Bochum. VfL-Legende Dariusz Wosz kennt sich mit Abstiegskampf aus. Der Ex-Profi lobt die Entwicklung in Bochum - und hat sogar für Schalke 04 Hoffnung.

Dariusz Wosz weiß: Zaubermäuse werden auf Asphalt gemacht. Der 53-Jährige, Spitzname: Zaubermaus, gilt als einer der letzten echten Straßenfußballer. Im polnischen Piekary Slaskie geboren, spielte sich der 1,69 Meter große Dribbelkünstler mit seiner Technik und seiner Mentalität in die Herzen der Fans des VfL Bochum. In der Winterpause 1991/92 kam der Mittelfeldspieler vom Halleschen FC ins Ruhrgebiet. Dann mit drei Jahren Unterbrechung bei Hertha BSC: annähernd 350 Pflichtspiele für den VfL, von Angst um den Klassenerhalt bis zu Europapokal-Höhenflügen war alles dabei. Fünfmal erlebte Dariusz Wosz, der heute die Fußballschule des VfL leitet, den Abstiegskampf – zweimal ging er gut aus. Der 17-malige deutsche Nationalspieler kann also sowohl Bochum als auch Schalke 04 ein paar Tipps geben.

Also, wie hält man denn nun die Klasse, Herr Wosz?

Dariusz Wosz: Indem man als Team geschlossen dasteht. Wenn man den inneren Schweinehund besiegt und sich nicht zwei, drei Grüppchen innerhalb des Teams bilden. Dann hat man eine ganz große Chance, in der Liga zu bleiben.

Was der VfL Bochum und Schalke 04 von Dariusz Wosz lernen können

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Ist es in dieser Situation leichter, als Mannschaft zusammenzuhalten?

Dariusz Wosz: So habe ich es jedenfalls erlebt, als es darum ging, sich zusammenzureißen und erfolgreicher zu sein. In Halle, in Bochum, dann bei Hertha BSC und am Ende noch mal in Bochum. In Halle haben wir international gespielt, beim VfL ging es nach dem Abstieg gleich wieder rauf und später sogar bis in den Uefa-Cup, bei Hertha habe ich in der Champions League gespielt. Wann immer wir Erfolg hatten, war die Mannschaft eine Einheit.

Wie haben Sie Abstiegskampf erlebt?

Dariusz Wosz: Ich wollte spielen, ich wollte gewinnen. Wenn der Schiedsrichter angepfiffen hatte, war ich ein anderer Mensch. Was mich genervt hat, war: weniger zu trainieren, sondern stundenlang zu reden. Mit den Trainern, Psychologen und so weiter. Wenn wir dann noch Plakate unterschrieben haben, dachte ich immer: Leck mich en de Täsch, lass uns lieber auf den Platz gehen und da Gas geben. Die Gespräche sind gut, sollten aber kurz und knapp sein. Ich hatte Sitzungen, nach denen ich gesagt habe: Es wäre besser gewesen, zu trainieren, als jetzt hier zu erzählen, wie schlecht alles ist.

VfL Bochum: Dariusz Wosz hätte nach acht Spieltagen keinen Cent auf den Klassenerhalt gesetzt

Ist erfolgreicher Abstiegskampf mehr Kopfsache, Erfahrung oder Qualität?

Dariusz Wosz: Die Qualität spielt eine große Rolle. Aber wenn ich mir die aktuellen Mannschaften im Abstiegskampf anschaue: Berlin steckt seit Jahren unten drin, ich behaupte, bei Hertha passen die Typen nicht zum Abstiegskampf. Und Bochum? Ohne Mist, nach den ersten acht Spielen mit nur einem Punkt hätte ich keinen Cent gesetzt, wenn ich auf den Klassenerhalt hätte wetten sollen. Wie sie sich aber seit dem ersten Saisonsieg gegen Frankfurt herausgekämpft haben, ist für mich die Handschrift von Trainer Thomas Letsch. Das Gleiche auf Schalke mit Thomas Reis – die waren so weit abgeschlagen. Wenn beide Klubs in der Bundesliga bleiben, sind sie für mich Trainer des Jahres.

Dariusz Wosz ist enttäuscht über den Abstieg in der Saison 2004/05.
Dariusz Wosz ist enttäuscht über den Abstieg in der Saison 2004/05. © Imago

Inwiefern können Fans eine Mannschaft unterstützen? Wird aus gutgemeinter Hilfe auch manchmal Druck?

