Bochum. Der VfL Bochum hat in dieser Saison mit großen Problemen zu kämpfen. Ilja Kaenzig und Patrick Fabian nehmen im großen Interview Stellung.
Nach einer rauschenden Vorsaison ist der VfL Bochum Schlusslicht der Fußball-Bundesliga und empfängt am Sonntag (15.30 Uhr/Sky) Spitzenreiter Union Berlin. Vor dem scheinbar ungleichen Duell äußern sich Bochums Geschäftsführer Ilja Kaenzig (Wirtschaft/Sprecher) und Patrick Fabian (Sport) zur Kritik vieler Fans, zu Transfereinnahmen und Transparenz – und warum Berlin Bochum abgehängt hat.
Vor vier Jahren hat der VfL Bochum in der 2. Liga gegen Union Berlin gespielt. Union kommt nun als Europa-League-Teilnehmer und Tabellenführer der Bundesliga ins Vonovia Ruhrstadion, zum Tabellenletzten. Hat der VfL eine Chance, Herr Fabian?
Patrick Fabian: Natürlich. Union hat einen eindrucksvollen Lauf. Alles wirkt sehr stimmig, die Mannschaft ist defensiv sehr stabil. Wir müssen an die Leistung vom letzten Heimspiel gegen Frankfurt (3:0, die Redaktion) anknüpfen. Dann können wir jeden Gegner ärgern.
Macht das mühsame 1:0 im Pokalspiel in Elversberg Mut oder schürt es eher Zweifel?
Fabian: Es war das erwartet schwere Spiel. Die Mannschaft hat alles reingeworfen. Beim Siegtor von Anthony Losilla ist die ganze Bank aufgesprungen. Man sieht, dass die Mannschaft lebt und sich gegen den negativen Lauf dieser Saison wehrt. Ich hoffe, dass der Pokalsieg Auftrieb gegeben hat.
Warum ist Union dem VfL so rasch enteilt, Herr Kaenzig?
Ilja Kaenzig: Die Voraussetzungen sind andere. Union hat mehr Mitglieder (rund 46.000/Bochum 23.000 die Red.), mehr Sponsoren, mehr Merchandising-Erlöse. Das Stadion gehört dem Verein, in Bochum der Stadt. Es fasst zwar weniger Fans (22.000/Bochum rund 26.000/die Red.). Aber der lukrative VIP-Bereich ist deutlich größer als bei uns. Zudem ist Union mit Krediten des Finanzinvestors Quattrex ins Risiko gegangen. Dieses Risiko hat sich in Berlins Fall sportlich ausgezahlt. Bochum kann und will diesen Weg nicht gehen. Wir suchen einen Investor, der den Verein langfristig weiterentwickeln will und nicht auf kurzfristige Gewinne aus ist. Dieser ist derzeit nicht in Sicht.
Als Verantwortliche des VfL sollte man diverse Fan-Foren derzeit lieber nicht lesen. Ein Vorwurf: mangelnde Transparenz, schlechte Kommunikation, zum Beispiel im Zuge der Trennung von Trainer Thomas Reis.
Kaenzig: Es gibt in ganz Deutschland keinen Verein, der so transparent mit seinen Zahlen und Strategien umgeht wie der VfL Bochum. Nur ein Beispiel: Als wir wegen der Pandemie im Januar für das Heimspiel gegen Köln nur 750 Zuschauer zulassen durften, haben wir offen kommuniziert, welche Gruppen Karten erhalten haben. Wir nehmen alle Stakeholder mit, sprechen ständig mit ihren Vertretern. Mit den Mitgliedern, Fans, Sponsoren.
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Fabian: Fußball ist sehr emotional. Fakten werden oft vermischt mit eigenen Wahrnehmungen, Wünschen oder zerstörten Träumen wie etwa dem Aus der „Ehe“ zwischen Thomas Reis und dem VfL Bochum. Wir argumentieren mit Fakten, halten uns an unsere Werte. Wo Integrität angesagt ist, lassen wir auch Integrität walten. Es gibt zudem Pflichten eines Arbeitgebers gegenüber seinen Arbeitnehmern. Interna etwa aus Vertragsgesprächen bleiben intern.
