Gelsenkirchen. Schalkes Trainer Thomas Reis spricht im großen Exklusiv-Interview über Abstiegskampf, die Torwartfrage, Abwehrchef Maya Yoshida und Bochum.
Mit ein bisschen Verspätung kommt Thomas Reis zum vereinbarten Interviewtermin. "Entschuldigung", sagt der 49 Jahre alte Trainer des Bundesliga-Schlusslichts FC Schalke 04, der zuvor lange beim VfL Bochum gearbeitet hatte. "Das Training hat etwas länger gedauert", sagt er. Trotz der schwierigen sportlichen Lage setzt Reis alles daran, des scheinbar Unmögliche doch möglich zu machen: den Klassenerhalt.
Herr Reis, seit anderthalb Monaten trainieren Sie Schalke 04, Sie wohnen noch in Bochum. Fahren Sie mit der Straßenbahn zum Training?
Thomas Reis: Vielleicht würde das schneller gehen. (lacht) Der Verkehr ist manchmal eine Katastrophe.
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Schalke hat – wenn auch nicht sportlich – andere Dimensionen als Bochum. Wie äußert sich die Wucht des Klubs für Sie?
Reis: Allein das mediale Interesse ist ganz anders. Und auch im Stadion sieht man die Wucht: In Bochum ist die Stimmung mit 26.000 Zuschauern auch sensationell, aber hier mit 62.000 ist das noch einmal eine ganz andere Hausnummer.
Müssen Sie sich deshalb persönlich verändern?
Reis: Bedingt. Vor der Mannschaft bin ich genauso wie vorher auch. Ich habe meine Philosophie, wie ich eine Mannschaft führen möchte, diese hat sich ja nicht verändert. Deshalb ist es manchmal amüsant zu hören: Der sagt dasselbe wie in Bochum. Ich bin sehr offen und kommunikativ, das versuche ich beizubehalten – mit meinen öffentlichen Aussagen muss ich jedoch eine Nummer vorsichtiger sein. Das ist ein Schluss, den ich aus der Bochumer Zeit gezogen habe.
Der Abstiegskampf zieht sich durch Ihre Karriere – ob als Spieler oder Trainer. Worauf kommt es an?
Reis: Es ist wichtig, dass man sich nicht aus der Ruhe bringen lässt. Wenn die Qualität – und das habe ich auch der Mannschaft gesagt – vielleicht nicht so ist wie bei anderen, dann musst du andere Dinge besser machen: Als Mannschaft funktionieren, Mentalität zeigen und am Spieltag möglichst an die 100 Prozent herankommen. Dann hast du immer die Chance, etwas zu holen. So wollen wir das angehen. Und das haben wir in den vergangenen vier Spielen auch gezeigt.
Sportvorstand Peter Knäbel hat gesagt, Sie hätten die Mannschaft mit Ihrer Art gepackt. Vorher ist das Frank Kramer nicht gelungen. Was ist Ihre Art?
Reis: Ich habe mir schon früh Gedanken darüber gemacht, wie ich als Trainer einmal sein möchte. Und ich habe mir gesagt: Ich kann nur das von der Mannschaft verlangen, was ich selbst vorlebe. Ich will Freude und Euphorie ausstrahlen, mit Zuckerbrot und Peitsche vorgehen. Ich bin einer, der dazwischenhauen kann. Ich versuche, von der Mannschaft vieles wegzuhalten, gerade wenn der Druck von außen groß wird.
War die Peitsche schon einmal notwendig bei dieser Mannschaft?
Reis: Nein. Was das Engagement anbelangt, kann ich der Mannschaft bisher nichts vorwerfen.
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Wie viel Bochum-Fußball lässt sich mit dem aktuellen Kader spielen?
Reis: Ich tue mich mit einem solchen Vergleich schwer. Ich habe auf jeder meiner Stationen, sei es im Senioren- oder auch im Juniorenbereich versucht, meine Philosophie umzusetzen – die sieht attraktiven Fußball vor und dass der Zuschauer immer das Gefühl hat, dass die Mannschaft alles investiert. Wir wollen aktiv verteidigen, den Gegner früh unter Druck setzen. Außerdem versuchen wir, den Kader punktuell zu verstärken, um über mehr Tempo und Umschaltspiel zum Erfolg zu kommen.
Und was funktioniert bisher nicht so gut?
