Bochum. Der VfL Bochum verliert Torwart Tjark Ernst an Hertha BSC. Sportlich ein sinnvoller Wechsel, zugleich bitter für den VfL. Einordnung und Folgen.

Es ist ein Wechsel aus sportlich nachvollziehbaren Gründen. Tjark Ernst, U19-Nationaltorwart des VfL Bochum, verlässt den Bundesligisten. Der 19-Jährige absolvierte am Dienstag den Medizincheck beim Ligakonkurrenten Hertha BSC. Mit der offiziellen Verkündung des Transfers ist an diesem Mittwoch zu rechnen.

Ernst stand in Bochum noch ein Jahr bis zum Sommer 2023 unter Vertrag. Der VfL kassiert von der Hertha eine Ablösesumme. Sie dürfte im sechsstelligen Bereich liegen – mit der Aussicht auf übliche Zuschläge im Erfolgsfall und einer handelsüblichen Beteiligung bei einem Weiter-Transfer in der Zukunft.

An Manuel Riemann und Michael Esser kommt Tjark Ernst noch nicht vorbei

Tjark Ernst war im Bochumer Kader die Nummer vier: Manuel Riemann (33) ist gesetzt, sein Vertreter ist ganz klar Michael Esser (34). Zwei gestandene Erstliga-Torhüter, an denen Ernst in der kommenden Saison nicht vorbei gekommen wäre. Auch Paul Grave (21) ist in der Rangfolge noch vor Ernst platziert.

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Der Jungprofi trainierte bereits in der vergangenen Saison bei den Profis auf höchstem Niveau mit und sammelte in der A-Junioren-Bundesliga Spielpraxis. Wobei es aufgrund der Einfachrunde, einer DFB-Maßnahme als Folge der Corona-Pandemie, nur 16 Liga-Partien gab. In diesen 16 Partien kassierte Ernst nur neun Gegentore – und spielte zehn Mal zu Null.

Jetzt ist Ernst der U19 entwachsen. Es drohte ihm ein Trainingsjahr ohne Spielpraxis.

Der Knackpunkt für Ernst: Bochum hat keine zweite Mannschaft

Denn anders als die Hertha hat der VfL Bochum keine U23- oder U21-Mannschaft. Diese wurde aus Kostengründen bereits 2015 abgeschafft. Mindestens 1,5 Millionen Euro würde eine solche zweite Mannschaft den VfL in der Regionalliga kosten. Zu viel, auch für heutige Verhältnisse.

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An dieser Grundhaltung hat sich beim VfL nichts geändert. Zu wenige Talente, so die Argumentation, schaffen über den Umweg U23 den Sprung in 1. oder 2. Liga. Wer stark genug ist, packt es bereits während oder direkt nach seiner A-Jugend-Zeit.

Boboy will es über den Umweg Schalke II noch zum Profi packen

Andere Klubs sehen das anders, können sich eine zweite Mannschaft aber auch eher leisten. Wie der FC Schalke 04. Zu den Knappen wechselte Ernst’ A-Jugend-Kollege Verthomy Boboy. Der Innenverteidiger hofft, es über die Schalker Regionalliga-Mannschaft noch zum Profi zu schaffen. In Bochum traute man Boboy diesen Sprung in die Bundesliga noch nicht zu.

Hat seit zwei Jahren kein Pflichtspiel mehr für den VfL Bochum bestritten: Paul Grave (21).
Hat seit zwei Jahren kein Pflichtspiel mehr für den VfL Bochum bestritten: Paul Grave (21). © RHR-FOTO | RHR-FOTO / Dennis Ewert

Für Tjark Ernst jedenfalls ging und geht es um Spielpraxis. In jungen Jahren will er sich weiterentwickeln, auch: aus Fehlern lernen können im Erwachsenenbereich. Diese Chance soll er bei Hertha BSC II in der Regionalliga Nordost bekommen, wenn er sich denn sportlich durchsetzt.

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Eine Leihe bei vorheriger Vertragsverlängerung wäre auch eine denkbare Option gewesen. Dann aber nicht zu einem Bundesligisten, für den solch ein Geschäft keinen Sinn ergibt. Heißt: Das erstklassige Training mit Top-Torhütern hätte Ernst als Spieler eines Regionalligisten wie beispielsweise dem Wuppertaler SV nicht erhalten. Und nach der Vertragsverlängerung mit Manuel Riemann ist auch klar, dass Bochum langfristig auf seine alte und neue Nummer eins setzt. Keine gute Perspektive für das Talent.

Zahlreiche U-Nationaltorhüter spielen bei Hertha BSC

Trainieren wird Ernst nun bei den Profis der Hertha unter Torwart-Trainer Andreas Menger. Und: Ernst ist nicht der einzige Berliner Torwart, der zu DFB-Auswahlteams zählt. Auch U18-Torwart Robert Kwasigroch und U17-Keeper Tim Goller spielen bei Hertha BSC. Der Sohn des in Bochum längst heimisch gewordenen früheren VfL-Profitorwarts und -Sportvorstands Thomas Ernst ist aktuell Torwart der U19-Nationalmannschaft. Er führte die Mannschaft bei der 0:1-Niederlage in Dänemark am 11. Mai sogar als Kapitän aufs Feld. In seinem Jahrgang gehört er zu den besten Torhütern.

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Nach Leitsch verliert Bochum erneut ein langjährig ausgebildetes Talent

So nachvollziehbar der Wechsel ist aus sportlicher Sicht, so ist er doch bitter für Bochum. Denn der VfL verliert in dieser Transferperiode nach dem bereits gestandenen Innenverteidiger Maxim Leitsch (24/wechselt für 3,5 Millionen Euro zum FSV Mainz) den zweiten Spieler mit Herzblut für den Klub, der von Kindesbeinen an für den VfL am Ball war. Der 1,93 Meter große Ernst ist aufgewachsen in Bochum, , er identifiziert sich sehr mit dem VfL, wagt nun aber den nächsten Schritt in der Hauptstadt.

Nur bei einem Grave-Wechsel müsste Bochum noch einen Torwart verpflichten

Bochum ist damit aber nicht zwingend auf Torwartsuche – sofern der ebenfalls hochbegabte Paul Grave nicht ausgeliehen wird. Grave, der auch aus dem VfL-Talentwerk stammt, hat nun seit zwei Jahren als Jungprofi keinen einzigen Pflichtspieleinsatz absolvieren können. In der vergangenen Spielzeit bremste ihn zudem eine Schulterverletzung lange aus. Sollte der 21-Jährige einen Verein finden, bei dem er spielen kann, wäre auch hier ein Wechsel für seine Entwicklung sicherlich sinnvoll.

Im Training arbeitet Bochums Torwart-Coach Peter Greiber gerne auch mit vier Torhütern. Bei Bedarf hinzustoßen können nach aktuellem Stand die A-Jugend-Keeper Finn Kotyrba, Hugo Rölleke und Ricardo Fischbach, die zum Team von U19-Coach Heiko Butscher zählen.