Enschede/Essen. Sein erstes Heimspiel für Schalke 04 bestritt Youri Mulder 1993 gegen Borussia Dortmund. Beim 1:0 erzielte Mulder das Siegtor. Vor dem Revierderby haben wir uns mit Mulder unterhalten - über Jens Keller, Mike Büskens und natürlich die “Eurofighter“.
Youri Mulder ist ein idealer Gesprächspartner, um vor dem Revierderby gegen Borussia Dortmund die aktuelle Situation auf Schalke zu analysieren. 176-mal trug der ehemalige niederländische Nationalspieler in der Bundesliga das Trikot der Königsblauen, erzielte sein erstes Tor für S04 gegen den BVB und gewann 1997 unter Huub Stevens den größten Titel der Vereinsgeschichte.
Doch der heute 43-Jährige, der vor allem Landsmann Klaas-Jan Huntelaar intensiv verfolgt, kennt auch die andere Seite der Medaille: Gleich zweimal übernahm der einstige Assistent von Fred Rutten zusammen als Interimsgespann mit „Eurofighter“ Mike Büskens das Ruder bei den Schalkern. Mulder kann sich also sehr gut in die Lage von Jens Keller hineinversetzen und weiß, wie es ist, wenn man als junger Trainer die Verantwortung für einen Traditionsverein übernimmt.
Derzeit ist Mulder Co-Trainer beim FC Twente, der eine ähnliche Spielzeit wie die Knappen durchlebt. Nach einem sehr guten Saisonbeginn geriet das Eredivisie-Team in eine Abwärtsspirale und mit dem Ex-Wolfsburger Steve McClaren wurde vor kurzem ebenfalls der Trainer verabschiedet, dem der größte Erfolg der Vereinsgeschichte gelang: der Meistertitel 2010.
Mulder, der als TV-Experte regelmäßig für den niederländischen Rundfunk im Einsatz ist, wird im nächsten Jahr alle nötigen Papiere für den Uefa-Trainerschein gesammelt haben. Der gebürtige Brüsseler kann sich vorstellen, in Zukunft als Cheftrainer in Deutschland oder den Niederlanden zu arbeiten. Mit WAZ.de sprach er vor dem Revierderby über seinen Ex-Klub.
Herr Mulder, Sie können sich sicher sehr gut in die Lage von Jens Keller hineinversetzen. Wie war das damals als junger Trainer, als Sie auf einmal gemeinsam mit Mike Büskens die Verantwortung für die S04-Profis übertragen bekommen haben?
Mulder: So eine Aufgabe ist auch für einen jungen Trainer machbar. Mike hatte einen riesigen Erfahrungsschatz und lange die zweite Mannschaft trainiert. Ich war noch recht unerfahren. Ich denke, dass wir ein gutes Duo waren und auch in der zweiten Phase mit Oliver Reck gut zusammengearbeitet haben. Ich hatte das Gefühl, wir hatten eine sehr frische Ausstrahlung auf die Mannschaft. Wir waren eine Art Schmerzmittel für den Verein: Der Mief musste raus und wir sollten frischen Wind hineinbringen. Diese Aufgabe hat sehr viel Spaß gemacht.
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Waren Sie enttäuscht, als es zu Ende ging? Zumal die Resultate gestimmt haben.
Mulder: Nun ja, beim ersten Mal sind wir für sechs Spiele eingesprungen, als schon bekannt war, dass Fred Rutten übernehmen wird. Das wussten wir natürlich und das war okay. Beim zweiten Mal wurde Magath Trainer. Wir haben damals die ersten vier Spiele gewonnen, auch auswärts bei den Bayern. Wieder lief es gut und die Mannschaft hatte signalisiert, dass sie gerne mit uns weitergearbeitet hätte. Warum muss ein neuer Trainer her? Und dann stand Magath vor der Tür, mit dem sich der Verein beschäftigt hatte. Ein paar Mal hatte man bei der Trainerfrage kein Glück, also musste ein großer Name her, der klar Schiff machen sollte. Ich hatte den Eindruck, dass die Vereinsführung nicht schon wieder ein Risiko eingehen wollte. Ich glaube, die Fans und Spieler hätten uns das Vertrauen geschenkt. Aber ich war auch nicht enttäuscht, denn ich wusste, dass ein anderes Schalke her sollte mit einem großen Namen: Magath. Allerdings war ich sehr enttäuscht, dass Mike, der wie ich sehr lange für den Verein gespielt hat und danach noch Trainer dort war, ebenso beurlaubt wurde, obwohl wir dem Verein zweimal geholfen haben. Aber nicht nur wir, sondern auch Physiotherapeuten und andere Trainer wurden rücksichtslos vor die Tür gesetzt. Das war hart, Schalke-unwürdig. Ich denke, dass man hinterher auch das Gefühl hatte, dass dies keine gute Entscheidung war. Aber das liegt lange zurück.