Dariusz Wosz: Also, da muss ich sagen: Hut ab, wie die immer Stimmung gemacht haben. Ich habe jetzt beim Bochumer Heimspiel gegen Schalke das erste Mal seit Jahren wieder gehört: „Wir wollen euch kämpfen sehen!“ Zuletzt war das in der Bundesliga der Fall, als ich noch das VfL-Trikot übergezogen habe. Ich hätte mir in dem Spiel nur etwas Fingerspitzenspiel gewünscht für Thomas Reis gewünscht. Denn: Leute, ohne Thomas Reis würde Bochum in dieser Saison vermutlich gegen Sandhausen in der 2. Liga spielen, der Aufstieg war auch ihm in großen Teilen zu verdanken.

Bochum ist 1992/93 abgestiegen, war ab dem neunten Spieltag auf einem Abstiegsplatz. Ab wann zermürbt einen der drohende Abstieg?

Dariusz Wosz: So eine Situation kommt ja nicht von ungefähr. Ich war im Jahr zuvor aus Halle gekommen, da sind wir noch in der Liga geblieben. Aber in der Saison hatten wir genau diese Grüppchenbildung – und dann hast du keine Chance. Es gab die Westler, die Ostler und noch eine dritte Gruppe. Es war kein Miteinander mehr. Trotzdem fehlte am Ende nur ein Punkt auf Dynamo Dresden.

Der VfL Bochum in der Saison 2004/05: Erst Uefa-Pokal, dann Abstieg

1994/95 war der zweite Abstieg mit Bochum, nach Ihrer Zeit bei Hertha ging es 2004/05 noch mal mit dem VfL runter.

Dariusz Wosz: Dabei haben wir in dem Jahr sogar noch Uefa-Cup gespielt. Wir sind aber leider ausgeschieden in der ersten Runde. 0:0 bei Standard Lüttich, dann im Rückspiel ganz spät das 1:1 kassiert, da gab es ja noch die Auswärtstorregel. Das war alles sehr unglücklich. Trotzdem war es nicht so, dass man zu dem Zeitpunkt schon erkennen konnte, wie die Saison verlaufen würde.

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Ihre Trainer in schwierigen Jahren hießen Holger Osieck, Jürgen Gelsdorf, Klaus Toppmöller und Peter Neururer. Was hat sie ausgemacht?

Dariusz Wosz: Holger Osieck hatte sehr viel Ahnung, er war fachlich sehr gut, aber auch teils sehr kompliziert, wenn es um den Fußball ging. Die Fans haben ihn damals ausgepfiffen, weil er nach dem WM-Titel als Assistent von Franz Beckenbauer im Anzug an der Seitenlinie stand – das kam in der Arbeiterstadt nicht gut an. 92/93 unter Jürgen Gelsdorf war einfach nichts zu machen. Klaus Toppmöller hat hinterher versucht zu retten, was noch möglich war. Er hat viele Spieler aussortiert und viele neu geholt – fachlich wie menschlich war er sehr, sehr gut. Als Peter Neururer kam, hat er mich zum Kapitän gemacht. Ich hatte vorher einen etwas schweren Stand unter Bernard Dietz, er setzte mehr auf junge Spieler. Damit hatte ich auch grundsätzlich kein Problem, aber es fehlte da einfach die gesunde Mischung. Unter Peter hatte ich dann wieder mehr Spaß am Fußball.

Was sollte ein Trainer niemals im Abstiegskampf tun?

Dariusz Wosz: Persönlich werden, das ist das Schlimmste. Das hat Peter Neururer zum Beispiel nie gemacht, das hat mir immer imponiert. Druck gibt es in der Bundesliga natürlich auch oben – aber es ist einfacher, Bayern München und Borussia Dortmund zu trainieren, als wenn sich ein Verein im Abstiegskampf befindet. Wenn man unten in der Tabelle steht, hat ja schon die Qualität gelitten. Und wenn dann auch noch der Kopf zumacht, hast du fast gar keine Chance mehr.

Als sich der VfL Bochum am letzten Spieltag rettete und Wosz einen Elfmeter verschoss

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Trotzdem hatten Sie in der sportlichen Not auch positive Erlebnisse: 1991/92, es war die letzte Saison mit 20 Teams, war der VfL bereits vor dem letzten Spieltag gesichert.

