Gelsenkirchen. . Schalke 04 startet am Samstag beim VfB Stuttgart in die Saison 2011/2012. Wir haben mit Trainer Ralf Rangnick über den Umbau seiner Mannschaft, Raúl und die Spitzengruppe der Bundesliga gesprochen.

Eine junge Mannschaft und eine neue Philosophie: Schalke startet mit dem Spiel in Stuttgart (Samstag, 15.30 Uhr, live im DerWesten-Ticker) runderneuert in die Saison. Ein Interview mit Trainer Ralf Rangnick über Probleme, Ziele und Prognosen.

Manager Horst Heldt hat Sie zuletzt sehr gelobt. Haben Sie das mitbekommen?

Ralf Rangnick: Wir schätzen unsere Arbeit gegenseitig und ich habe es auch registriert.

Der Manager hat gesagt, es sei nicht selbstverständlich, dass Sie als Trainer, der am Erfolg gemessen wird, den Sparkurs des Vereins so mittragen. Ist Ihnen das schwer gefallen?

Rangnick: Vor einigen Wochen war das noch nicht so abzusehen, und daher entstanden auch unterschiedliche Interpretationen. Doch wir haben jetzt den Weg der Konsolidierung eingeschlagen und werden nun gemeinsam versuchen das Bestmögliche daraus zu machen.

Am Ende der vergangenen Saison haben Sie im Interview mit dieser Zeitung die Frage aufgeworfen, ob ein personeller Umbruch im Kader in einer Transferperiode überhaupt gelingen kann. Wie ist Ihre Bilanz nun vor dem Saisonstart?

Rangnick: Es hat sich bestätigt, was ich gesagt habe. Wir haben zwar den Kader verkleinert, weil Horst Heldt einen hervorragenden Job gemacht hat. Aber trotzdem haben wir noch nicht die Konstellation im Kader, die man sich wünscht und als ideal ansieht. Auf einigen Positionen haben wir keine Doppelbesetzung, auf anderen ein Überangebot.

Auch wenn Felix Magath Ihnen einen großen Kader hinterlassen hat, dürften Sie bei einigen jungen Spielern froh sein, dass er sie nach Schalke geholt hat. Zum Beispiel bei Kyriakos Papadopoulos, der bei Ihnen gesetzt ist.

Rangnick: Ob er gesetzt ist, müssen wir noch abwarten. Aber Papa hat in seinem Spiel großes Potenzial, weil er auch körperlich sehr viel mitbringt. Im taktischen Bereich muss er noch einiges lernen, doch das geht in erster Linie über Spiele – und da hat er in der Tat alle mitgemacht, seit wir hier arbeiten.

Sechs Spieler der Elf, die wir für das erste Spiel in Stuttgart erwarten, sind 22 Jahre oder jünger. Ist das die Basis für den Fußball, den Sie auf Schalke spielen lassen wollen?

Rangnick: Es geht nicht darum, ob ein Spieler jung oder alt. Was wir vorhaben, setzt jedoch auf jeden Fall hundertprozentige Fitness voraus. Die Bundesliga-Tabelle in der vergangenen Saison hat es gezeigt, dass die Mannschaften oben standen, die bereit waren, im höchsten Tempo Laufwege zu gehen.

Wie erklären Sie einem neuen Spieler, worauf es Ihnen ankommt?

Rangnick: Es braucht zunächst eine Vorbereitung, um dem Spieler über mehrere Wochen in Theorie und Praxis klar zu machen, was auf dem Platz verlangt wird. Natürlich geht es dabei auch um Dinge wie Laufbereitschaft, Lauffähigkeit und den Willen, Wege zu gehen, die man bisher vielleicht nicht gewohnt war zu gehen. Man muss auch in der Auswahl der Spieler darauf achten, dass bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.

Wurde einmal gemessen, wie viel Ihre Spieler mehr laufen als andere?

