Gelsenkirchen. Dominick Drexler war nach dem 2:1 gegen Werder Bremen der Held. Im Interview wird deutlich, warum der Schalker ein ungewöhnlicher Profi ist.
Schalke-Profi Dominick Drexler nimmt sich Zeit für das Interview im „Parkstadion“ der Geschäftsstelle des FC Schalke 04. 32 Jahre alt ist er inzwischen, hat in 14 Profijahren viel erlebt, doch sein Tor zum 2:1 gegen Werder Bremen vor einer Woche war etwas ganz Besonderes. Vor dem Spiel gegen Mainz 05 (heute, 20.30 Uhr/DAZN) spricht Drexler mit dieser Zeitung und nach den ersten Sätzen ist zu spüren: Er ist ein Profi, der viel zu sagen hat.
Haben Sie sich Ihr Tor zum 2:1 gegen Bremen mit dem Original-Sky-Kommentar angeschaut?
Dominick Drexler: (schmunzelt) Ja, ich wurde oft darauf angesprochen.
Wolff Fuss hat zwischen Ballannahme und Torerfolg sechs Mal „Drexler“ in Folge gebrüllt...
Drexler: Es war natürlich eine prädestinierte Stimmung dafür – Einzelspiel am Abend, der richtige Kommentator, der das sehr gut rüberbringen kann. Auf dem Platz war mir noch gar nicht so bewusst, wie entscheidend die Szene war. Man ist dann schon sehr in dem Moment, in dieser elektrisierenden Stimmung.
Schalke-Profi Dominick Drexler: "Das sind unglaublich schöne Momente"
Nach dem Spiel haben Sie die TV-Reporter warten lassen, weil Sie in der Kabine sein wollten…
Drexler: Nach dem Abpfiff ist es oft so, dass man TV-Interviews hat, mit seiner Familie quatscht, in die Mixed Zone geht. Dann kommt man später in die Kabine und es sind nur noch die Zeugwarte da. Direkt nach dem Abpfiff sind alle da, auch die verletzten Spieler. Wenn man gewonnen und getroffen hat, sind das unglaublich schöne Momente. Alle strahlen. Deshalb war es mir so wichtig, kurz reinzugehen und die Stimmung aufzusaugen.
Was macht für Sie eine gute Kabine aus?
Drexler: Für mich persönlich ist die Hierarchie in der Kabine ein elementarer Teil. Natürlich gibt sie ein Trainer ein wenig vor – ob in der Vorbereitung oder durch Spielzeit. Auch wenn man nur ein paar Minuten spielt, kannst du wichtig sein. Um Akzeptanz zu gewinnen, ist es aber immer einfacher, wenn du auf dem Platz stehst. Für mich steht und fällt eine gute Kabine damit, wer was in richtigen Momenten sagt. In der vergangenen Saison hat sich das entwickelt, deswegen sind wir auch aufgestiegen.
Widerspricht sich das mit dem Begriff flache Hierarchie?
Drexler: Ganz klar. Davon halte ich persönlich nichts. Als Spieler nicht, und wenn ich vielleicht irgendwann mal Trainer bin, wird es das bei mir auch nicht geben.
Interessant, flache Hierarchien sind in vielen Bereichen des Lebens nicht unüblich.
Drexler: Der Fußball funktioniert nicht wie viele andere Berufe, in denen es einen klaren Chef gibt, dann noch Assistenten und, und, und. Am Anfang einer Saison kann jeder in einer Mannschaft seinen Hut in den Ring werfen. Es ist wichtig, dass sich am Ende einige durchsetzen, die die Akzeptanz haben, in den entscheidenden Momenten etwas zu sagen.
Wenn es um Führungsspieler auf Schalke geht, fällt immer Ihr Name. Ist das Ihr Naturell oder haben Sie sich im Laufe Ihrer Karriere entwickelt?
