Rheda-Wiedenbrück. Schalkes Aufsichtsrats-Chef Clemens Tönnies spricht im ausführlichen Interview mit DerWesten über Perspektiven, Preise und Putin. Und er erklärt, warum er den Bayern am Samstag im Champions-League-Finale gegen Chelsea die Daumen drückt und was er an Dortmund gut und schlecht findet.

Der Chef ist guter Laune. Nicht ohne Stolz zeigt Clemens Tönnies den Gästen in seiner Fleischfirma in Rheda-Wiedenbrück, was er unter Mitarbeiter-Motivation versteht: Auf einer Etage gibt es für die Angestellten eine Sauna, ein Fitnessstudio, einen Ruheraum, eine Lounge mit Fernseher und für den Nachwuchs eine Kindertagesstätte. Der 56-Jährige legt Wert auf Identifikation. Wie beim FC Schalke 04, der zur guten Laune seines Aufsichtsrats-Vorsitzenden auch einiges beigetragen hat.

Haben Sie Manuel Neuer schon Glück gewünscht für das Champions-League-Finale am Samstag?

Clemens Tönnies: Klar, das habe ich. Direkt nach dem Halbfinal-Erfolg der Bayern in Madrid habe ich ihm eine SMS geschickt und geschrieben: Ich bin stolz auf Dich! Er hat auch sofort geantwortet.

Sie haben noch regelmäßig Kontakt?

Tönnies: Ja, er fiebert mit Schalke, und ich glaube, dass er in seinem Inneren ewig ein Schalker bleiben wird.

Es ergibt für Schalke auch aus finanziellen Gründen Sinn, den Bayern gegen Chelsea die Daumen zu drücken.

Tönnies: Ja, aber das ist nicht vordergründig. Wir sollten am 19. Mai alle an Deutschland denken und schon allein deshalb zu den Bayern halten.

Wie viele Millionen bekommt Schalke denn noch nachträglich, wenn Manuel Neuer mit den Bayern Titel gewinnt?

Tönnies: Über Zahlen und Details sprechen wir nicht, aber es käme schon noch was. Und das wäre ganz ansehnlich.

Schalke hat sich selbst zur wirtschaftlichen Vernunft verpflichtet. Klaas-Jan Huntelaar und Jefferson Farfan hoffen aber nach dem Verlust von Raúl auf neue Stars.

Tönnies: Beide meinen damit, dass wir die eine oder andere Lücke füllen sollten. Ich habe mit Klaas-Jan bei der Abschlussfeier gesprochen und dabei gemerkt, wie sehr er an dem Verein hängt. Er hat über jede Position wie ein Trainer nachgedacht.

Sie gehen also davon aus, dass er bleiben wird.

Tönnies: Da habe ich ein gutes Gefühl.

Braucht Schalke denn neue Stars? Sucht Schalke ein neues Gesicht, einen neuen Raúl?

Schalkes Aufsichtsratschef Clemens Tönnies (Mitte) im Gespräch mit Peter Müller (l.) und Manfred Hendriock (r.).
Schalkes Aufsichtsratschef Clemens Tönnies (Mitte) im Gespräch mit Peter Müller (l.) und Manfred Hendriock (r.). © Jakob Studnar

Tönnies: Den brauchen wir nicht zu suchen, den gibt es nicht noch einmal. Wir haben doch Gesichter in unserer Mannschaft. Es wachsen ja auch neue heran, wenn ich zum Beispiel ganz aktuell an Julian Draxler denke.

War Platz drei und damit die direkte Champions-League-Qualifikation die optimale Ausbeute?

Tönnies: Es war richtig, die Mannschaft nicht mit einer Zielvorgabe zu belasten. Das wird auch die Marschroute für die nächste Zeit bleiben: Spielt beherzten Fußball – und dann schauen wir mal, was wir damit erreichen. Platz drei hätte ich zu Beginn der Saison sofort unterschrieben. Wenn du von Platz 14 kommst, ist das eine gigantische Leistung. Diese Truppe hat Charakter. Man darf ja nicht vergessen, dass sie in einem Jahr drei Trainer hatte. Und wenn es ab und zu mal danach aussieht, als könnte etwas verspielt werden, dann melde ich mich direkt bei Huub Stevens, Horst Heldt und der Mannschaft, dann sage ich: Achtung! Wie zuletzt, als der dritte Platz in Gefahr geriet.

Lässt Huub Stevens mit sich reden?

Tönnies: Bei mir akzeptiert er das. Es geht ja immer nur um den Verein.

Stevens hat viele Skeptiker überrascht und widerlegt.

Tönnies: Es gibt in Deutschland eine gute Handvoll an Perspektivtrainern, die alle einen guten Job machen. Für uns aber war Huub Stevens genau der Richtige zum richtigen Zeitpunkt. Er ist souveräner geworden, er findet die richtige Ansprache zur Mannschaft. Er ist nicht mehr stur.

Schalke will regelmäßig oben mitspielen, neue Konkurrenten wie Wolfsburg oder Hoffenheim wollen sich aber verstärken und mitmischen.

Tönnies: Ja, die Konkurrenz wird jedes Jahr größer, aber wir werden auch jedes Jahr besser.

Horst Heldt hat Verträge mit wichtigen Spielern verlängert. Ist es die schwierigste Aufgabe des Managers, die letzten nicht mehr benötigten Spieler aus der Magath-Ära auf den Transfermarkt zu bringen?

