Bochum. Der VfL Bochum steht punktlos am Tabellenende. Der neue Sport-Geschäftsführer Patrick Fabian spricht über die Probleme und das Derby auf Schalke.
Es hätte leichtere Zeiten gegeben, um Sport-Geschäftsführer des VfL Bochum zu werden: Die Mannschaft steht in der Bundesliga punktlos auf dem letzten Tabellenplatz, im Training gehen die Profis aufeinander los. Und dann sind da noch die Diskussionen um Trainer Thomas Reis, der mit einigen Aussagen seine Bosse verärgerte. All diese Probleme muss Patrick Fabian in seinem neuen Job lösen. Im Interview spricht der 34-Jährige über das Verhältnis zum Trainer und die sportlichen Probleme des Klubs.
Sind Sie nachtragend, Herr Fabian?
Patrick Fabian: Nein.
Wir spielen auf die Rückrunde 2020 an, Ihre letzte Saison als aktiver Profi. Am 19. Spieltag gegen Bielefeld (0:2) bestritten Sie ihr erstes Saisonspiel. Trainer Thomas Reis hoffte, dass mit Ihnen als Führungsspieler die Wende im Abstiegskampf der 2. Liga gelingen kann. Es kamen aber nur noch 16 Einsatzminuten dazu.
Es war einfach eine Idee, die nicht funktioniert hat. Dafür hat Thomas dann Maxim Leitsch eingesetzt, der uns in diesem Sommer gutes Geld gebracht hat – und wir sind damals in der Liga geblieben. Von daher hat er alles richtig gemacht.
Wie ist Ihr Verhältnis zu Thomas Reis?
Sehr gut und stets professionell, als Spieler oder in anderen Funktionen. Bevor er damals als Trainer zu uns gekommen ist, hatten wir auch ein Gespräch. Er hat mich als erfahrenen Spieler mit eingebunden. Unser Austausch war immer produktiv und gut.
Jetzt sind Sie der Chef von Thomas Reis. Fünf Niederlagen, dazu die Unruhe wegen der Verhandlungen von Reis mit Schalke im Sommer. Wird er Trainer bleiben, wenn der VfL auf Schalke nicht gewinnt?
Ich habe schon betont, dass die Lage differenzierter zu betrachten ist. Wir bewegen uns im Leistungssport, da sind Ergebnisse eine wichtige Zutat. Wir sind allerdings nicht so weit, ausschließlich davon irgendwelche Entscheidungen abhängig zu machen. Wir schauen uns an, wie die Leistung der Mannschaft unter der Woche und beim Spiel ist. Dann werden wir weitersehen.
Machen Sie sich bereits Gedanken über einen möglichen Nachfolger?
Wir sind mit unseren Gedanken beim Spiel am Samstag, weil es sehr brisant ist: aufgrund der Gesamtsituation und der sportlichen Lage. Die Schalker haben ein paar Punkte mehr als wir, aber wollen diesen Sieg genauso holen – für die Tabelle und die Emotionen. Ein Derby bringt zusätzliche Würze rein. Daher dreht sich bei uns alles darum, dieses Spiel zu gewinnen und um nichts anderes.
Stimmt ein Bericht der Bild-Zeitung, laut dem die Namen Heiko Butscher, Trainer der VfL-U19, und Dimitrios Grammozis, pikanterweise noch bei Schalke unter Vertrag, aber auch ein ehemaliger langjähriger Bochumer, als Kandidaten durch die Geschäftsstelle geistern?
Fabian: Ich habe hier keinen Geist rein- oder rausfliegen sehen. (lacht) Es ist normal, dass viel spekuliert wird. Aber das werde ich nicht kommentieren.
Die Stimmung ist angespannt. Torwart Manuel Riemann beleidigte seine Mitspieler am Dienstag im Training auf üble Weise...
Fabian: … und dafür hat er sich entschuldigt. Die Wortwahl war über dem, was zu akzeptieren ist. Das haben wir intern geklärt. Grundsätzlich ist aber gut, dass Leben in der Mannschaft ist. Da kann man sich schon mal die Meinung sagen. Die Jungs wissen, dass sie ohne Punkte am Tabellenende stehen. Da bin ich froh, sie nicht noch pushen zu müssen. Es muss aber im Rahmen bleiben – und da weiß Manu, dass er den Bogen überspannt hat.