Drexler: Ich habe mich entwickelt. So wie ich mich fußballerisch hochgekämpft habe, habe ich von Charakteren aus verschiedenen Ligen und von verschiedenen Trainern viel aufgesogen. Ich habe für mich herausgefiltert, was in welchem Moment eine gute Wirkung erzielt hat. Ich mache auch mal Sachen, die andere früher gemacht haben. Das heißt, dass ich mir Situationen abgespeichert habe, die ich als sehr gut empfunden habe. Jetzt wende ich sie als älterer Spieler an – es ist es wichtig, dass du Leute hast, die ein Gespür dafür haben, wann Kritik angebracht ist, wann Lob, wann anfeuern oder auch mal ausflippen. Ich würde mich hinzuzählen.
Sie waren noch nie Kapitän. Weil es sich nicht ergeben hat oder weil es Ihnen nicht wichtig ist?
Drexler: Ich würde mich ja nicht davor sträuben. Aber wenn ich meine Mannschaften so durchgehe, war ich zu Beginn noch nicht alt genug – in Köln gab es mit Jonas Hector und nun auf Schalke mit Danny Latza jeweils ganz erfahrene Spieler, die zurecht die Binde tragen. Vielleicht ergibt sich das irgendwann mal.
Sie haben Danny Latza erwähnt. Uns hat er im Interview über Sie einmal gesagt, Sie seien auch in größter Euphorie ein Mahner und Skeptiker. Finden Sie sich wieder?
Drexler: Ja. Es ist absolut in Ordnung, wenn Leute Emotionen zeigen. Das finde ich menschlich und wichtig. Vom Naturell her bin ich allerdings sehr nüchtern, weil ich immer nach großen Zielen handle. Mir bringt es nichts, vier Tore zu schießen und danach die nächsten drei Spiele zu verlieren. So habe ich es auch im Aufstiegsjahr gesehen und war deswegen sehr kritisch, wie wir durch die Saison gegangen sind, bevor Mike Büskens übernommen hat. Rückwirkend kann ich sagen, dass ich da zurecht kritisch war. Auch jetzt sehe ich wieder das Große und Ganze. Das ist für mich der Klassenerhalt. Deswegen werde ich bis zum Ende kritisch sein, mit allen und mit mir selbst. Das ist dann vielleicht nicht immer das, was man sich als Außenstehender an großen Emotionen nach Siegen wünscht.
Wenn der ehemalige Trainer Frank Kramer über Sie sprach, hat er oft von einer „Straßenköter-Mentalität“ gesprochen. Können Sie mit dem Begriff etwas anfangen?
Drexler: Ja, ich empfinde das als Kompliment. In Kiel und Köln war ich als Offensivspieler mit dem Ball sehr dominant, hatte mehr Freiheiten als jetzt. Da habe ich gelernt, dass man in den höchsten Ligen auch sehr ekelig sein muss – ekelig auf dem Platz für den Gegner, auch mal im Training. Man muss keinen über die Bande springen lassen, aber Zeichen setzen und Schärfe reinbringen, damit Spannung da ist. Ich bin keiner, der filigrane Übersteiger macht, sondern der, der auch mal zur Grätsche runtergeht oder am eigenen Strafraum mitverteidigt.
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Die erste prägnante Szene dieser Bundesligasaison aus Schalker Sicht war Ihre unberechtigte Rote Karte bei der 1:3-Niederlage in Köln am ersten Spieltag wegen eines Fouls. Denken Sie immer noch darüber nach?
Drexler: Am Anfang hatte ich daran zu knabbern. Es war für mich ein besonderes Spiel bei meinem Ex-Verein, dazu noch das erste nach dem Aufstieg, auf das wir uns alle lange gefreut haben. Es war kein übermotiviertes Foul und mit den beteiligten Schiedsrichtern habe ich später in der Saison noch einmal geredet. Sie haben auch gesagt: Das war zu hart. Inzwischen ist es abgehakt.
Auch außerhalb des Stadions und des Trainings beschäftigen Sie sich viel mit Fußball und studieren zum Beispiel Statistiken. Welche fasst Ihrer Meinung nach die aktuelle Schalke-Saison am besten zusammen?