Kaenzig: Das gilt auch bei Thomas Reis. Wir sind ihm für seine historischen Leistungen der Vorjahre für immer dankbar.
Transfers: VfL Bochum kann im Winter nachlegen
So richtig aufwärts ist es aber unter Thomas Letsch, dem Reis-Nachfolger, noch nicht gegangen.
Fabian: Wir haben in der Liga unter Interimstrainer Heiko Butscher unseren ersten Punkt, unter Thomas Letsch unseren ersten Sieg geholt und sind im Pokal weitergekommen. Jetzt gilt es Konstanz in die Leistungen zu bekommen.
Das 1:4 in Stuttgart am vergangenen Samstag war ein kräftiger Dämpfer.
Fabian: Wir haben dort eine große Chance verpasst, weil wir teils brutale individuelle Fehler gemacht haben. Die müssen wir abstellen.
Der VfL hat Rekord-Transfererlöse erzielt für die Verkäufe von Armel Bella Kotchap (FC Southampton), Maxim Leitsch (Mainz 05) und Sebastian Polter (Schalke 04), in Summe rund 16,2 Millionen Euro. Für Zugänge hat der VfL etwa eine Millionen Euro an Ablösen bezahlt. Wurde sinnvoll investiert – oder zu wenig?
Kaenzig: Man liest immer wieder, der VfL spart sich kaputt. Das ist Irrsinn. Wir haben den Etat um 6 Millionen Euro erhöht auf 31,5 Millionen Euro, das ist für Bochum ein Quantensprung. Wir sind damit aber immer noch mit Abstand Schlusslicht in der Bundesliga. Diese Erhöhung fand übrigens schon vor dem Verkauf von Bella Kotchap statt, da mit diesen Einnahmen nicht zu rechnen war. Und als wir ihn verkauft haben, umfasste der Kader bereits 25 Spieler, davon 17 mit Stammspielerpotenzial. Von den 16,2 Millionen Euro brutto bleiben netto nur 7,9 Millionen Euro übrig, nach dem Abzug von Beteiligungen etwa für Berater, von Pflichttilgungen für unser Stadioncenter, von Steuern. In der Corona-Krise haben wir bei der KfW-Bank einen Kredit in Höhe von 6,8 Millionen Euro aufgenommen, der bedient werden muss. Wir hatten coronabedingt ein negatives Eigenkapital von fünf Millionen Euro, das wir zum Erhalt der Lizenz durch die DFL verringern mussten. Nach dem vergangenen Geschäftsjahr 2021/22 ist unser Eigenkapital wieder positiv. Wir haben im Sommer Investitionen in Höhe von rund vier Millionen Euro für zwingend notwendige Modernisierungsmaßnahmen in Gang gesetzt. Zum Beispiel für neue Videowände, den Nassbereich der Mannschaftskabine, für das Nachwuchsleistungszentrum und die Renovierung eines Trainingsplatzes. Diese Ausgaben sind ein Muss, um unsere Strategie der Entwicklung und des Wachstums fortsetzen zu können. Letztlich haben wir über 40 Prozent unseres Umsatzes (ca. 70 Millionen Euro/die Red.) in den Lizenzspielerbereich gesteckt. In Deutschland gelten 40 bis 50 Prozent als gesund.
Bochum ist trotzdem mit erst vier Punkten Schlusslicht. Provokativ gefragt: Hat man in Summe nicht in die richtigen Spieler investiert?