Warum hat der VfL noch keinen Punkt?
Fabian: Da gibt es einige Ansätze. Zum einen haben wir Standards zu schlecht verteidigt, haben zu viele individuelle Fehler gemacht, und das Quäntchen Glück fehlte uns auch. Gerade gegen Bremen, als alles zusammenkam. Dennoch müssen wir uns der Tatsache stellen, dass wir keine Punkte haben, weil unsere Leistung nicht ausgereicht hat, um an diesen Tagen drei Punkte zu holen – nicht, weil es nur Pech war. Hinzu kommt, dass wir verletzungsbedingte Ausfälle haben, im Defensivbereich und speziell auf der Linksverteidiger-Position. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der eine oder andere noch nicht auf seinem Leistungsniveau angekommen ist.
Wie soll die Wende gelingen?
Fabian: Mein Appell war und ist, dass der Fokus im Training auf die wesentlichen Dinge gelegt wird, dass wir nichts verkomplizieren und es einfach halten. Gerade in den Phasen, in denen dir nichts zufällt, musst du noch konzentrierter zu Werke gehen, mehr tun. Nach wie vor ist es so, dass es Phasen in Spielen und in der gesamten Saison geben wird, in denen wir leiden müssen. Das müssen wir in diesen Momenten akzeptieren, alles dafür tun, das Ruder herumzureißen. In unserem Fall funktioniert das durch Emotionen sowie Fokus, Konzentration und Gemeinschaft.
Gibt es sportlich zwei wesentliche Probleme? Erstens, dass durch die schwierige Vorbereitung und viele Ausfälle die Mannschaft noch nicht eingespielt sein kann; zweitens aber auch, dass die Mentalität der vergangenen Saison abhandengekommen ist?
Fabian: Mentalität ist kein greifbarer Begriff. Da benötigt man zunächst eine gemeinsame Definition. Heißt es, dass man den Gegner einfach weggrätscht? Oder, dass man in gewissen Situationen den Mut haben muss, Entscheidungen zu treffen und den Ball zu wollen? Heißt Mentalität, den Fokus richtig zu setzen und sich nicht ablenken zu lassen? Was das angeht, hat die Mannschaft gegen Bremen bewiesen, dass sie diese Eigenschaften besitzt. Wir blicken nun auf so eine Phase, in der wir nicht gepunktet haben. Gerade ist es sehr heftig, im letzten Spiel war es fast schon dramatisch. Es gilt nun, nicht in eine negative Gedankenspirale zu kommen und sich nicht in Selbstmitleid zu begeben.
Sie waren in alle wichtigen Entscheidungen Ihres Vorgängers Sebastian Schindzielorz eingebunden. Hätte der VfL nach den frühzeitig bekannt gewesenen Abgängen von Armel Bella Kotchap und Maxim Leitsch nicht einen schnelleren Innenverteidiger holen müssen?
Fabian: Man darf nicht vergessen, dass wir in der Hinrunde viele unserer Punkte mit Erhan Masovic und Vasileios Lampropoulos geholt haben – die sind beide noch hier. Von daher ist es mir zu einfach, wenn man sagt, dass zwei Spieler gegangen sind und alles nun daran hängt. In Ivan Ordets und Dominique Heintz haben wir zwei erfahrene Spieler verpflichtet. Wenn es nur an der Geschwindigkeit liegen sollte, dann könnten wir ja zwei Sprinter aus der Leichtathletik holen und hätten das Problem gelöst. Das ist der verkehrte Ansatz. Also müssen wir überlegen, wo man im Gesamtkonstrukt Dinge nachjustieren kann, damit wir wieder Stabilität haben. Natürlich sind Spieler wie Armel und Maxim nicht leicht zu ersetzen. Wenn finanziell besser aufgestellten Vereine unsere Spieler wegkaufen, müssen wir uns neu erfinden, kreativ sein und mit unseren Mitteln Lösungen finden, die von der Gemeinschaft aufgefangen werden.
Den Fans ist schwer zu erklären, dass man rund 16 Millionen Euro durch Transfers eingenommen hat, aber dennoch kaum investieren kann.
