London. Kevin-Prince Boateng kehrt mit dem FC Schalke 04 zur Champions-League-Vorrundenpartie gegen den FC Chelsea an seine alte Wirkungsstätte London zurück. Aus dem Halbstarken von einst ist ein Fußball-Weltstar und Botschafter gegen Fremdenhass geworden.
Kevin-Prince Boateng genoss seine Rückkehr nach London sichtlich. Erstmals seit Wochen fragte niemand nach seinem lädierten Knie. Stattdessen wollten die englischen Journalisten vom Zehn-Millionen-Einkauf von Schalke 04 wissen, wie er sich seit seinem Gastspiel auf der Insel verändert habe oder was er an London vermisse. Der 26-Jährige plauderte am Vorabend des Champions-League-Spiels beim FC Chelsea munter über seine Schwierigkeiten in Tottenham, "das gute Essen und das gute Nachtleben" in der Hauptstadt und die "multikulturelle Atmosphäre".
Einmal wurde er ernst. Als er nach den rassistischen Anfeindungen gegen Yaya Toure in Moskau gefragt wurde, blickte er in die Runde und sagte: "Wir müssen alle helfen - wir, die Spieler, und die Medien. Es ist unglaublich, dass 2013 solche Sachen passieren." Der ivorische Kapitän von Manchester City war im Champions-League-Spiel bei ZSKA Moskau durch Affenlaute verunglimpft worden.
Boateng sorgte in Mailand für Aufsehen
Boateng kennt die Situation. In seiner Zeit beim AC Mailand sorgte er für Aufsehen, als er nach rassistischen Beschimpfungen in einem Testspiel seine Mitspieler vom Platz führte. "Es tut mir leid für Yaya Toure", sagte er.
Sein Einsatz gegen Rassismus, der ihn bis vor die Vereinten Nationen in Genf brachte, zeigt, wie sehr sich der gebürtige Berliner in den vergangenen Jahren gewandelt hat. Das Ghetto-Kid aus Wedding, das nach seinem berüchtigten Foul gegen Michael Ballack zur kollektiven Hassfigur wurde, ist zum Weltstar gereift, der über den Fußball hinausblickt.
In London lernten sie damals noch den unreifen, wilden Boateng kennen. "Es war eine schwierige Zeit", sagte der Deutsch-Ghanaer über seine Zeit bei den Spurs von 2007 bis 2009: "Ich war jung, so viel Geld - ich habe einige falsche Entscheidungen getroffen." Die Trips durchs nächtliche London schienen wichtiger als die Arbeit auf dem Fußballplatz.
Von seinem zweiten England-Intermezzo in Portsmouth - nach einem Kurzaufenthalt bei Borussia Dortmund - blieb vor allem das Bild als Brutalo in Erinnerung. Das Foul im FA-Cup-Finale am 15. Mai 2010 gegen den FC Chelsea, das Nationalmannschaftskapitän Ballack um die WM-Teilnahme brachte, machte ihn in seiner deutschen Heimat zum Staatsfeind.
Warum er nicht nach England zurückgekehrt sei, wurde Boateng gefragt. "Ich wollte nach Hause, zu meinem kleinen Jungen", antwortete er. Und welche Angebote es aus der Premier League gegeben habe, könne nur sein Berater sagen, meinte er und grinste.
Auf "Jule" lässt Boateng nichts kommen
In England hat man registriert, wie sehr der einstige Rüpel zur Führungspersönlichkeit geworden ist. Er nehme diese Aufgabe gerne an, auch auf Schalke, sagte er: "Aber ich bin der Letzte, der kommt und sagt: Ich will jetzt hier der Boss sein."
Wie ernst er die Rolle als Leader nimmt, bewies er, als er nach Schalkes Jungstar Julian Draxler gefragt wurde. "Wenn Jule nicht in jedem Spiel in Tor macht, ist es sofort eine Formdelle", merkte Boateng süffisant an und lobte den 20-Jährigen in den höchsten Tönen: "Ich sage es nochmal: Er ist das größte Talent in Deutschland in seinem Alter."
Als er den Presseraum im Stadion an der Stamford Bridge verließ, mag er sich gewundert haben, warum die eine Frage diesmal ausblieb. Sein linkes Knie, das ihn zuletzt zu einer Pause gezwungen hatte, war ausnahmsweise kein Thema. Nach der Behandlung in München am lädierten Meniskus hatte Boateng beim 2:0 bei seinem Ex-Klub Hertha BSC fast 90 Minuten durchgespielt - ohne Probleme. Zumindest die Rückkehr nach London trübte seine "Schwachstelle" nicht. (sid)