Gelsenkirchen. Die Freundschaft mit einer Legende führte Hans-Joachim Dohm einst zum Gelsenkirchener Traditionsverein. Auch nach seiner offiziellen Pensionierung bleibt der „Schalke-Pfarrer” seinem Klub verbunden.
Lange hat er an der letzten Predigt gesessen. Hat an jedem Satz, an jedem Wort gefeilt. Alles sollte stimmen an diesem besonderen Tag, anlässlich dieses besonderen Moments. „Wir gehören zusammen”, sprach Pfarrer Hans-Joachim Dohm und die Gemeindemitglieder nickten. Es war ein Satz mit Symbolcharakter. Es war der finale Satz in Dohms Abschiedspredigt. Der Schritt in den Ruhestand.
Zusammen. Damit meinte Hans-Joachim Dohm, den sie in Gelsenkirchen-Nord allesamt nur Jochen rufen, die Kirche. Seine 7000-köpfige Gemeinde. Seine Familie. Aber auch den FC Schalke 04. Denn als Pfarrer der evangelischen Gemeinde Bismarck-West mag Dohm in Gelsenkirchen angesehen sein, bundesweiten Bekanntheitsgrad erlangte er als „Schalke-Pfarrer”. Seit 2001 betreute er mit seinem katholischen Kollegen Georg Rücker die Kapelle in den Katakomben der Arena. „Schalke hat mein Leben nicht verändert”, sagt Dohm. „Schalke hat es weiter entwickelt!”
Es wäre nicht einmal übertrieben zu sagen, dass ein Leben ohne Schalke 04 in seiner Gemeinde nur schwer vorstellbar wäre. Keinen Steinwurf entfernt liegt die Glückauf-Kampfbahn, an Spieltagen versammeln sich die Anwohner in den Fankneipen. „Wenn sie hier nicht Schalker sind, gehören sie nicht dazu”, sagt Dohm mit einem Lachen.
So musste sich auch der junge Pfarrer Dohm anfangs wohl ein wenig fremd gefühlt haben. In Wattenscheid aufgewachsen, kickte er einst auf dem Hinterhof und fieberte mit der SG 09. 1973 kam er nach dem Theologiestudium nach Gelsenkirchen, und lange dauerte es dann doch nicht, bis auch er mit den Königsblauen fieberte. Großen Anteil an der Bekehrung hatte ein Gemeindemitglied. Ein gewisser Ernst Kuzorra, der zu einem guten Freund wurde. Bald besaß Dohm Mitgliedsausweis und Dauerkarte bei den Knappen, stieß manches soziales Projekt an und ist heute Vorsitzender des Schalker Ehrenrats.
Dennoch: Sein Amt und den Verein – das wollte der 65-Jährige nie miteinander vermischen. Auch wenn im Umfeld oft vom Fußballgott gesprochen wird, ein Sieg als Erlösung gefeiert, Spieler wie Heilige verehrt und Schalke mitunter gar als Religion bezeichnet wird. „Schalke kann mich nicht erlösen, mir keine Sinnhaftigkeit im Leben geben. Das kann kein Fußballverein der Welt”, sagt Dohm. „Ich würde auch nie für einen Schalker Sieg beten. Denn dann müsste ich das ja gleichzeitig für die Niederlage des Gegners tun.”
Inzwischen können auch Berlin und Frankfurt eine Kapelle in ihren Fußballtempeln vorweisen. Doch nach wie vor kann Dohm behaupten, der erste evangelische Stadionpfarrer in Deutschland gewesen zu sein. „Es ist schön, dass über den Fußball auch die Arbeit der Kirche wieder wahrgenommen wird!”
Alleine 600 Kinder wurden in den vergangenen Jahren in der Arena-Kapelle getauft, aber „ich taufe keine Kinder in Schalke-Kleidung. Der Andachtsraum in der Arena gehört zur Kirche und ist keine Vereinskapelle. Und so ist auch die Taufe ein Bekenntnis zu Gott – nicht zu Schalke.”
Siege und Niederlage erlebte der vierfache Vater aber nicht nur als Fan im Stadion. Es gab viele schöne Momente in seinem Leben, die fröhlichen Gemeindefeste, die große Familienfreizeit in Finnland („Ein Traum”), die Fertigstellung des Gemeindehauses vor knapp zehn Jahren. Und Dohm erlebte auch die Schattenseiten des Berufs. Er trug seinen Freund Ernst Kuzorra zu Grabe, stand Familien nach schweren Verkehrsunfällen, qualvollen Krankheiten bei.
Dem FC Schalke wird Dohm nicht den Rücken kehren. Als Behinderten-Beauftragter organisiert er den Transport von Gehbehinderten, koordiniert den Einsatz von Blinden-Reportern und verteilt die Eintrittskarten für Behinderte. Doch die Gemeinde kam für ihn immer an erster Stelle. „Sie war mein Standbein, dort bin ich verwurzelt. Alles andere war ein Spielbein.”