Reis: Wir haben noch Verbesserungspotenzial darin, was wir machen, wenn wir den Ball gewonnen haben. Viele Angriffe, die zu Chancen führen könnten, machen wir uns durch einfache Fehler kaputt.
Waren Sie bei Ihrem Amtsantritt erschrocken, wie sehr dieser Mannschaft das Tempo fehlt?
Reis: Nein, ich war ja in dieser Saison mit Bochum als Gegner hier und kannte das Team. Natürlich kann der Mannschaft ein bisschen mehr Tempo auf gewissen Positionen guttun. Trotzdem haben wir Mainz besiegt, waren mit Bremen auf Augenhöhe, haben gegen Bayern bestmöglich verteidigt. Wenn dir das eine oder andere Zehntel fehlt, musst du eben ein besseres Timing beim Loslaufen haben.
Tim Skarke von Union Berlin hat Tempo. Ist er einer der Spieler auf Ihrer Liste?
Reis: Das habe ich auch gelesen. (schmunzelt) Ich kann generell sagen, dass der Name Schalke 04 nach wie vor zieht, auch wenn wir in der Tabelle ganz unten stehen.
Skarke ist offensiver Außenspieler mit hoher Geschwindigkeit. Suchen Sie dieses Profil?
Reis: In die Richtung könnte es gehen.
Einer, der wenig Tempo hat, ist Abwehrchef Maya Yoshida. Bei der WM spielt er viel besser als in weiten Teilen der Hinrunde auf Schalke. Warum?
Reis: Ich hoffe, dass ihm die WM Auftrieb gibt. Es hat sicher eine Rolle gespielt, dass die Punkteausbeute bisher schlecht war, er selbst mit sich und seinem Spiel unzufrieden war. Maya ist einer, der die Abwehrkette gern nach hinten holt. Das hat es teilweise leichter für den Gegner gemacht. Ich versuche ihm an die Hand zu geben, aktiver zu verteidigen.
Der Fußball, den Sie spielen lassen möchten, geht auch mit Yoshida?
Reis: Ja, das ging schließlich auch in den vier Spielen vor der WM-Pause. Was aber auch klar ist: Jeder bekommt eine Chance. Bisher hatte ich ja nur zwei Innenverteidiger für zwei Positionen zur Verfügung. Mal sehen, welcher Innenverteidiger wann zurückkommt – dann ist der Konkurrenzkampf eröffnet. Jeder muss sich neu beweisen, auch Maya.
Ihr Kapitän Danny Latza spielt nicht. Ist das für Sie ein Problem?
Reis: Nein. Danny ist ein Führungsspieler, weil er viel Erfahrung hat. Ob er die Binde trägt oder nicht, ist für mich nicht entscheidend. Natürlich möchte er mehr Spielzeit haben. Tom Krauß und Alex Kral haben das auf seiner Position ordentlich gemacht, deshalb ist er aktuell etwas hintendran. Aber auch er hat die Chance, wie jeder andere auch, sich zu zeigen.
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Sie haben sich etwas getraut, was sich Frank Kramer nicht getraut hat – die Bank zu verkleinern. Warum ist es Ihnen so wichtig?
Reis: Anscheinend ist es für alle Externen wichtiger als für uns intern. Uns allen war bewusst, dass die Bank zu groß ist. Es geht dabei nicht um Thomas Reis, sondern um Schalke 04. Das Thema ist für uns abgehakt.
Vor allem über die Rolle von Mike Büskens wird diskutiert.
Reis: Ich habe mit ihm darüber gesprochen, in welchem Bereich er seine Aufgabe sieht. Er möchte kein Cheftrainer sein, sondern die jungen Spieler auf ihrem Weg begleiten. Mein Job in der ersten Reihe ist im Normalfall endlich – seiner hingegen nicht. Es wird dauern, bis Schalke wieder höhere Ablösen bezahlen kann. Deshalb müssen wir eigene Spieler aus der Knappenschmiede heranführen. Und es ist doch die ideale Lösung, wenn sich einer darum kümmert, der selbst Bundesligatrainer war und die DNA des Vereins in sich trägt.
Ist es wichtig, dass es auf der Bank stiller ist, weil dort nur ein Assistent sitzt?
Reis: Am Spieltag reicht ein Co-Trainer an der Seitenlinie. Wenn zwei oder drei Co-Trainer Informationen an die Spieler geben, ist das für sie zu viel. Matthias Kreutzer beispielsweise hat ein Super-Auge. Sitzt er auf der Tribüne und kann aus einem anderen Blickwinkel heraus Infos nach unten weitergeben, ist das ein Mehrwert für mich.
