Gelsenkirchen. Niederlande gegen Deutschland: Am Dienstag treffen beide in Amsterdam aufeinander. Was Schalke-Ikone Youri Mulder über den Klassiker sagt.
Wenn die Partie zwischen den Niederlande und Deutschland am Dienstagabend in der Amsterdamer Johan-Cruyff-ArenA angepfiffen wird, beginnt mehr als nur irgendein Länderspiel. Es gibt unzählige Anekdoten, die das Duell zu einer der größten Fußballrivalitäten auf Länderspielebene gemacht haben. Auch wenn es nur ein Freundschaftsspiel ist, hätte sich Youri Mulder das Duell in Amsterdam gerne angeschaut. Doch die Vereinsikone des FC Schalke 04 muss arbeiten.
Der 53-Jährige ist neben seiner Tätigkeit als S04-Aufsichtsrat Fußballexperte beim niederländischen Fernsehen und kommentiert die WM-Play-offs, die parallel stattfinden. Trotzdem werde er genauestens im Blick haben, wie die Elftal und die DFB-Auswahl auftreten (20.45 Uhr, Johan-Cruyff-ArenA). Die WAZ erreicht Mulder am Telefon, es beginnt ein Gespräch über die Bedeutung der Rivalität, Trainerlegende Louis van Gaal und Schalkes Thomas Ouwejan.
Herr Mulder, wissen Sie noch, was am 6. September 1995 passiert ist?
Mulder: (einige Sekunden) Da war das Spiel der Niederlande gegen Belarus.
Sie haben in der 84. Minute das 1:0 für die Elftal geschossen und die Nationalmannschaft damit im Rennen um die Qualifikation zur Europameisterschaft 1996 gehalten. Wie wichtig war dieses Tor für Sie persönlich?
Mulder: Es ist eine der schönsten Erinnerungen an meine Zeit im aktiven Fußball. Als Junge habe ich alle Länderspiele geschaut und als junger Erwachsener stand ich dann selbst als Nationalspieler auf dem Platz. Das ist, in den Niederlanden und in Deutschland, das Größte, das man erreichen kann – abgesehen von den Titeln. Es gab immer Spiele, die man geschaut hat, in denen es nicht lief, weil ein Tor fehlte. Als dieses entscheidende Tor dann fiel, ist man von dem Sofa aufgesprungen. Und solch ein Tor durfte ich dann auch machen. Holland brauchte dieses eine Tor damals für die Qualifikation zu den Play-offs. Wir hatten einen Spieler weniger auf dem Platz. An solche Tore erinnert man sich – unerwartet und aus dem Nichts.
Sie haben neunmal für die Elftal gespielt. War es etwas Besonderes, das Oranje-Trikot zu tragen?
Mulder: Ja, jeder junge Fußballer träumt davon, in der Nationalmannschaft zu spielen.
Welche Bedeutung hat die Nationalmannschaft allgemein in den Niederlanden?
Mulder: Wir sind eine Monarchie und haben das Königshaus – und dann kommt schon die Nationalmannschaft. Bei Olympischen Spielen, Weltmeisterschaften und Europameisterschaften sieht man, dass das Land zusammenkommt.
Und am Dienstag steigt der legendäre Klassiker zwischen den Niederlanden und Deutschland in Amsterdam (20.45 Uhr, Johan-Cruyff-ArenA). Wer wird das Duell gewinnen?
Mulder: Holland! (lacht) Das sage ich ein bisschen scherzhaft. Wir haben gegen Dänemark ein gutes Spiel (4:2, Anm. d. Red.) gezeigt. Unser Coach Louis van Gaal hat den Spielern gesagt: Hier fängt die WM an. Er hat eine Woche mit den Spielern trainiert und ein neues System eingeübt. Es ist das 3-4-2-1-System, das auch Atalanta Bergamo spielt. Oft wird das System defensiv gedacht. Aber es gibt sehr moderne Varianten und so hat auch die Niederlande gegen Dänemark gespielt. Es war guter und moderner Fußball. Teilweisewaren wir hinten etwas anfällig, aber das Spiel war insgesamt angriffslustig, dynamisch, prickelnd und spannend.
