Gelsenkirchen. Heute vor einem Jahr ist Schalke aus der Bundesliga abgestiegen. Es folgte Gewalt gegen die Profis. Gerald Asamoah erinnert sich.
Nur wenige Fußballklubs sind so von Emotionen geprägt wie der FC Schalke 04. Deutlich wurde das erst am Sonntag, als die Gelsenkirchener beim SV Darmstadt spektakulär mit 5:2 gewinnen konnten. Die Tabellenführung in der 2. Bundesliga wurde gefestigt – und das wurde gefeiert.
Mit leuchtenden Augen tanzten die Schalke-Profi vor ihren ihren Fans auf dem Rasen und besangen die Tabellenführung: Der Traum vom Aufstieg lebt. Bei nur noch vier ausstehenden Spielen liegen die Königsblauen drei Punkte vor dem Relegationsrang.
Glaubt man den Verantwortlichen der Schalker ist der derzeitige Erfolg zumindest teilweise auch auf die Fans zurückzuführen, die ihr Team in den vergangenen Wochen und Monaten enorm unterstützt haben. Als „Faustpfand“ bezeichnet Sportdirektor Rouven Schröder die Anhänger gern. Im Endspurt des Aufstiegsrennens bilden Fans und Mannschaft eine echte Einheit. Die positive Entwicklung sorgt dafür, dass der Anhang wieder stolz auf Schalke sein kann – weil der Klub sportlich erfolgreich ist und auch abseits des Rasens ein gutes Bild abgibt.
Schalke: Aussprache mit den Fans endete im Desaster
Das aber war nicht immer so. Vor einem Jahr sah die königsblaue Realität noch komplett anders aus. Am 20. April 2021 war Schalke am Tiefpunkt angekommen. Durch eine 0:1-Niederlage bei Arminia Bielefeld war heute vor genau einem Jahr der vorzeitige Abstieg aus der Bundesliga besiegelt. Was wenige Stunden danach folgte, ist das dunkelste Kapitel der jüngeren S04-Vereinsgeschichte. Nach der Rückkehr nach Gelsenkirchen sollte es an der Arena zu einer Aussprache zwischen der Mannschaft und Mitgliedern der aktiven Fanszene (etwa 500 bis 600 Personen) kommen.
Diese allerdings endete mit tätlichen Angriffen auf die Spieler und Funktionsteam – Mark Uth (inzwischen 1. FC Köln) etwa wurde auf dem Arenaring gejagt, Suat Serdar (inzwischen Hertha BSC) bei seiner späteren Heimfahrt von Personen auf der Straße bedrängt, S04-Mitarbeiter geschlagen und getreten. Es war eine Nacht der Schande, über die viele der damals anwesenden Spieler bis heute kaum in der Öffentlichkeit sprechen.
Schalke-Ikone Asamoah: Angreifer waren „keine echten Fans“
Anders Gerald Asamoah. Die Schalke-Ikone erlebte die Angriffe als Leiter der Lizenzspielerabteilung mit, auch er war mit im Mannschaftsbus. Noch heute denkt er „immer mal wieder“ an die Bilder von vor einem Jahr zurück, wie er der WAZ erzählt. Damals stieg Asamoah als einer der ersten aus dem Bus aus und war sicher, dass es trotz der Wut und über die katastrophale Saison nicht zu Angriffen kommen würde. Ein Trugschluss. Der 43-Jährige hat die Geschehnisse „gut verarbeitet“, wie er heute sagt, er stellt aber auch klar: „Das waren Ereignisse und Szenen, die du wahrscheinlich nie vergessen wirst.“
Asamoah ist es wichtig zu betonen, dass „diejenigen, die uns angegriffen haben, keine echten Fans waren“. Viele Schalker sehen das wie der Ex-Nationalspieler. Zehntausende Anhänger der Königsblauen distanzierten sich von der Gewalt. Dennoch haben die Szenen in der Abstiegsnacht ein enorm schlechtes Bild auf Schalke 04 und dessen Anhänger geworden. „Der emotionale Schaden ist noch größer als der körperliche“, sagte Sportvorstand Peter Knäbel damals. „Wir wissen alle, dass der Verein eine große Substanz hat. Wir müssen aber aufpassen, dass wir ihm diese Substanz nicht nehmen.“ Eine berechtige Angst.
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Letztlich aber haben sich Knäbels Befürchtungen nicht bewahrheitet, denn auf Schalke wurden die Geschehnisse gut aufgearbeitet. Intern wurde „sehr viel gesprochen“, wie Asamoah erklärt. „Ansonsten hat sich jeder individuell damit auseinandergesetzt. Wir als Verein haben die Möglichkeit geschaffen, dass sich jeder Spieler und Mitarbeiter Unterstützung holen konnte, wenn er es wollte.“ Für Asamoah selbst war es „wichtig, dass es schnell wieder losging, dass wir uns direkt auf die neue Saison vorbereiten und versuchen konnten, wieder positive Energie zu sammeln.“
Gerald Asamoah mit Lob an die Schalke-Fans
Und der Neuanfang gelang Schalke – mit neuem Personal. „Es hat sich viel verändert im Verein, eine neue Führung hat übernommen, neue Strukturen und Prozesse wurden entwickelt“, erklärt Asamoah. Auch ein Großteil des Abstiegskaders hat Schalke verlassen. „Insofern war es für viele wie ein Neustart“, beschreibt er und bezieht sich auch auf die Fans: „Ich hatte das Gefühl, dass viele Fans den Spielern beweisen wollten, was Schalke auszeichnet, wie großartig der Zusammenhalt hier ist und dass sie sich das von einigen wenigen nicht kaputtmachen lassen wollen.“
Aktuell, so ist Asamoah sicher, sehe man die „richtigen Fans“ von Schalke 04: „Das sind die, die uns gerade durch die Saison tragen.“ Und über bislang 30 Spieltage nach ganz oben – ein Jahr nachdem der Verein ganz unten war.