ausbauen. Ein wichtiger Punkt ist auch, dass wir mit unseren Mannschaften soziale Projekte begleiten wollen. Wir als VfL Bochum wollen nicht nur den Spieler, sondern auch den Menschen ausbilden und über den Sport hinaus wirken. Wir glauben, dass das auch den Spielern auf dem Platz einen Mehrwert bringen kann. Am Ende soll es für alle im Verein einen roten Faden geben, verbindlich für alle, egal ob es um Ernährung, Athletik oder Psychologie geht, der sich von der U9 bis zu den Profis widerspiegelt.
Wie lange hat es eigentlich gedauert, um Sie davon zu überzeugten, zum VfL Bochum zu wechseln?
Ich habe schon immer Sympathien für diesen Verein. Ich bin in Bochum aufgewachsen, bin in Wattenscheid zur Schule gegangen. Ich habe aber nicht in der Lohrheide gestanden, ich habe in der Ostkurve im Ruhrstadion gestanden. Ich bin schon mit meinem Vater zum VfL gegangen. Ich weiß relativ viel über den Verein, weil ich den VfL auch verfolgt habe, als ich in Brasilien war. Ich war da so eine Art Botschafter. Ich weiß nicht, wie viele Trikots ich an meine Freunde in Brasilien verteilt habe.
Ist es eine Heimkehr, eine Rückkehr?
Heimkehr, weiß ich nicht... Ich fühle mich in Bochum wohl. Ich bin, auch als ich noch nicht für den VfL gearbeitet habe, regelmäßig hier gewesen, weil meine Eltern noch hier wohnen und viele enge, sehr gute Freunde. Wie ich mich gefühlt habe, weiß ich nicht mehr. So viel kann ich sagen: Es ist etwas Besonderes für mich, für den VfL Bochum zu arbeiten. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mal beim VfL arbeiten würde, weil ich Respekt davor hatte da zu arbeiten, wo viele Emotionen mit reinspielen. In Brasilien waren viele meine Arbeitskollegen heißblütige Fans des Vereins. Da habe ich gemerkt, das ist nicht unbedingt gesund. Da fehlte eine gewisse Objektivität. Man sollte zum Beispiel keine rote Kleidung tragen, weil der Konkurrenzverein rot als Vereinsfarbe hatte. So extrem war es da.
Wenn Sie beim VfL Bochum in schwarz-gelb auflaufen, werden Sie auch einen Spruch bekommen.
Ich habe einen gelben Pulli, den ziehe ich zur Arbeit nicht an. Das finde ich auch in Ordnung. In Brasilien war es extremer, das hängt aber auch mit dem Temperament und Form der Verbundenheit zum Verein zusammen.
Wie sehr müssen Sie in Ihrem Job Menschenfänger sein?
Beim Fußball ist es unausweichlich, mit den Menschen auszukommen. Auch wenn man nicht auf dem Platz arbeitet. Hier geht es um Herzblut, hier geht es um Leidenschaft, es geht darum zu zeigen, dass man Bock auf etwas hat. Wenn man Leute nicht mitziehen kann, wird es schwierig. Ich hoffe, dass ich das kann. Das Feedback auf meine Teammanagementzeiten beim DFB war zumindest positiv. Als Teammanager hätte es mir nichts gebracht, wenn ich gesagt hätte, du musst das jetzt machen. Da war es gut, wenn man Leute dazu bekommen hat, dass sie Bock darauf haben, etwas zu machen.
Führen durch delegieren?
Ja. Der Tisch bei mir im Büro sah zum Beispiel aus, als wäre ich der Big Boss. Das bin ich aber nicht. Er ist inzwischen auch verschwunden, ich teile mir mein Büro nun mit zwei Personen. Ich mag Hierarchie-Denken gar nicht. Keiner von uns hat die Weisheit gefressen. Ich finde Schwarmintelligenz gut. Man kann viel voneinander lernen. Zumal ich hier in ein neues Gebilde gekommen bin, und viele Menschen hier sind, die viel Erfahrung haben. Meine externen Einflüsse, die ich mitbringe, und das Wissen, was schon da ist, zu vermengen, ist dann vielleicht genau das richtige.