Gelsenkirchen. Marius Müller trifft mit Schalke auf seinen Herzensklub Kaiserslautern. Im Interview spricht der Torhüter über seine Karriere, seine Emotionen und Konkurrent Ralf Fährmann.
Handschuhe und Fußballschuhe aus, Laufschuhe an. Marius Müller hat sich beeilt, um nach dem Training pünktlich beim Interview zu sein. Im Logenbereich der Arena nimmt sich der 30 Jahre alte Torwart von Schalke 04 dann über eine halbe Stunde Zeit, um mit dieser Zeitung über den Konkurrenzkampf mit dem derzeit verletzten Ralf Fährmann (34) und seine bewegte Laufbahn zu sprechen. Begonnen hat sie beim kommenden Zweitliga-Gegner der Königsblauen, dem 1. FC Kaiserslautern. An diesem Samstag (20.30 Uhr/Sky und Sport1) trifft Müller mit den Königsblauen auf seinen Ex-Klub – schon deshalb wird der Neuzugang besonders im Fokus stehen.
Marius Müller, sind Sie abergläubisch?
Marius Müller: Überhaupt nicht.
Trotzdem haben Sie beim FC Luzern lange speziellen Glückssocken vertraut.
Müller: (grinst) Bei einem Pokalspiel in Lugano im April 2021 habe ich meine Sportsocken vergessen, also hat mir mein Zimmerkollege Pascal Schürpf ein Paar von sich geliehen, mit seinen Initialen „PS11“. In Lugano habe ich in der Verlängerung mit diesen Socken einen Elfmeter gehalten – also habe ich sie weiterhin getragen, auch als sie schon durchlöchert waren. Am Saisonende haben wir sogar den Pokal nach Luzern geholt. Die Socken haben seitdem einen Ehrenplatz bei mir zu Hause. (lacht)
In der Schweiz galten Sie als emotionaler und ehrlicher Typ. Wie würden Sie sich selbst beschreiben?
Müller: Das trifft es schon ganz gut. Von mir bekommt jeder eine ehrliche Meinung – auf dem Platz kann die Wortwahl aufgrund all der Emotionen auch mal härter werden. Trotzdem ist es mir sehr wichtig, respektvoll zu bleiben. Die Emotionen sind ein Teil von mir, die kann ich nicht abstellen. So bin ich eben. Wenn ich mich verstellen würde, wäre ich unglücklich und würde zu Hause ins Grübeln geraten.
Schalke-Torhüter Marius Müller: "Ich wollte niemanden diskriminieren"
Im August 2022 sorgten Sie für einen Aufschrei, als Sie ihren Mitspielern „schwules Weggedrehe“ unterstellten.
Müller: Mir ist wichtig zu betonen: Ich wollte niemanden diskriminieren oder verletzen! Ich habe damals um Entschuldigung gebeten und kann mich da nur ganz klar wiederholen, es tut mir leid. Solche Ausdrücke finden in meinem täglichen Sprachgebrauch nicht statt.
Lauscht man Ihren Interviews, fällt auf, dass Sie sich nicht hinter Floskeln verstecken. Warum ist es Ihnen wichtig, öffentlich auch mal unbequeme Wahrheiten auszusprechen?
Müller: Ich liebe den Fußball und schaue gern Spiele im TV. Also versuche ich, den Leuten den ehrlichen und emotionalen Fußball in die Wohnzimmer zu transportieren. Wenn wir uns alle nach den Spielen hinstellen und nur die drei gleichen Sätze wiederholen, ist niemandem geholfen. Natürlich ist es bequem, weil du für austauschbare Floskeln niemals angegriffen wirst. Aber wenn wir spiele verlieren oder gewinnen, möchte ich Dinge danach klar benennen, auch wenn es natürlich nur ein Teil dessen ist, was wir in der Kabine untereinander besprechen.
Sind Sie auch auf dem Platz ein Lautsprecher?
Müller: Natürlich gebe ich nicht über 90 Minuten den Hampelmann im Strafraum, aber ich lebe von Emotionen. Wenn es angebracht ist, versuche ich, die Mannschaft zu pushen oder zu beruhigen. Es ist für einen Torwart wichtig, seine Verteidiger zu coachen und ihnen ein paar Hilfestellungen zu geben.