Tönnies: Bei 35 Spielern stehen zwangsläufig circa 15 nicht im Schaufenster, weil sie nicht zum Einsatz kommen. Das ist wirklich eine schwere Aufgabe. Aber da mische ich mich nicht ein, Horst Heldt arbeitet das schon fleißig ab.

Er hat nur einen Vertrag bis 2013.

Tönnies: Wer? Horst?

Ja.

Tönnies: Für mich hat er keinen befristeten Vertrag. Meine Mitarbeiter hier in meinem Unternehmen haben auch keine befristeten Verträge. Trainer tragen heute eine blaue Krawatte und morgen eine grüne. Aber ein Manager? Der muss sich doch auf lange Zeit mit dem Verein identifizieren.

Der Vertrag mit Horst Heldt könnte also in einen unbefristeten umgeschrieben werden?

Tönnies: Kein Problem. Ich glaube, dass in der Erfolgsgeschichte Horst Heldt und Schalke 04 gerade einmal die ersten Kapitel geschrieben sind. Er hat eine hohe Sozialkompetenz und ist total zuverlässig. Deshalb wäre es Unsinn, alle zwei Jahre einen neuen Vertrag zu machen.

So denkt der Schalke-Chef über die Titelverteidigung des BVB 

Sind Sie als Schalke-Chef neidisch, wenn Sie sehen, dass der Nachbar aus Dortmund schon zum zweiten Mal nacheinander Meister geworden ist?

Tönnies: Ich wäre unehrlich, wenn ich sagen würde: Es ist mir egal. Mir geht es aber nicht darum, wer Meister geworden ist, sondern dass wir es nicht geworden sind. Dortmund hat in den letzten Jahren nicht viel falsch gemacht, und wenn ich voraussagen soll, wer in der nächsten Saison den Titel holt, dann sage ich: wieder Dortmund. Aber wenn ich verfolge, wie sich manche Fans da äußern – meine Wahrnehmung ist, dass da eine abgrundtiefe Abneigung eher von Gelb auf Blau rüberkommt als umgekehrt. Und das, obwohl ich mich mit Hans-Joachim Watzke oder Reinhard Rauball ganz vernünftig unterhalten kann.

Trotz des Strategiewechsels der Klubführung hat Schalke immer noch eine erhebliche Schuldenlast.

Tönnies: Da kann ich ganz ruhig schlafen. Wenn wir heute 164 Millionen Euro Finanzverbindlichkeiten haben, werden wir die in den nächsten Jahren weiter drastisch reduzieren.

Dass die Bayern etwa 265 Millionen Euro für ihre Arena abbezahlen müssen, wird selten erwähnt. Bei Schalke wird diese Verpflichtung den Schulden zugerechnet.

Tönnies: Das ist eine Imagefrage. Bei uns hat sich der Begriff hochverschuldeter Klub eingebürgert. Dabei stehen doch Werte in Höhe von 400 Millionen Euro dagegen. Wir stehen im Forbes-Ranking der wertvollsten Klubs der Welt doch nicht zu Unrecht auf Platz zehn.

Der Hauptsponsor Gazprom wird nicht ewig einen Tabellenzweiten oder -dritten unterstützen wollen. Entsteht von dieser Seite ein neuer Titeldruck?

Tönnies: Überhaupt nicht. Natürlich sind die Gazprom-Bosse fußballbegeistert, aber sie nehmen keinen direkten Einfluss. Wenn ich Putin treffe, fragt er allerdings: Wann werden wir denn Meister? Er sagt wir! Er schaut sich alle Spiele an, er fragt sogar nach Benni Höwedes. Ob Obama den auch kennt?

Putin wollte immer schon mal nach Schalke kommen, aber er war noch nie da.

Tönnies: Der kommt noch. Das wird aber vorher geheim gehalten. Wenn er dann da ist, werden wir mit ihm mal vor dem Spiel auf den Rasen gehen. Diese einzigartige Atmosphäre soll er auch mal erleben.

Haben Sie eigentlich seine Handynummer? Können Sie ihn einfach so anrufen?

Tönnies: Das habe ich schon mal gemacht, ja. Aber natürlich nicht oft.

Ein Thema, das zurzeit für Unruhe unter den Fans sorgt, ist die Kartenpreiserhöhung.

Tönnies: Bessere Spieler, besserer Service – wir können die Entwicklung in der Liga leider nicht aufhalten. Allerdings haben wir bei sozialen Härtefällen eine Regelung gefunden, die gerade jungen Fans einen Stadionbesuch ermöglichen soll. Aber kürzlich habe ich wegen der Preise eine böse lange Mail bekommen, und den Mann habe ich mal angerufen. Ich bin dann im Vorzimmer eines Zahnarztes gelandet. Das fand ich nicht in Ordnung.

Sie bauen gerade auf Ihrem Firmengelände ein 2000 Zuschauer fassendes Stadion für die in die Bundesliga aufgestiegene Frauenmannschaft des FSV Gütersloh. Schalke muss sich doch wohl nicht etwa Sorgen machen, dass Sie Ihr Engagement verlagern?

Tönnies: Als Ostwestfale bin ich in dieser Gegend fest verwurzelt. Wir bauen hier einen Sportplatz für unsere Firmenmitarbeiter, und ich freue mich darüber, wenn hier auch die Gütersloher Frauen heimisch werden.

Dafür muss man schon ein bisschen fußballverrückt sein, oder?

Tönnies: (lacht) Man muss positiv verrückt sein.