Fabian: Wir sind von unserem Kader überzeugt, sind auch noch nicht abgestiegen. Wir dürfen nur nicht die Emotionen und Gefühle mit der sachlichen Betrachtung und den Fakten vermischen. Wir haben in der letzten Saison teilweise überperformed, dadurch wurden die Erwartungen mancherorts zu hoch angesetzt. Richtig ist aber: Die Mannschaft kommt insgesamt und individuell, auch manche Leistungsträger der Vorsaison, noch nicht an ihre mögliche Leistungsfähigkeit heran. Aber ein, zwei neue Spieler, die uns viel Geld kosten würden, könnten uns allein deswegen den Liga-Erhalt mit Sicherheit nicht garantieren. Es geht nur über die Gemeinschaft.
Gerade die Verpflichtung von Stürmer Lys Mousset sorgt für Kopfschütteln, er ist immer noch nicht fit genug fürs Mannschaftstraining.
Fabian: Lys konnte uns bisher nicht helfen, das stimmt. Allgemein ist es leider so, dass bei allen Klubs nicht alle Transfers perfekt passen, schon gar nicht sofort. Robert Zulj zum Beispiel hatte auch Rückstand, als er im Januar 2020 zu uns kam. Nach dem Lockdown haben wir einen anderen Zulj gesehen.
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Bis zur WM-Winterpause sind es noch fünf Partien. Legt der VfL dann personell nach – oder plant man dann schon für die 2. Liga?
Fabian: Wir werden in der WM-Pause die Lage genau analysieren. Wenn wir davon überzeugt sind, dass uns neue Spieler die Chance auf den Klassenerhalt erhöhen können, werden wir sehen, ob der eine oder andere Transfer realisierbar ist. Wir haben den Lizenzetat noch nicht ganz ausgeschöpft, auch dank des Einzugs ins Pokal-Achtelfinale sind Transfers möglich.
VfL Bochum: Thomas Letsch hat "positiven Eindruck hinterlassen"
Der Vertrag von Trainer Letsch gilt auch für die 2. Liga. Wie ist Ihr Eindruck nach rund vier Wochen?
Fabian: Thomas Letsch hat in seinen ersten Wochen einen sehr positiven Eindruck hinterlassen. Er ist sehr klar in seinen Ansprachen, strukturiert in seinem Handeln. Er ist ein sehr kommunikativer Trainer, der alle mitnimmt. Wir haben von vier Pflichtspielen zwei verloren und zwei gewonnen. Wir dürfen nicht so viele Gegentore kassieren, auch daran arbeitet er mit seinem Trainerteam, mit der Mannschaft.
Die Absteiger der Vorsaison, Fürth und Bielefeld, sind in der 2. Liga abgestürzt auf Rang 16 und 18. In sozialen Medien liest man schon, das Bochum dieses Schicksal auch drohen könnte.
Kaenzig: Wir sind weit davon entfernt, am Abgrund zu stehen. Solche Behauptungen sind eine Frechheit gegenüber unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die jeden Tag dafür arbeiten, den VfL weiter nach vorne zu bringen. Wichtig ist es, dass man seine Ambitionen immer aufrecht erhält. Wir werden auch kommende Saison ambitioniert antreten, unabhängig von der Liga. Wir haben uns in den letzten Jahren kontinuierlich weiterentwickelt, in allen Bereichen. Die Erfolge, sportlich wie wirtschaftlich, haben wir gemeinsam errungen, angefangen bei Vorstand und Präsidium. Diesen Weg setzen wir fort, und das lassen wir uns nicht kaputtreden, weil uns nach den bisherigen zehn Spielen vielleicht vier oder fünf Punkte fehlen.
Im Stadion pfiff das bisher doch auch niemand kaputt...
Fabian: Unsere Fans im Stadion haben die Mannschaft bisher überragend unterstützt. Das muss so bleiben, damit wir gemeinsam unser großes Ziel erreichen können. Bei einem Sieg gegen Union könnten wir den letzten Tabellenplatz verlassen. Das ist unser nächstes Ziel, darauf liegt jetzt unser Fokus.