Marius Müller: "Jetzt geht es für mich nur um drei Punkte mit Schalke"
Wie schalten Sie abseits des Fußballs ab?
Müller: Meine Frau und mein Sohn geben mir viel Halt. Weil ich auf dem Fußballplatz so laut bin, wurde ich in der Schweiz sogar schon mal gefragt, ob ich zu Hause auch so herumbrülle. (lacht) Aber das ist natürlich Quatsch. Zu Hause bin ich ganz ruhig, sehr entspannt. Wenn ich nur hochemotional durchs Leben gehen würde, wäre das nicht gesund. In meiner Freizeit reicht es mir, mit der Familie und den Hunden entspannt eine Runde durch den Wald zu gehen, um glücklich zu sein.
Am Samstag steht für Sie ein emotionales Spiel an. Sie haben 15 Jahre für den 1. FC Kaiserslautern gespielt, wurden nach Ihrer zwischenzeitlichen Rückkehr von RB Leipzig aber von einigen Fans sehr kritisch gesehen.
Müller: Mein Wechsel nach Leipzig im Jahr 2016 ist vielen Lauterern bitter aufgestoßen. Damals habe ich die realistische Chance gesehen, in der Bundesliga zu spielen. Klar habe ich in Leipzig ein paar Euro mehr verdient als beim FCK, aber hätte ich meinen Club nur nach finanziellen Gesichtspunkten gewählt, wäre ich woanders hingegangen. Als ich ein Jahr später dann als Leihspieler zurück nach Lautern gewechselt bin, musste ich viel einstecken. Aber ich wollte unbedingt zurück, weil ich in Kaiserslautern mein bekanntes Umfeld und Gerry Ehrmann als Torwarttrainer hatte. Mit meist guten Leistungen habe ich dann einige Kritiker verstummen lassen. Rückblickend habe ich aus diesen Erfahrungen extrem viel gelernt.
Welchen Empfang erwarten Sie am Samstag von den mitgereisten FCK-Fans?
Müller: Ganz schwierige Frage. Ich bin glücklich über jeden FCK-Fan, der sich freut, mich wiederzusehen. Aber ich nehme es auch den Leuten nicht übel, die nicht begeistert in die Hände klatschen.
Was bedeutet Ihnen der 1. FC Kaiserslautern noch heute?
Müller: Ich habe 15 Jahre für den FCK gespielt, stand als Fan in der Westkurve, als Balljunge am Spielfeldrand und dann irgendwann sogar im Tor der Profis. Der 1. FC Kaiserslautern wird für mich immer etwas Besonderes sein. All die schönen Erinnerungen an meine 15 Jahre in Lautern müssen für diese 90 Minuten aber in den Hintergrund rücken. Jetzt geht es für mich nur um drei Punkte mit Schalke.
In Lautern haben Sie mit Torwarttrainer-Ikone Gerry Ehrmann zusammengearbeitet.
Müller: Gerry war wie mein Ziehvater. Phasenweise habe ich ihn häufiger gesehen als meinen eigenen Papa. Er hat mir das Rüstzeug und das Selbstvertrauen vermittelt, das man im Profifußball braucht. Nie vergessen werde ich ihm, dass er immer hinter mir stand und sich für mich eingesetzt hat – egal, ob es Diskussionen mit Fans oder mit dem Präsidium waren. Ich konnte mich auf ihn verlassen, kann es immer noch. Aber rückblickend muss ich sagen: Im Training war er ein harter Hund.
Warum?
Müller: Als ich als Teenager zu den Profis aufgerückt bin, war der Start schwer für mich. Gefühlt habe ich in den ersten drei Monaten im Training keinen Ball gehalten. Gerry stand damals neben dem Tor und hat mich nur gefragt, ob wir nicht mal zusammen zum Augenarzt fahren sollen oder was der Grund sei, warum ich so wenig halte. Ein paar Jahre später hat er mich beim Aufwärmen vor einem Spiel auch mal ins Jenseits geschossen, mit einem Fünf-Meter-Kracher genau in mein Gesicht. (lacht) Das sind Geschichten, die uns ein Leben lang verbinden.
Marius Müller: Schalke ist groß
Was hat er zu Ihrem Schalke-Wechsel gesagt?
