Gelsenkirchen. .

Zehn Jahre nach dem königsblauen Trauma von 2001 kommt der frühere Schiedsrichter als Fernseh-Experte in die Arena. Er stellt seine Entscheidung von damals in Frage, bittet aber um Verständnis: Er hatte nur eine Sekunde Zeit.

Markus Merk ist nicht einfach zu erreichen. Und als er dann doch einmal ans Telefon geht, da sagt er beim Anruf aus dem Ruhrgebiet sofort, dass man doch ruhig geradeheraus zu ihm sein kann: „Sagen Sie doch gleich, dass Sie mit mir über Schalke reden wollen.“

Tja, was soll man antworten? Der Mann hat Recht.

Denn an diesem Samstag ist der Tag, an dem man sich wiedersieht, das erste Mal seit mehr als zehn Jahren. Markus Merk, der auf Schalke so beliebt ist wie das BVB-Emblem, kommt in die Arena. Der ehemalige Schiedsrichter sitzt beim Spiel gegen den 1. FC Kaiserslautern (18.30 Uhr/live im DerWestenTicker) am Expertentisch des Fernsehsenders Sky. Und er bringt die Erinnerung mit an das größte Trauma der Schalker Geschichte: an die dramatischen vier Minuten vom 19. Mai 2001. Ein Wiedersehen, das auch Merk innerlich aufwühlt: „Ich weiß, was vor zehn Jahren auf mich eingeprasselt ist“, sagt er. Und gibt zu: „Ich spüre es seit Wochen.“

Ein Schalker Spiel hat er bis zum Ende seiner Karriere als Schiedsrichter im Frühjahr 2008 nicht mehr gepfiffen, nachdem ihn ganz Königsblau für die verpasste Meisterschaft von 2001 verantwortlich gemacht hatte. Einige Male war er zwar in der Arena, nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit, weil er hier Vorträge vor ausgewähltem Publikum gehalten hat. „Aber“, berichtet Merk, „ich war noch nie vor der Nordkurve.“ Da, wo er auf dem Präsentierteller steht.

Sky stellt den Expertentisch beim Topspiel am Samstagabend an den Spielfeldrand. Diesmal wahrscheinlich vor die Südkurve mit den Gästefans. „Ich bin auf alles eingestellt“, lächelt der 49-Jährige: „Egal, ob wir vor der Kurve sind oder in der Kapelle der Arena.“ Sympathien könne er ohnehin nicht erwarten. „Ich kann nicht so tun, als wenn nichts gewesen wäre.“

Emotionale Begegnung

Merk weiß, wie Schalke fühlt und immer noch leidet. Bei einer Veranstaltung vor der WM 2006 traf er in der Gelsenkirchener Innenstadt einen Mann, der ihn anklagte. „Das war sehr emotional. Er hat fast geweint. Ich hätte ihm und seiner Familie unglaublich viel genommen“, erzählt Merk. „Das belastet mich.“

In der Sache bleibt er dabei, dass damals in Hamburg alles korrekt gelaufen sei mit dem Freistoßpfiff und der langen Nachspielzeit: „Ich kann heute in den Spiegel schauen.“ Doch Merk ist nicht so kalt, um die Gefühle der Menschen zu ignorieren. Heute spricht er von einer „Grauzone“ und erklärt so offen wie nie zuvor: „Ich verstehe jeden, der sagt: Das war kein Rückpass. Aber für mich war es einer in dieser Sekunde, in der ich entscheiden musste.“ Deswegen ist er mit sich im Reinen, auch wenn er zugibt: „Wenn ich die Entscheidung anders getroffen hätte, wäre es für mich im Leben in den letzten zehn Jahren leichter gewesen.“

Nicht nur für ihn. Auch für alle Schalker Fans. . .