Bochun. 25 Jahre ist es her. Das legendäre Rückspiel im Uefa-Cup gegen Trabzonspor. 5:3. Spieler Wosz, Journalisten, Fans erinnern sich ans Spektakel.

Als der Kartenvorverkauf begann, bildeten sich in den frühen Morgenstunden schon irre Schlangen. Die Fans waren heiß auf eine historische Premiere, es herrschte „eine Riesen-Euphorie“, sagt Dariusz Wosz, die VfL-Legende. Der VfL Bochum empfing Trabzonspor an einem Dienstagabend, 30. September 1997, vor 25 Jahren. Es war das Rückspiel der 1. Runde im Uefa-Cup 1997/98. Es war das erste Heimspiel des VfL Bochum auf der internationalen Europapokal-Bühne.

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Es war ein Spektakel der Freude, der Emotionen.

24.500 Fans sind völlig aus dem Häuschen

24.500 Fans durften nur dabei sein aus Sicherheitsgründen. Nicht alle, aber manche Stehplätze mussten zu Sitzplätzen umgebaut werden, „wobei, glaube ich, jeder auf den Sitzen stand, zumindest am Ende“, sagt Jens Fricke. Heute ist Fricke Leiter Medien und Kommunikation beim VfL. Damals war er einfach nur: Fan. Und Dauerkarten-Inhaber, „Block P“.

Für Dariusz Wosz waren ohnehin „gefühlt über 40.000 im Stadion“, sagt die einstige „Zaubermaus“ des VfL. Bestens erinnert er sich an eines seiner größten Spiele im Trikot der Bochumer. 5:3 nach einem 1:2 im Hinspiel. Zweite Runde! Bochum im Europa-Rausch.

Hauten alles rein: Torsten Kracht vom VfL Bochum gegen zwei Spieler von Trabzonspor.
Hauten alles rein: Torsten Kracht vom VfL Bochum gegen zwei Spieler von Trabzonspor. © firo Sportphoto | firo Sportphoto

Sensationell waren die Bochumer in der Vorsaison auf Rang fünf gestürmt in der Bundesliga. Dabei waren die Jungs von VfL-Jahrhundert-Trainer Klaus Toppmöller nach der Auslosung erst einmal ein bisschen enttäuscht. Nach Trabzon ans Schwarze Meer ging die historische Reise. „Da wussten wir nicht so genau, was uns erwartet“, erzählt Wosz, heute 53 Jahre und Leiter der VfL-Fußball-Schule.

Journalisten saßen im Hinspiel auf Gartenstühlen

In der türkischen Stadt am Schwarzen Meer entstand gerade ein neues Stadion, ganz fertig war es noch nicht. „Die Journalisten saßen auf Gartenstühlen auf grauem Beton“, sagt Michael Eckardt, der jahrelang als WAZ-Redakteur über den VfL Bochum berichtet hat und natürlich auch bei der Uefa-Cup-Premiere dabei war.

Jubel nach dem Triumph vor den Fans mit u.a. Thomas Ernst (2.v.l.), Dariusz Wosz (3.v.r.) und Thomas Reis (4.v.r.)
Jubel nach dem Triumph vor den Fans mit u.a. Thomas Ernst (2.v.l.), Dariusz Wosz (3.v.r.) und Thomas Reis (4.v.r.) © imago sport

Eckardt saß beim Hin- und Rückflug im „VfL-Flugzeug“ – gemeinsam mit weiteren Journalisten, mit Fans und mit der kompletten VfL-Mannschaft und -Crew. „Das war für uns gar kein Problem“, sagt Wosz über eine Nähe zu Fans und Reportern, die heute anmutet wie eine Erzählung der Gebrüder Grimm. Nur „Toppi“, der Trainer, war auch mal „ein bisschen genervt vielleicht“, sagt Wosz schmunzelnd.

Der Leistung geschadet hat all das nicht. Im Hinspiel, dem ersten Europacup-Auftritt des VfL in seiner Vereinsgeschichte überhaupt, erzielte Hendrik Baluszynski umgehend das 1:0 per Elfmeter. Trabzonspor drehte die Partie bis zur Pause. 2:1. „Ein gutes Ergebnis für uns“, so Wosz.

Irre Dynamik im Rückspiel: Platzverweis, 5:1, 5:3, Abseitstor

Das Rückspiel toppte alles, meint auch Jens Fricke. „Trotz einiger furioser Siege gegen Bayern oder Schalke“, sagt Fricke, „ist dieses 5:3 gegen Trabzonspor in meiner persönlichen Hitliste aller VfL-Heimspiele die Nummer eins.“ Wegen der „irren Dynamik“. Unter anderem.

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Toppmöller griff bereits vor dem Anpfiff in die Trickkiste. Die Journalisten waren eingeweiht, aber nichts drang nach außen. Thomas Stickroth und Peter Peschel meldete Toppmöller als verletzt.