Müller: Er hat nur geschrieben „Geiler Verein, geiler Typ – das passt“. Ich habe ihm schon vor der Unterschrift Bescheid gesagt. Hätte ich das nicht getan, wäre er wahrscheinlich nach Gelsenkirchen gekommen und hätte mich verdroschen. (lacht)
Was hat Sie seit Ihrem Wechsel zu Schalke 04 am meisten überrascht?
Müller: Zu erleben, wie groß der Verein ist, ist krass. Das Stadion und die Anlage sind unglaublich. Beim Testspiel gegen Twente war der Oberrang noch komplett zu, aber trotzdem war ich sehr beeindruckt. In Hamburg von so vielen Fans begleitet zu werden, war auch unglaublich. Daher ist meine Vorfreude auf Samstag riesig. Flutlicht, volle Arena und dann noch gegen Lautern – was willst du mehr?
Nach dem HSV-Spiel haben Sie betont, wie viel es Ihnen bedeutet, wieder auf einer solch großen Bühne zu spielen. Warum war es so besonders für Sie?
Müller: 2019 bin ich in die Schweiz gewechselt, habe mich bewusst für eine Auslandserfahrung entschieden. Es war eine geile Zeit, ich habe mich persönlich weiterentwickelt. Aber die Fußballkultur ist in der Schweiz eine andere, deshalb wollte ich zurück nach Deutschland. Bei einem Traditionsklub wie Schalke zu landen, ist ein Traum. Dann am ersten Spieltag vor 57.000 Zuschauern in der Hütte zu stehen, war grandios. Millionen haben am Fernseher zugeschaut, ich durfte mich beweisen. Für ein solches Spiel habe ich vier Jahre gearbeitet.
In Luzern waren Sie die unumstrittene Nummer eins. Warum haben Sie sich dafür entschieden, auf Schalke die Herausforderer-Rolle hinter Ralf Fährmann anzunehmen?
Müller: Vier Jahre war ich Stammtorwart, war bei den Fans beliebt und habe in einer grandiosen Stadt gelebt. Doch tief im Innersten hatte ich das Gefühl, dass ich Veränderung brauche. Als Schalke dann mit der Herausforderer-Rolle auf mich zukam, habe ich natürlich überlegt. Recht schnell habe ich die Chancen gesehen. Ich konnte zurück nach Deutschland, zu einem riesigen Traditionsverein. Und klar ist doch: Bei einem Club wie Schalke 04 ist keine Position fest an einen Spieler vergeben. Es zählt das Leistungsprinzip. Mit Ralle verstehe ich mich gut. Er ist ein offener Typ, der immer für einen Spruch zu haben ist. Mit Michi Langer und Justin Heekeren haben wir ein gutes Torwartteam. Derjenige, der spielt, wird von den anderen unterstützt. Ich bin als Herausforderer gekommen, aber mein Anspruch ist natürlich, mich jetzt in den Spielen zu beweisen. Wenn ich mir nicht grundsätzlich zutrauen würde, mich hier früher oder später durchzusetzen, hätte ich den Wechsel nicht gemacht.
Haben Sie das Gefühl, dass Sie auch nach Fährmanns Rückkehr Stammtorwart bleiben könnten?
Müller: Die Entscheidung liegt nicht bei mir. Es zählt die Leistung auf dem Platz. Alles, was ich machen kann, ist jeden Tag alles zu geben. Kein Torhüter dieser Welt räumt freiwillig seinen Platz. Ich werde dem Trainer die Entscheidung so schwer wie möglich machen.
Schalke-Torhüter Marius Müller: "Mein großes Ziel ist die Bundesliga"
Haben Sie noch konkrete Ziele für den Rest Ihrer Karriere?
Müller: Mein großes Ziel ist die Bundesliga. Wenn ich in Fußball-Rente gehe, will ich zumindest auf ein Bundesligaspiel zurückblicken können. Das habe ich bislang noch nicht geschafft. Aber ich bin optimistisch, dass ich jetzt bei einem Klub bin, bei dem ich bald einen Haken hinter dieses Ziel machen kann. Wenn alles gut läuft, werden wir auf Schalke bald wieder Bundesligafußball sehen. Sollte ich da tatsächlich im Tor stehen, wäre es perfekt.
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