Fabian: Auch wenn wir keine Summen kommentieren, verstehe ich da jeden Fan. Fußball ist ein emotionales Geschäft, gerade hier im Ruhrgebiet, wo täglich alles rauf- und runterdiskutiert wird. Dennoch haben wir investiert, auch wenn es nur in kleinere Ablösen war oder in entsprechende Gehälter. Der Etat ist um sechs Millionen Euro auf 30 Millionen Euro gestiegen. Zudem müssen wir auch immer das Zweiligaszenario abbilden. Darüber hinaus haben wir noch Lasten aus der Pandemie zu stemmen. Ein Jahr Bundesliga tut gut – hilft aber weitem nicht, um elf Jahre Zweite Liga auszugleichen.
Ärgert Sie es, dass die sportliche Krise Ihren Einstand überlagert?
Fabian: Dass jemand mit so einer Vita und in einem einzigen Klub alles erlebt hat, kommt im Fußball nicht häufig vor. Allerdings spielt das gerade keine Rolle, weil es andere Themen gibt, die aktuell relevant sind.
Warum trauen Sie sich den Job zu?
Fabian: Ich bin bereit, den Weg des Vereins der vergangenen Jahre, mit dem ich mich voll identifizieren konnte, fortzuführen. Darüber hinaus kann ich Ideen und Impulse einbringen, sowohl fachlich als auch von der Denkweise. Ich bin lernwillig und kommunikativ. Gleichzeitig bin ich klar bei meinen Ideen. Ich glaube, dass diese Eigenschaften im Job nicht von Nachteil sind. Ich habe große Neugier und einen großen Reiz gespürt, diese Aufgabe anzunehmen – obwohl ich weiß, dass auch solche Phasen dabei sind, wie wir sie gerade erleben. Aber ich versuche nicht in Problemen zu denken, sondern sie zu lösen.
Sie im Alter von 34 Jahren zum Sport-Geschäftsführer zu ernennen, ist ein Vertrauensvorschuss.
Fabian: Auf jeden Fall. Ich kann ja nicht leugnen, dass ich mit 34 nicht die Erfahrungen eines 58-Jährigen habe. Ich bin aber auch der Meinung, dass eine gewisse Unbekümmertheit nicht schädlich ist. Erfahrungen kann man nur durch Erlebtes machen. Mein Leben lief auch nicht wie ein Spaziergang durch Disneyland. Ich habe einiges wegstecken müssen, unabhängig von den Verletzungen, auch im privaten Bereich. Wichtig ist, sich a) immer wieder zu reflektieren, b) dazulernen zu wollen, c) sich Meinungen anderer anzuhören und nicht beratungsresistent zu sein und d) in dieser Position eine gewisse Entscheidungsfreude zu haben.
Was hat Ihnen Ihr Vorgänger Sebastian Schindzielorz mit auf den Weg gegeben?
Fabian: Er ist genau wie ich ins kalte Wasser geworfen worden und musste seine Erfahrungen sammeln. Da lief vermutlich auch nicht alles glatt. Bei mir wird es nicht anders sein, dafür ist der Bereich, in dem wir arbeiten, viel zu dynamisch. Er liefert Woche für Woche neue Ergebnisse. Sesi hat durch eine gewisse Nüchternheit Ruhe ausgestrahlt, sich nicht von Emotionen leiten lassen. Man nimmt viel mit, hätte das eine oder andere vielleicht anders gemacht – was aber ganz normal ist, denn jeder setzt seine Schwerpunkte anders.
Welche wollen Sie setzen?
Fabian: Ich bin ein Freund der Nachwuchsförderung. Die Vakanz der Position des Talentwerk-Leiters möchte ich inhaltlich relativ zügig regeln und dann mit allen Beteiligten kreativ und lösungsorientiert nach vorne blicken.
Und bei den Profis: Was ist Ihre Philosophie?
Fabian: Ich möchte die Philosophie weiterführen, die zum Klub, zu den Fans und zur Stadt passt: eine hohe Intensität, ein sehr athletisches Spiel, viel Zug zum Tor und damit die Zuschauer emotionalisieren und mitnehmen. Wichtig ist mir: Der VfL Bochum war, ist und wird keine One-Man-Show, sondern immer eine Gemeinschaft sein.