Drexler: (überlegt) Dass wir zu viele Gegentore kassiert haben. Wir haben gegen Bremen gesehen, dass immer etwas möglich ist, wenn man mit nur einem Tor hinten liegt. Wir haben oft zu früh das zweite Tor geschluckt. Aber inzwischen haben viele Mannschaften ähnlich viele Gegentore kassiert wie wir. Deswegen kann ich das eigentlich nicht mehr nennen…
Sondern?
Drexler: Eine Sache, die wir versuchen zu ändern, sind unsere Standards. Als ich mit dem 1. FC Köln dringeblieben bin vor zwei Jahren, haben wir auf diese Art oft das 1:0 erzielt. Das fehlt uns jetzt.
Sie sprechen Ihre Zeit in Köln an. Geboren sind Sie in Bonn, haben in der Jugend von Bayer Leverkusen gespielt, sind verwurzelt im Rheinland. Als Sie zum FC gegangen sind, war oft von „Heimkehr“ die Rede. Was bedeutet nun das Ruhrgebiet für Sie? Was hat Sie überrascht?
Drexler: Es ist schon besonders, wie extrem eine ganze Region mitfiebert. In Kiel gab es noch Handball mit dem THW. In Köln gibt es die Haie und eine Footballmannschaft. Der FC ist als großer Verein stark vertreten in der Stadt. Aber hier gibt es nur Schalke.
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Wie äußert sich das?
Drexler: Ich habe natürlich Glück, dass wir uns durch den Aufstieg sehr viel Kredit erspielt haben. Was wir in dieser Saison für Unterstützung durch die Fans spüren, ist atemberaubend – obwohl wir die ganze Zeit auf einem Abstiegsplatz stehen. Das werde ich für immer mitnehmen, egal wie die Saison ausgeht. In den zwei Jahren hatte ich immer das Gefühl, dass wir zusammenstehen. Die Ansprache bei der Einweihung des Flutlichtmastes im Parkstadion war weltklasse. Der Capo von den Ultras findet immer die richtigen Worte nach den Spielen. Man spürt diese Verbundenheit zum Verein. Wir wissen um unsere Verantwortung, wir reden viel darüber in der Mannschaft. Das ist auch der Grund, warum viele ihre Emotionen zeigen.
Sie beschreiben sich als nüchtern. Zudem sind Sie inzwischen weder in den sozialen Netzwerken aktiv, haben keine Tattoos, fallen nicht als Spielkonsolen-Fan auf. Ist Ihre Normalität im Profifußball außergewöhnlich?
Drexler: Gute Frage. (überlegt) Ich habe mich 2018 von allen sozialen Netzwerken verabschiedet, weil ich gemerkt habe, dass ich das weder möchte noch brauche. Ich finde es nicht schlimm, wenn jüngere Spieler das machen, sie sind damit aufgewachsen. Ich hingegen konnte schon vor ein paar Jahren bei langen Flügen nicht einschlafen, wenn ich zuvor Candy Crush auf meinem Handy gespielt hatte. Wenn ich jetzt anfangen würde, alles zu konsumieren, von Podcasts bis zu all den TikTok-Videos, käme ich nicht zur Ruhe. Es haben wahrscheinlich nicht viele Bundesligaprofis kein Instagram-Profil, deshalb mag das außergewöhnlich sein – aber wenn ich zu Hause bin, möchte ich Zeit mit meiner Frau verbringen, nicht erreichbar sein. Diesen Stecker habe ich der Welt gezogen. Ich möchte mental und körperlich regenerieren können.
Ist das der Grund, warum Sie keine Marke sein wollen? Das haben Sie einmal so gesagt.
Drexler: (überlegt) Ich brauche meine Freiheiten, möchte nicht so präsent außerhalb des Platzes oder außerhalb des Vereinsgeländes sein. Aufmerksamkeit ist immer schön, aber sie hat zwei Seiten. Dann wird man irgendwann auch ein bisschen eitel, hat ein Riesenego. Ich versuche, mich frei zu machen, indem ich mich rausziehe.