Dariusz Wosz: Da haben wir uns zusammengerissen und alle Missstände rechtzeitig angesprochen. Aber es war auch damals der Holger-Osieck-Trick, dass wir noch zehn Tage ins Trainingslager nach Bad Hennef gefahren sind. Wir haben die Gemeinschaft mehr gepflegt. Das vermisse ich aktuell etwas, dass die Spieler mal miteinander essen gehen, sich kennenlernen. Nicht mit 15 oder 20 Leuten gleichzeitig, aber drei, vier – mal hier, mal da. Peter Közle, Thomas Stickroth, Uwe Gospodarek, Thomas Reis, meine Wenigkeit: Wird sind oft in Bochum ausgegangen, waren häufig im Café Zentral. Wobei: Ich weiß ehrlich gesagt auch gar nicht, wie viele der Spieler heute noch in Bochum wohnen.

Noch dramatischer war es 1997/98. Da hat sich der VfL erst am letzten Spieltag mit einem 1:0 gegen 1860 München gerettet.

Dariusz Wosz: Wir wollten die Löwen damals auffressen. Toppi hat uns super eingestellt – und wir hatten etwas wiedergutzumachen, schließlich war es eigentlich eine Super-Saison, wir hatten ja im Uefa-Pokal drei Runden überstanden. Daraus haben wir am Ende den Mut geschöpft zu sagen: Wir gehen da jetzt raus und hauen die weg. Aber dann rutsche ich bei einem Elfmeter aus und schieße den Ball Richtung Eckfahne. Ich wollte Verantwortung übernehmen. Zum Glück kam dann noch das Eigentor von Abderrahim Ouakili.

2010 sind Sie dann als Trainer in den Abstiegskampf geraten, als erhoffter Retter und Nachfolger von Heiko Herrlich für zwei Spiele.

Dariusz Wosz: Das hätte ich lieber ablehnen sollen. Die Nerven lagen blank, wir mussten Abläufe wie einen Anstoß einstudieren, was ich niemals für möglich gehalten hätte. Matias Concha musste ich in München schon nach 25 Minuten wegen Kreislaufproblemen auswechseln. Die Bayern wollten unbedingt gewinnen, weil sie damit quasi Meister waren. Am Ende 3:1 für München, dreimal Thomas Müller. Gegen Hannover 96 hatten wir am letzten Spieltag dann trotzdem noch die Chance auf die Relegation – und dennoch haben wir beim 0:3 keinen Fuß vor den anderen bekommen.

Was Dariusz Wosz dem VfL Bochum und Schalke 04 im Abstiegskampf wünscht

Dariusz Wosz in der Saison 1997/98.
Dariusz Wosz in der Saison 1997/98. © Imago

Wodurch entwickelt man sich als Profi, als Persönlichkeit mehr – durch einen Abstieg oder Klassenerhalt in letzter Sekunde?

Dariusz Wosz: Es ging nicht gegen den Abstieg, aber bei Hertha hatten wir positiven Druck, um Europapokal-Plätze zu spielen. Da geht man auf den Platz und macht noch mal ein Späßchen mehr. Die Konzentration ist dann auch da, aber sie ist anders, als wenn du im Keller herumkriechst. Ich konnte mich nach einer Niederlage nicht am nächsten Tag schon auf das nächste Spiel konzentrieren. Das wollte später mein Trainer Marcel Koller stets, und das hat mich genervt. Er fragte dann immer gleich am Sonntag nach dem Spiel: Bist du schon fokussiert auf die nächste Partie? Nein, bin ich nicht, aber am Samstag, wenn ich spiele. Mich hat es da schon weitergebracht, mir Routinen und Abläufe anzueignen – das war im Abstiegskampf intensiver als im oberen Tabellendrittel.

In dieser Saison stecken der VfL und Schalke im Abstiegskampf. Schaffen es beide Klubs am Ende noch?

Dariusz Wosz: Ich würde es mir wünschen. Am wichtigsten wird sein, dass der VfL drinbleibt. Aber ich gönne es auch Thomas Reis, der Bochum in die 1. Liga gebracht hat. Hoffenheim wird das schon noch schaffen, aber wenn Stuttgart und Hertha runtergehen, kann Schalke in die Relegation – und sich da dann gegen St. Pauli durchsetzen.