Ralf Rangnick hofft auf einen Verbleib von Jefferson Farfan. (Foto: Martin Möller / WAZ FotoPool)
Ralf Rangnick hofft auf einen Verbleib von Jefferson Farfan. (Foto: Martin Möller / WAZ FotoPool) © WAZ FotoPool

Rangnick: Es ist keine Seltenheit, dass ein Spieler in 90 Minuten mehr als 12.000, teilweise 13.000 Meter zurücklegt. Und wenn ich an meine Mannschaft in Hoffenheim denke, mit der wir das erste Jahr in der Bundesliga gespielt haben, da haben wir schon richtig Meter gemacht. Vor allem im höchsten Tempo, denn das ist das Kriterium.

Sie sagen, dass ältere Spieler dieses Tempo mitgehen können. Trotzdem haben einige ältere ihren Stammplatz verloren und sind unterschiedlich damit umgegangen. Peer Kluge hat sich zum Beispiel beschwert.

Rangnick: Wir haben mit Peer Kluge und auch mit Mathias Schober darüber gesprochen. Es beeindruckt uns sicher nicht besonders, wenn wir so etwas in der Zeitung lesen. Das kostet ein wenig Zeit, aber es hat sicher keine Auswirkungen auf unsere Entscheidung. Peer hat sich im Nachhinein auch dafür entschuldigt – das ist damit in Ordnung, aber es darf sicher kein zweites Mal mehr geben. Egal bei wem, denn dann wird es nicht mit einer Entschuldigung abgetan sein.

Christoph Metzelder hat dagegen gesagt, er würde die jungen Spieler unterstützen. Macht er das jetzt von der Bank aus?

Rangnick: Er hat sicher den klügeren Weg gewählt. Durch eine Krankheit und eine Verletzung konnte er in der Vorbereitung einige Wochen nicht mit der Mannschaft trainieren. Deswegen ist er noch nicht wieder in der Verfassung, die er braucht.

Raul spielt immer noch. Und trotzdem gab es Gerede, er sei unzufrieden. Erleben Sie einen unzufriedenen Raul?

Rangnick: Ich erlebe ihn nicht anders als in der letzten Saison. Und er spielt auch immer noch auf exakt der gleichen Position wie in der vergangenen Saison.

Sie zählen ihn zu den Mittelfeldspielern. Haben Sie Rauls Rolle einfach nur anders beschrieben als Felix Magath, der salopp gesagt hat: Raul kann sich herumtreiben, wo er will?

Rangnick: Grundsätzlich kann er sich auch jetzt noch herumtreiben, wo er will – wenn wir den Ball haben, hat er da alle Freiheiten. Was wir versucht haben zu ändern, ist das Auftreten der Mannschaft bei gegnerischem Ballbesitz. Da haben wir einen gemeinsamen Plan entwickelt, wie man den Gegner unter Druck setzen kann. Da muss jeder seine Position einnehmen, das hat mit taktischer Disziplin zu tun. Das bringt natürlich für jeden einzelnen Spieler noch mal andere Aufgaben mit sich. Doch das betrifft nicht nur die Position von Raul, sondern auch alle anderen Spieler.

Wie weit hat das die Mannschaft schon verinnerlicht?

Rangnick: Viel mehr Lernfortschritte als die, die wir jetzt in den letzten fünf Wochen gemacht haben, habe ich nicht erwartet. Und das konnte man auch nicht erwarten, denn es ist ja für viele Spieler eine Umstellung – außer für Lewis Holtby und Christian Fuchs, die das in Mainz schon gemacht haben. Unsere anderen Spieler haben selbst gesagt, dass es in der letzten Saison nicht trainiert wurde, wie gegen den Ball gearbeitet werden soll.

Die vielleicht größte Überraschung in der Startelf ist Joel Matip. Warum ist er der beste Sechser?

Rangnick: Da muss man schon noch abwarten, wie wir wirklich spielen werden. Joel hat seine Qualitäten in der Balleroberung, er ist laufstark, und er hat trotz seiner Größe auch in der Beschleunigung das nötige Tempo. Aber er muss sich noch verbessern bei eigenem Ballbesitz.

Wann rechnen Sie wieder mit Jefferson Farfan?

