Gelsenkirchen. Karel Geraerts soll Schalke aus dem Tabellenkeller der 2. Liga führen. Der neue Trainer lässt seine Handschrift früh erkennen. Eine Analyse.

Seit mehr als einer Woche leitet Karel Geraerts die Geschicke beim kriselnden Fußball-Zweitligisten FC Schalke 04. Der 41-jährige Belgier ist überraschend als Nachfolger von Trainer Thomas Reis verpflichtet worden. Für viele deutsche Fußballfans war Geraerts zuvor ein unbeschriebenes Blatt. Dabei hat er beim Brüsseler Stadtteilklub Royale Union Saint-Gilloise durchaus erfolgreich gearbeitet, davon aber nur eine Saison als Cheftrainer. Was zeichnet den neuen Schalke-Trainer aus und wie will er vor allem die enormen Schalker Probleme im Defensivbereich der Königsblauen beheben? Und auf welche Spieler könnte er setzen? Eine Analyse der Datenspezialisten von Createfootball liefert Antworten.

podcast-image

Schalke-Trainer Karel Geraerts setzt auf Dreierkette

Taktisch setzt der Belgier auf ein System mit Dreier- respektive Fünferkette (3-1-4-2), dessen Grundausrichtung eine sehr kompakte Defensive beinhaltet. Schon in seinem ersten Spiel mit Schalke 04 wurde das deutlich. Beim 4:1-Sieg im Testspiel am vergangenen Donnerstag gegen den niederländischen Erstligisten Heracles Almelo ließ Geraerts in diesem System agieren. Im ersten Test war zu sehen, dass es Trainer Karel Geraerts auf Schalke im eigenen Ballbesitz mit einem komplett anderen Ansatz versucht als sein Vorgänger Thomas Reis. „Ich will, dass meine Teams von hinten heraus kombinieren“, sagte er.

Karel Geraerts hat das Kommando auf Schalke übernommen.
Karel Geraerts hat das Kommando auf Schalke übernommen. © firo

Mit dem Ball ist sein Spiel durchaus variantenreich. Im Spielaufbau schiebt sich der alleinige Sechser zwischen die Innenverteidiger, die das Spielfeld breit machen und es den defensiven Außenspielern ermöglichen, weit nach vorne zu ziehen, wodurch die gegnerischen Außenverteidiger tief in ihrer Hälfte gebunden werden. Das gibt der gesamten Mannschaft mehr Raum, wodurch die eigenen Ballbesitzphasen sehr lang sind. „Mit Dreierkette haben wir mehr Optionen, hinten herauszuspielen“, lobte Innenverteidiger Marcin Kaminski die neue Formation.

Schalke 04: Mehr News und Hintergründe

Im Schnitt spielten Geraerts Mannschaften 14 Pässe pro Ballbesitzminute. Das ist viel. Sobald der Ball ins gegnerische Drittel gelangt, sorgen die Achter gemeinsam mit einem der beiden Stürmer für Überzahl und kombinieren sich mit Tempo flach vors Tor. Häufig werden dabei die Außenverteidiger miteinbezogen, dadurch bekommt das Spiel von Karel Geraerts eine gewisse Flügellastigkeit und der Gegner wird auseinandergezogen. Gegen den Ball setzt Geraerts bei Ballverlust auf ein sehr aggressives Gegenpressing. Wird der Ball allerdings nicht zurückgewonnen, lässt sich die Mannschaft im Verbund fallen und setzt vor dem eigenen Strafraum auf ein kompaktes Defensivnetz in einer 5-3-2-Struktur.

Wo liegen Schalkes Probleme in der aktuellen Saison?

Besonders sichtbar ist in dieser Spielzeit die defensive Anfälligkeit der Knappen. Die Abwehr zeigt sich extrem löchrig, kassiert knapp zwei Gegentore pro 90 Minuten, der Wert erwarteter Gegentore liegt dabei mit 22 Gegentoren noch höher als die real kassierten 20. Die Qualität gegnerischer Torchancen ist von allen Mannschaften der vier höchsten deutschen Ligen der dritthöchste Wert (0.16 xGA pro Schuss). Insgesamt lässt Schalke über 13 gegnerische Abschlüsse zu, was daran liegt, dass die Mannschaft ligaweit nach Rostock und Elversberg die drittwenigsten Defensivduelle gewinnt (57%) - trotz der von Thomas Reis eingeforderten hohen Intensität gegen den Ball. Vom Stamm des Teams gewinnen nur Thomas Ouwejan und Marcin Kaminski mehr als 60% ihrer Defensivzweikämpfe.

Karel Geraerts hat das Kommando auf Schalke übernommen.
Karel Geraerts hat das Kommando auf Schalke übernommen. © firo

Besonders schwach performt Henning Matriciani. Der U21-Nationalspieler gewinnt unterirdische 49% seiner Defensivduelle, dementsprechend anfällig präsentiert sich Königsblau über seine rechte Seite. Doch auch die Absicherung im Rückraum stimmt häufig nicht, bereits drei Mal kassierte Schalke ein Gegentor aus der Distanz, nur Osnabrück und Kiel kassierten mehr. Auch im eigenen Angriffsspiel liegt bei Schalke 04 einiges im Argen. Besonders im offensiven eins gegen eins fehlt Schalke die Durchschlagskraft. Zu selten gelingt es, im letzten Drittel den Ball zu behaupten. Daher kommt Königsblau auf unterdurchschnittlich wenige Ballaktionen im Strafraum (16,4 pro Spiel) und auch das Flügelspiel ist ineffizient, da zu wenige der vielen Flanken ankommen. So erspielt sich Schalke kaum klare Torchancen und kommt nur aus ungefährlichen Positionen zum Abschluss.