Beide spielten. Beide trafen. Peschel wirbelte über die rechte Flanke. „Stickinho“ spielte als Libero – und erzielte das 1:0 nach 22 Minuten. Peschel gelang das 5:1.

Vor der Pause erzielte der grandios aufgelegte Stürmer Sergei Juran das 2:1 per Hacke nach Vorlage von Thomas Reis. Es wurde später zum „Tor des Monats“ gewählt in der ARD. Bochum spielte direkt, mit Power und tollen Kombinationen. Doch Tomasz Waldoch sah kurz vor der Pause die Gelb-Rote Karte wegen eines Handspiels. Eine harte Entscheidung.

Der VfL Bochum dreht in Unterzahl auf

Bochum in Unterzahl – und das bei Gleichstand nach ganzem Hin- und halbem Rückspiel. „Toppi“, erinnert sich Wosz an die Kabinen-Ansprache, „hat uns in der Pause gesagt: Spielt einfach weiter offensiv, völlig egal, dass wir einer weniger sind.“ Klappte. Und wie: Juran erzielte das 3:1, Mirko Dickhaut das 4:1 und Peschel das 5:1. Wosz: „Wir spielten wie im Rausch.“

Dickhaut aber, eine zentrale Stütze, musste nach einer Stunde verletzt runter. Die Kräfte schwanden – und das Stadion bekam Herzrasen. Trabzonspor holte auf. 2:5. 3:5. Noch gut zwölf Minuten. 4:5, das wäre das Aus gewesen (Auswärtstor-Regel!). 4:5? Der Linienrichter schwenkte die Fahne. Abseits! Kein Tor.

Und auch Keeper Uwe Gospodarek hielt den Triumph fest in der dramatischen Schlussphase. Wosz: „Das ganze Stadion kochte.“ Friedlich feierten die Fans. Gemeinsam, auch das trug zum Festival bei. „Bei uns standen auch einige Trabzonspor-Anhänger“, erzählt Fricke. „Wir lagen uns hinterher alle in den Armen. Sie haben uns beglückwünscht, wir haben sie beglückwünscht für dieses Spiel.“

Legendäres Spiel bei Ajax Amsterdam

Der Europa-Cup-Ritt des VfL ging weiter. Auch Brügge überrannte Bochum daheim (0:1, 4:1). Im Achtelfinale scheiterte der VfL an Ajax Amsterdam. 2:2 im Hinspiel. 2:4 im Rückspiel in Amsterdam nach 2:0-Führung und vier Gegentoren vor der Pause in elf (!) Minuten. Auch das: legendär.

Die Europacup-Spiele, sagt Wosz aber auch kritisch, „kosteten schon Kraft.“ In der Bundesliga ging es um den Liga-Erhalt. „Wer weiß, wie es ausgegangen wäre, wenn wir auch Ajax noch besiegt hätten. Aber wir haben es ja noch geschafft.“ Den Abstieg zu verhindern mit einem Team, „das vom Zusammenhalt lebte“, sagt der damalige Spielmacher. „Wir waren mehr Freunde als Spieler. Und Toppi hat da als Trainer perfekt reingepasst.“

In der Bundesliga macht Bochum den Klassenerhalt am letzten Spieltag klar

Nach dem 5:3 gegen Trabzonspor verlor der VfL mit 2:3 gegen Bayern, war Tabellenvorletzter. Den Showdown der Europa-Show-Saison gab es am 34. und letzten Spieltag. Bochum gewann mit 1:0 gegen den Abstiegskonkurrenten TSV 1860 München, wurde noch Zwölfter mit nur drei Punkten Vorsprung auf den ersten Abstiegsplatz, auf den Karlsruher SC (2:4 in Rostock).

Meister wurde in dieser wundersamen Saison der 1. FC Kaiserslautern – und zwar als vorheriger Aufsteiger.

Manches war früher eben doch besser...

So spielte der VfL Bochum beim 5:3 gegen Trabzonspor.

VfL Bochum: Gospodarek - Stickroth - Kracht, Waldoch - Peschel, Dickhaut (61. Baluszynski), Wosz, Reis, Hofmann - Juran (54. Mamic), Közle (46. Reichel)

Reserve: Ernst (Tor), Michalke, Bastürk, Gülünoglu

Tore: 1:0 Stickroth (22./Vorarbeit Kracht), 1:1 MisseMisse (31.), 2:1 Juran (44./Reis), 3:1 Juran (51./Peschel), 4:1 Dickhaut (60./Reis), 5:1 Peschel (68./Baluszynski), 5:2 Temizkanoglu (73.), 5:3 Osman (78.).

Gelb-Rot: Tomasz Waldoch (45.)

Schiedsrichter: Radoman (Jugoslawien)