Keller-Befürworter Mulder sieht in Draxler auf der Zehn eine „Offenbarung“
Jetzt ist Jens Keller Übergangstrainer des neuen Schalke.
Mulder: Die ersten Wochen sind immer schwer für einen Trainer, aber auch für Außenstehende, die ein Urteil fällen wollen. Ich fand aber vor allem gegen Galatasaray, dass er taktisch sehr gute Lösungen parat hatte. Draxler auf Zehn, das ist eine echte Offenbarung. Das passt und hat Keller gut gesehen. Bastos ist ein guter Transfer, dadurch kann Draxler in die Mitte. Auf der rechten Seite, wo Sneijder spielte, konnte Schalke ordentlich Druck machen. Taktisch sah das gut aus. Diese Linie wurde fortgesetzt, darf man nach dem 4:1 in Wolfsburg festhalten. Gut, in Mainz spielte man noch Remis, aber das ist auch ein schwieriger Gegner, vor allem wenn sie ein Heimspiel haben. Ein Konzept ist erkennbar mit ganz viel Spielkultur. Das finde ich schön und das passt zu Schalke. Guter Fußball muss her. Dafür steht Jens Keller.
Ist Keller jemand, mit dem Schalke langfristig in See stechen sollte?
Mulder: Nun ja, zwei Jahre sind heute auf Schalke schon „langfristig“ (lacht). Wenn ich sehe, wie er die Mannschaft auf die Gegner einstellt und taktisch aufstellt, kommt er für mich als sehr guter Trainer rüber. Wenn er diese Linie fortsetzen könnte, wäre das jemand auf lange Sicht. Ich würde ihm auch kommende Saison die Chance geben. Es läuft doch gut. Eine Linie ist erkennbar.
Was hielten Sie eigentlich von der Stevens-Entlassung, mit dem Sie ja schließlich lange und erfolgreich zusammengearbeitet haben?
Mulder: Huub ist ein guter Trainer, aber ich kann mir von außen kein Urteil über die Entscheidung bilden.
Haben sie noch Kontakt zu anderen Eurofightern?
Mulder: Ja, mit Marc Wilmots, weil wir in Twente mit Chadli einen belgischen Nationalspieler haben. Man begegnet sich manchmal. Mit Andreas Müller halte ich den Draht, mit Mike smse oder telefoniere ich gelegentlich. Oliver Reck habe ich ein paar Mal gesehen. Das ist schön. Zuletzt spielten wir gegen Hannover, da habe ich dann lange mit Christian Pander gesprochen. Toll, wenn man die Jungs wiedersieht!
Wäre Büskens der ideale Kandidat, falls sich der Verein gegen eine Weiterarbeit mit Jens Keller entscheidet?
Mulder: Ich denke, das würde passen. Ich kenne Mike, er hat es in Fürth sehr stark gemacht. Er hat sie von der Abstiegszone der 2. Bundesliga ins Oberhaus geführt. Aber im Moment ist Keller Trainer, Schalke macht es gut. Ich würde einfach mit ihm weitermachen. Das Schalker Spiel gefällt mir besser jetzt: Sie wirken fit, die Spieler strahlen Power aus. Das sehe ich gerne: Ein kraftvolles Schalke. Dafür steht Jens Keller. Kraftvoll, sowohl im Sinne der Physis, als auch fußballtechnisch. So lange es gut läuft, möchte ich mich nicht für einen anderen Trainerkandidaten aussprechen. Aber Mike wäre in Zukunft jemand, der Schalke trainieren könnte, sicher.
Huntelaar steckt in dieser Saison eine große Formkrise. Wie erklären Sie sich das als alter S04-Stürmer?