Es sieht trotzdem ein wenig nach einer Entscheidung der Marke „Ich bin hier der Boss“ aus.
Reis: Damit kann ich nichts anfangen. Ich möchte, dass meine Assistenten in ihren Aufgaben aufgehen. Es ist auch keine Verbannung oder sonstiges. Ich kann allerdings nicht verhindern, dass einige das trotzdem glauben.
Ist es für Sie ein Problem, dass kein Sportdirektor da ist?
Reis: Nein, das ist für mich Nebensache. Ich wusste bei meinem Amtsantritt, dass die Position erst einmal nicht besetzt wird.
Läuft die Kaderplanung in der aktuellen Konstellation mit Peter Knäbel gut?
Reis: Ja, meine Vorschläge werden gehört. Wir haben im Team zusammen mit André Hechelmann und René Grotus entschieden, auf welchen Positionen wir Bedarf haben. Wir suchen jemanden für die Zentrale und schnelle Spieler für Außen.
Können Sie es sich erlauben, nicht an den Abstiegsfall zu denken? Sie wären dann ja noch da.
Reis: Vertraglich ja, aber das weiß man ja nie. (lacht) Ernsthaft: Ich bin fest davon überzeugt, dass wir den Klassenerhalt schaffen können. Es hört sich blöd an, aber ich mache mir echt wenig Gedanken darüber, was passiert, wenn wir absteigen. Wir haben die Chance, über 19 Spiele den Rückstand aufzuholen und etwas zu erreichen, woran nicht mehr viele glauben.
Nach allem, was Sie wissen. Bedauern Sie, dass Sie nicht im Sommer mehr darauf gedrängt haben, zu wechseln?
Reis: Nein, das Thema war im Sommer schnell durch. Es tat mir auch leid, dass es noch einmal so hochgekommen ist. Ich habe das auch Frank Kramer gesagt.
Sie haben Kontakt?
Reis: Ja, er ist ein super Mensch. Ich würde nie sagen, er hat hier schlecht gearbeitet.
Ist es für Sie komisch, dass Ihre Frau Carina noch für den VfL Bochum spielt?
Reis: Überhaupt nicht. Bochum wird immer ein Teil von mir bleiben, ich habe dort über fast zwei Jahrzehnte alles mitgemacht. Als Mike Büskens zwischendurch andere Klubs hatte, wusste auch jeder, dass Schalke sein Verein ist. Als Trainer habe ich mit Bochum etwas erreicht, was elf Jahre lang nicht funktioniert hat –Aufstieg plus Klassenerhalt. Um auf Ihre Frage zu kommen: Ich schaue mir gern Spiele meiner Frau an, auch wenn sie am Bochumer Stadion sind. Wenn einer sauer auf mich ist, kann ich das aber verstehen, weil die Rivalität im Ruhrgebiet da ist.
Sie haben ja gesagt: „Wenn ich kein Bochumer bin, wer dann…“
Reis: Genau, aber das hat doch nichts damit zu tun, dass ich mal etwas Neues probieren möchte.
Freuen Sie sich auf das Spiel in Bochum am 4. März?
Reis: Natürlich. Es wird etwas Besonderes für mich sein. Wie der Empfang sein wird, wird man dann sehen. Ich konzentriere mich auf Schalke. Die tollen Zeiten, die ich in Bochum erlebt habe, lasse ich mir nicht nehmen.
Sie machen sieben Wochen Vorbereitung, sie ist lang. Haben Sie Angst vor dem Start gegen Frankfurt und Leipzig?
Reis: Wir sind Letzter, im Moment sind alle Mannschaften besser als wir. Wir können deshalb in jedem Spiel zeigen, dass wir die Jäger sind. Schlechter können wir in der Tabelle nicht werden. Die WM-Pause ist ein Vorteil für uns, da wir ohne Wettbewerbsdruck trainieren können und ich den Spielern einiges an die Hand geben kann.
Haben Sie es inzwischen bereut, dass Sie noch Geld in die Hand genommen haben, um Schalke-Trainer zu werden?
Reis: Definitiv nicht. Ich habe meinen Teil dazu beigetragen, weil ich unbedingt auf Schalke Trainer werden wollte.