London/Bochum. Beim VfL Bochum war er nur Ergänzungsspieler, in England startet Vitaly Janelt seit zwei Jahren durch. Er steht auch im Fokus von Hansi Flick.

Fast schon hat diese Geschichte einen Hauch zu viel Kitsch. Sie beginnt Ende Februar des Jahres 2020. Es sieht nicht gut aus für den VfL Bochum im Kellerduell mit Dynamo Dresden. Nach 90 Minuten steht es 1:1 unentschieden. Tabellenplatz 15, beim Zweitligisten geht Abstiegsangst um.

Dann schraubt sich Vitaly Janelt in die Luft.

Natürlich kann sich der 23-Jährige noch genau an den Moment erinnern, als er den Ball in der dritten Minute der Nachspielzeit ins Dresdner Tor geköpft hatte. „Es ist immer noch ein geiles Gefühl“, sagt er am Telefon. „Jeder wusste, in welcher schwierigen Situation wir damals waren – aber wir sind gemeinsam daraus gekommen.“

Mehr als zwei Jahre sind seitdem vergangen, und auch die Fußball-Welt ist nun eine andere: Bald nach dem Spiel in Dresden kam Corona. Der VfL schaffte schließlich den Klassenerhalt. Janelt verließ den Klub. Bochum stieg ohne ihn auf.

Und doch sind beide Gewinner.

Vitaly Janelt steht auf dem Radar von Hansi Flick

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„Ich finde überragend, dass es für alle Seiten auch danach so gut gelaufen ist. Schließt sich eine Tür wie in Bochum, öffnet sich woanders eine andere“, meint der Mittelfeldspieler. Hinter dieser verbarg sich für Vitaly Janelt der englische Fußball: „Es ist immer noch surreal, wie es in den vergangenen anderthalb Jahren für mich gelaufen ist.“

Im Schnelldurchlauf: Europameister mit der U21, Aufstieg in die Premier League mit dem FC Brentford und dort Stammspieler, Torschütze gegen den FC Liverpool, doppelter sogar gegen Champions-League-Sieger FC Chelsea, Duelle mit Cristiano Ronaldo, Vertragsverlängerung bis 2026, plötzlich unter Beobachtung von Bundestrainer Hansi Flick. Kindheitsträume, die in Erfüllung gegangen sind. Aber: „Ich bin nicht derjenige, der im Rampenlicht stehen muss. Das ist nicht meine Art“, sagt der gebürtige Hamburger. „Man freut sich aber natürlich trotzdem über das Lob.“

Janelts Leistungssprung vom Ergänzungsspieler bei einem abstiegsbedrohten Zweitligisten zur Stammkraft in der mutmaßlich besten Fußball-Liga der Welt ist beachtlich. Natürlich, sagt Janelt, habe er immer an sich geglaubt, war er von seinem Talent überzeugt. „Dass ich das Glück auf meiner Seite hatte und es so gut läuft, hätte ich auch nicht für möglich gehalten“, sagt er. Auf der Insel sei er gereift – sportlich wie menschlich. Neue Sprache, intensiverer Fußball.

Mitspieler von Vitaly Janelt ist Christian Eriksen

Viel Eingewöhnungszeit im neuen Job brauchte Janelt nicht. Nach wenigen Partien in der Championship, der zweiten englischen Liga, war er aus Brentfords erster Elf nicht mehr wegzudenken. Jeden vierten Tag ein Spiel. „Natürlich ist das hart, zum Trainieren hat man kaum Zeit. Und wenn, dann ist es nur regeneratives Training. Sonst heißt es: Wettkampf, Wettkampf, Wettkampf“, beschreibt Janelt die Championship-Liga. „Du hast 46 Spiele im Jahr – ohne Pokal oder Play-offs. Nirgendwo anders bekommst du als jüngerer Spieler diese Plattform.“

Es hat sich ausgezahlt. Auch in dieser Saison läuft es für Brentford im Tabellenmittelfeld blendend, das 0:0 gegen Tottenham zuletzt war ein wichtiger Punktgewinn. Montag geht es zu Manchester United und Ronaldo ins Old Trafford (21  Uhr/Sky). Dank hoher TV-Erlöse konnte Brentford investieren. „Als Aufsteiger hast du die Chance, sofort konkurrenzfähig zu sein und gestandene Spieler zu verpflichten“, sagt Janelt. Im Winter stieß Christian Eriksen (30) zum Team. Der dänische Nationalspieler war 2021 bei der EM im Vorrundenspiel gegen Finnland auf dem Platz kollabiert, danach wurde ihm ein Defibrillator implantiert. In Deutschland seien solche Transfers für Aufsteiger nicht machbar – weshalb es schwieriger sei, sich zu etablieren. „Bochum hat es jetzt gut gemacht. Aber man sagt ja, dass das zweite Jahr nach dem Aufstieg das schwierigere wird.“

Der Mittelfeldspieler drückt aus London die Daumen. Mit einigen Bochumern wie Manuel Riemann hat Janelt eine Chatgruppe, versucht so viele VfL-Spiele wie möglich im Fernsehen zu schauen. „Man bekommt immer nur den Respekt zurück, den man anderen Menschen oder auch Vereinen erweist“, sagt Janelt. „Bochum ist wie Brentford eine Familie. Ich habe nur gute Erinnerungen an den Klub, auch wenn ich nicht Stammspieler gewesen bin.“ Verbunden bleiben sie auch über das Spiel in Dresden.