Mulder: Sechs Bundesligatore stehen im schrillen Kontrast zum letzten Jahr. Aber da muss jeder Stürmer einmal durch. In dem einem Jahr ist jeder Schuss ein Treffer, im anderen hat man es einfach schwerer. Das ist ein unerklärliches Phänomen. Er war verletzt, nicht fit, das hat sicher eine Rolle gespielt. Aber schon davor lief es nicht gut. Vielleicht lag es wirklich an den vielen Diskussionen um seinen Vertrag. Das lenkt dann doch ab. Auch in der Nationalmannschaft muss er sich nun ganz klar hinter van Persie einreihen. Aber es ist nicht gesagt, dass dies immer so bleiben muss.
Youri Mulder traut Schalke den Halbfinaleinzug in der Champions League zu
Nächste Woche findet das Rückspiel gegen Galatasaray statt. Zieht Schalke ins Viertelfinale der Champions League ein?
Mulder: Ja, Schalke kommt weiter. Schalke hat einfach mehr gezeigt und ist wie eine Mannschaft aufgetreten. Galatasaray hatte das nicht. Wenn man Sneijder auf links platziert mit davor zwei Stürmern, das geht nicht. Man muss auch auf die Defensive achten und seine Seite war viel zu offen. Darum war Kellers Wahl mit Höger sehr clever.
Welche persönlichen Revierderby-Momente sind Ihnen in Erinnerung geblieben?
Mulder: Natürlich mehrere Momente, vier ganz besonders: 1.) Als ich zum ersten Mal als Spieler das Parkstadion betreten habe. Mein erstes Heimspiel war direkt gegen Dortmund. Wenn man mit der Rolltreppe herunterfährt, erscheint ganz langsam vor einem das Stadion. Gegen Dortmund natürlich volles Haus. 2.) Im selben Spiel, in der 79. Minute: Prächtige Vorlage von Ingo Anderbrügge, der Ball kommt, ich köpfe ihn an Stefan Klos vorbei – und das Stadion explodiert. 1:0, mein erstes Heimspiel, ein Revierderby, ich erziele das Siegtor. Das vergisst man nie. Besser kann man seine Karriere bei Schalke nicht beginnen. Das war 1993. 3.) Ein paar Jahre später habe ich auch ein schönes Tor gegen Dortmund erzielt, wieder zuhause, wieder Vorlage Ingo Anderbrügge. Volley ins lange Eck, ein toller Moment. 4.) Was ich noch in Erinnerung behalten habe: Das war, als das Stadion vom BVB noch nicht ausgebaut war. Da stand ich während einer Ecke mit unserem Torwart Jens Lehmann im Strafraum und sollte einen der Pfosten bewachen. Jens schrie sich die Seele aus dem Leib, doch ich konnte ihn nicht hören. So enorm war die Geräuschkulisse dort vor der Südtribüne, unglaublich. Die Atmosphäre war immer atemberaubend, vor allem im Parkstadion.
Wie waren damals die Spiele gegen Dortmund?
Mulder: Immer schwer. Dortmund war damals stärker. Anfang/Mitte der Neunziger hatten sie eine super Mannschaft mit Sammer, Möller, Julio Cesar, Reuter, Riedle. Der BVB gewann damals auch öfter. In dem Jahr gelang uns aber der Sieg.
Was denken Sie, wer wird dieses Mal die Nase vorn haben?
Mulder: Nun, Dortmund hat ein schweres Match in den Knochen, aber gut gespielt. Die werden so oder so etwas aus dem Achtelfinale der Champions League mit ins Derby nehmen. Aber Schalke spielt zuhause und hat wieder zu sich und seinen Stärken gefunden. Ich denke, Schalke wird gute Antworten auf Dortmunds Stärken haben. Schalke hat das Zeug, Dortmund weh zu tun. Bastos, Farfan, Huntelaar und Draxler dahinter – Schalke hat eine gute Offensive.
Auf welchem Platz beendet Schalke die Saison?
Mulder: Der vierte Platz wird schwer, auch wenn zwei Punkte Rückstand zu packen sind. Aber ich hoffe vor allem, dass sie weit in der Champions League kommen. Das Halbfinale ist drin, vielleicht sogar noch mehr. Natürlich hängt das von der Auslosung ab, ob Real Madrid kommt oder nicht. Ansonsten schließe ich nichts aus. Bayern München ist sehr stark, aber nichts ist unmöglich. Barcelona ist wahrscheinlich draußen und Schalke hat schonmal bewiesen, es Milan sehr schwer machen zu können. Juventus ist stark, aber vielleicht gibt es dort auch Möglichkeiten. Wenn die Schalker an dem Tag Rückenwind haben, können sie es weit schaffen. Aber erst einmal Galatasaray ausschalten.