Rangnick: Die Muskelverletzung, die er sich bei der peruanischen Nationalmannschaft zugezogen hat, war sehr schwerwiegend. Seit er wieder bei uns ist, hat er noch keine schnellen Läufe oder gar Sprints machen können. Wir müssen den richtigen Zeitpunkt finden, dass er nicht zu früh wieder einsteigt, denn wenn diese Verletzung noch einmal aufbricht, dann spielt er bis Weihnachten nicht. Jeffersons Verletzung ist wahrscheinlich ähnlich wie die, die Lucas Barrios in Dortmund hat. Ich weiß nicht, wie lange der ausfällt. Aber was sie gemeinsam haben: Beide haben eine lange Saison gespielt, und wenn man am Ende einer solchen Saison noch so ein großes Turnier in Südamerika spielt, kann es durchaus zu solchen Verletzungen kommen.

Farfan hat ein Angebot zur Vertragsverlängerung vorliegen. Was ist, wenn er es ablehnt?

Rangnick: Ich glaube weiter, dass man sich auf eine Vertragsverlängerung einigen kann. Wenn das nicht der Fall sein sollte, werden weiter Gespräche mit dem Spieler bzw. dessen Berater geführt, um eine für beide Seiten akzeptable Lösung zu finden. Ich gehe jedenfalls fest davon aus, dass er diese Saison auf Schalke spielen wird.

Sie wollen Schalkes Mannschaft fußballerisch weiter entwickeln – ein konkretes Saisonziel geben Sie nicht aus. Warum?

Rangnick: Weil das keinen Sinn macht. Wenn 18 Vereine vor der Saison ein Tabellenplatz-Ziel ausgeben, können Sie davon ausgehen, dass mindestens zehn Vereine das nachher verfehlen werden. Schalke war in der letzten Saison doch dafür das beste Beispiel.

Wir als Redaktion haben Schalke in unserer Prognose auf Platz drei getippt. Ist das realistisch?

Rangnick (lächelt): Vielleicht ist das regionales Wunschdenken, was ich Ihnen nicht verübeln würde. Andere haben uns auf Vier gesetzt, wieder andere erwarten uns auf Acht. Im letzten Jahr sind wir 14. geworden - das ist die Tabelle, die nicht lügt. Jetzt sind von dieser Mannschaft Manuel Neuer weg und aktuell fehlt auch noch Jefferson Farfan. Wenn Sie uns da zutrauen, von 14 auf Drei zu gehen, dann müssen wir in allen Bereichen überragende Arbeit machen…

Die Meisterschaft machen Dortmund und Bayern unter sich aus?

Rangnick: Ich glaube, dass Leverkusen schon auch noch dazuzurechnen ist. Zunächst einmal sehe ich Dortmund. Wir haben im Supercup gegen die gespielt und uns gut aus der Affäre gezogen - Und trotzdem hat man gesehen, dass sie im Moment weiter sind – sowohl in der Kaderkonstellation als auch in der Art, wie sie in den letzten zwei Jahren gearbeitet haben. Für mich ist momentan Dortmund das Maß aller Dinge in Deutschland, was den Fußball als Team angeht. Ob die Bayern mit ihren Neuverpflichtungen als Team in der Lage sind, dem BVB den Titel wirklich abzujagen, wird man sehen. Das ist eine der spannenden Fragen dieser Saison.

Menschen, die Sie seit Jahren kennen, beschreiben Sie als sehr ehrgeizig…

Rangnick: Wenn du als Bundesliga-Trainer nicht ehrgeizig bist und Erfolg haben willst, hast du in diesem Metier nichts zu suchen – ich glaube nicht, dass ich mich da von anderen unterscheide. Aber ich glaube, dass ich in den letzten Jahren, wie soll ich es ausdrücken, manche Dinge gelassener sehe.

Das ist auch unser Eindruck. Nehmen Sie sich im Vergleich zu Ihrer ersten Amtszeit auf Schalke im Moment ein bisschen zurück?

Rangnick: Man sollte aus gewissen Erfahrungen lernen und versuchen, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Ich versuche, nur noch für die Dinge Energie zu verwenden, die ich ändern oder beeinflussen kann. Hier auf Schalke gibt es gewisse Dinge, die man ändern kann – aber auch welche, die man als gegeben zu akzeptieren hat. Und da gehört eben auch die finanzielle Situation dazu.