Sie hätten eine Agentur beauftragen können, die solche Profile für Sie füllt – so etwas gibt es auch im Profifußball.
Drexler: Aber das wäre dann ja nicht ich. Ich möchte Kontrolle darüber haben, wie ich wahrgenommen werde. Es ist übrigens nicht so, dass ich gar keine Podcasts höre. Wenn zum Beispiel Simon Terodde mir sagt: ,Domme, da ist ein Podcast, den du hören musst.‘ Dann höre ich mir den an.
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Sie haben über das sogenannte „Players Pathway Programm“ den B+-Trainerschein erworben. Sie haben immer gesagt, auch nach Ihrer Karriere im Fußball tätig bleiben zu wollen. Haben Sie sich durch den Trainerschein für eine Linie festgelegt?
Drexler: Nein. Aber den B+-Schein habe ich jetzt; am Dienstag fand das Abschlussgespräch statt. Ich hatte in meinem Bewerbungsschreiben damals vermerkt, dass ich in meinem 14. Profijahr bin und 18 Trainer hatte, wenn ich Interimstrainer dazurechne. Von allen habe ich mir ganz viel aufgeschrieben in ein kleines Büchlein. Jeder hat einen anderen Ansatz, ein anderes System, eine andere Ansprache.
Zum Beispiel?
Drexler: Ich habe mir beispielsweise aufgeschrieben, was Friedhelm Funkel als Trainer in Köln vor dem Relegations-Rückspiel in Kiel 2021 zu uns gesagt hat. Bei der Besprechung habe ich mir gedacht: Ich weiß nicht, ob ich das so gesagt hätte. Aber das Spiel endete 5:1 und ich hatte das Gefühl, dass viele aus dem 20-Mann-Kader das gut gefunden haben. Ich habe bei Trainingseinheiten mittlerweile auch andere Gedanken.
Was meinen Sie damit?
Drexler: Man sieht mehr aus Trainersicht. Wenn der Trainer eine Trainingseinheit zusammenstellt, dann habe ich mittlerweile immer mehr den Gedanken: Okay, jetzt weiß ich, was der Trainingsschwerpunkt ist, was wir im Spiel brauchen. Früher hast du beim Training Vier gegen Vier gespielt und Flanken geschlagen, ohne dir groß Gedanken zu machen, welche Relevanz die Übungen genau für das Spiel haben.
Ihr Vertrag hat sich automatisch verlängert. Wie lange wollen Sie noch spielen?
Drexler: Ich will noch drei, vier Jahre spielen. Wenn die Saison mit dem Klassenerhalt zu Ende geht, selbst über die Relegation, nimmt man viel positive Energie mit. Vor einem Jahr nach dem Aufstieg hätte ich auf die Frage deshalb mit ,Bestimmt noch sechs Jahre‘ geantwortet.
Ist Schalke für Sie etwas ganz Besonderes geworden?
Drexler: Einer meiner guten Freunde ist Christoph Kramer, wir wohnen nah beieinander, machen viel zusammen. Bevor ich hierhin gegangen bin, hat er mir gesagt, dass Gladbach, Köln und Schalke für ihn die Top-drei-Stadien sind, in denen er am liebsten spielt. Meine beiden Bundesligaclubs waren Köln und Schalke. Das weiß ich sehr zu schätzen, weil ich mich über die 3. und 2. Liga hochgearbeitet habe. Vor sieben, acht Jahren habe ich noch beim VfR Aalen vor 3500 Zuschauern gespielt.
Sie sind gut mit Simon Terodde befreundet. Er wird den Verein verlassen. Ist das schwer für Sie oder Teil des Profigeschäfts?
Drexler: Natürlich tut mir das weh, und allen Schalkern geht es genau so, weil er den Verein lebt, aber das ist Teil des Geschäfts. In vier Wochen werde ich definitiv noch trauriger über Simons Abgang sein, wenn die Saison zu Ende ist. Jetzt gerade geht es aber darum, dass wir gemeinsam den Klassenerhalt schaffen.