Wie gut passt Karel Geraerts zum FC Schalke 04?

Mit seinem Fokus auf eine kompakte Struktur im Spiel gegen den Ball wird Karel Geraerts Schalke helfen können und der Mannschaft in allererster Linie zu mehr Stabilität verhelfen, die das Team derzeit bitter nötig hat. Die Grundelemente seiner Spielweise unterscheiden sich dabei wenig von den Prinzipien von Thomas Reis, legt er doch wie sein Vorgänger viel Wert auf organisiertes Pressing und Umschalten nach Ballgewinn. Die hohe Intensität gegen den Ball war bisher wenig von Erfolg geprägt und sorgte dafür, dass Schalke in entscheidenden Duellen oft zu spät kam und der Gegner so Platz im Mittelfeld bekam, um Schalkes hochstehende Kette zu überspielen. Hier wird Geraerts ansetzen müssen. Gelingt es ihm, wie bei Saint-Gilloise das Gegenpressing zu perfektionieren und dafür zu sorgen, dass die Mannschaft sich nach missglückten Pressingaktionen kollektiv zurückfallen lässt, wird dies zur defensiven Stabilität beitragen und Schalke besonders im Zentrum vermehrt Bälle zurückerobern.

+++ Wer steht für Schalke im Tor? Geraerts macht’s spannend +++

Darauf ließe sich aufbauen, denn der Kader ist mit Blick auf die technischen Fähigkeiten gut besetzt, leistet sich die zweitwenigsten Ballverluste der Liga. Die Qualität am Ball ist in ausreichendem Maße vorhanden, um Angriffe ruhig aufzubauen und die Gegner im Saisonverlauf auch spielerisch zu dominieren, so dass man nicht ausschließlich auf Konter setzen muss und schwerer auszurechnen ist. Eine Qualität, die Saint-Gilloise unter Geraerts Führung stark auszeichnete.

Schalke unter Geraerts: Ibrahima Cissé könnte neue Chance bekommen

Problematisch könnte zu Beginn werden werden, dass Geraerts kein Deutsch spricht. In den ersten Wochen werden viele Gespräche geführt. Ebenfalls kritisch zu sehen ist die Tatsache, dass Geraerts bisher ausschließlich mit Dreier- bzw. Fünferkette agieren ließ, Schalke unter Thomas Reis jedoch immer aus einer Viererkette agierte. Die Umstellung könnte noch etwas Zeit kosten. Doch um die Lage bei den Königsblauen zu beruhigen, müssen sofort gute Ergebnisse her. Vom Spielermaterial her würde eine Dreierkette den offensivstarken Linksverteidigern Murkin und Ouwejan zwar entgegenkommen, jedoch fehlt sowohl Brunner als auch Matriciani auf rechts das Tempo und die Durchsetzungsfähigkeit, um als "Wing-Back" agieren zu können, was die Schalker Angriffe womöglich sehr einseitig macht. In der Dreierkette fehlt bis auf Kalas und Kaminski allen die nötige Zweikampfhärte. Möglicherweise könnte deshalb Ibrahima Cissé wieder eine Chance bekommen. Bei Saint-Gilloise verfügte Geraerts über deutlich durchsetzungsstärkere Abwehrspieler, was seinem Spielstil entgegenkam. "Die letzten zehn Tage habe ich ihn mit eigenen Augen beobachten können. Er hat Qualitäten", sagte Geraerts am Donnerstag über Cissé.

Es gibt viel zu besprechen auf Schalke: Karel Geraerts setzt auf ein neues Spielsystem.
Es gibt viel zu besprechen auf Schalke: Karel Geraerts setzt auf ein neues Spielsystem. © firo

Im Mittelfeld und der Offensive gibt der S04-Kader alles her, was Geraerts benötigt. Schallenberg könnte als alleiniger Sechser der Verbindungsspieler zwischen Defensive und Offensive sein und die Angriffe mit seiner Passicherheit einleiten. Dazu muss Schallenberg aber endlich seine Formkrise überwinden. Neben den Sturmtanks Polter oder Terodde könnten die quirligeren Karaman und Kabadayi oder Lasme wirbeln.

Schalke: Karel Geraerts eine mutige Wahl

Letztlich ist die Verpflichtung von Karel Geraerts durchaus eine mutige Entscheidung. Im Hinblick auf die dringend benötigte defensive Stabilität einer eigentlich spielerisch starken Mannschaft könnte sich die Entscheidung für den Belgier jedoch bewähren. Denn besonders im Spiel gegen den Ball konnte Geraerts mit Union Saint-Gilloise auftrumpfen, ließ dazu ansehnlichen, flachen Kombinationsfußball spielen. Fraglich ist allerdings, ob der Schalke-Kader für sein System der Dreier-/Fünferkette geeignet ist.