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Also ist es für Sie die richtige Entscheidung gewesen, dass van Gaal als Nationaltrainer zurückgeholt worden ist – zum insgesamt dritten Mal?
Mulder: Hundertprozentig. Er trifft klare Entscheidungen. Es gibt Spieler, die möchten lieber in einem 4-3-3-System spielen. Van Gaal sagt: Wenn man nicht die passenden Spieler dazu hat, dann würde das Spiel sehr statisch werden. Gegen Dänemark war es sehr schön, aber es war nur ein Spiel. Vielleicht sieht es gegen Deutschland ganz anders aus.
Auf welche Spieler muss die deutsche Nationalmannschaft besonders aufpassen?
Mulder: Van Gaal spielt mit drei Stürmern: Memphis Depay und Steven Bergwijn nebeneinander, dahinter Steven Berghuis. Letzterer hat ein phänomenal gutes Spiel gemacht, er hat einen starken linken Fuß, Depay und Bergwijn sind schnell und kräftig. Unser Rechtsverteidiger, Denzel Dumfries, geht oft mit nach vorne in den Sturm. Zudem haben wir Frenkie de Jong und Teun Koopmeiners im defensiven Mittelfeld, die zwei fußballerische Spielertypen sind. Ihre Stärken sind das Dribbling, das Passspiel, die Technik und nicht so sehr die Defensivarbeit. Es könnte daher gegen Deutschland anders sein, dann spielt vielleicht Marten de Roon.
Schalke-Legende Youri Mulder hofft auf ein spannendes Spiel zwischen den Niederlanden und Deutschland
Die DFB-Elf ist formstark, hat zuletzt 2:0 gegen Israel gewonnen. Unter Trainer Hansi Flick ist die Mannschaft noch ungeschlagen. Wie wird Deutschlands Team in den Niederlanden eingeschätzt?
Mulder: Es gibt in Deutschland unglaublich gute Spieler. Wir kennen natürlich Kai Havertz und Thomas Müller, aber es gibt auch andere Jungs, die aktuell noch etwas weniger bekannt und nicht so gut einzuschätzen sind. Deutschland ist ein Fußballriese. Angst werden wir aber nicht haben. Hoffentlich laufen beide Teams mit der stärksten Mannschaft auf. Niederlande gegen Deutschland muss man so angehen.
Das stimmt, es sind zwei große Fußballnationen. Aber was sind die Unterschiede zwischen dem Fußball in den Niederlande und Deutschland?
Mulder: Die Unterschiede waren früher ausgeprägter als heute. Früher war Holland die technische Mannschaft und wollte mit gutem Fußball Erfolg haben. Deutschland war ganz anders, es ging um Kraft und die ‚typischen‘ Tugenden. Deutschland musste bei großen Turnieren mindestens in das Halbfinale kommen, um zufrieden zu sein. Für uns wäre das ein großer Erfolg. Aber das hat sich geändert, Deutschland legt heute viel mehr Wert auf Technik und auf die Jugendförderung. Man hat gesehen, dass es in einem Land mit 80 Millionen Einwohnern große Talente gibt. Daran muss Deutschland festhalten. Als ich aus der Eredivisie in die Bundesliga gekommen bin, war es eine andere Welt und ein anderer Fußball. Er war viel schneller, viel körperlicher und viel dynamischer.
Mulder über Ouwejan: „Thomas spielt eine super Saison“
Trotzdem wurden Sie nach Ihrem Wechsel 1993 von Twente Enschede zu Schalke 04 schnell ein Kultspieler – wie viele andere Niederländer: Klaas-Jan Huntelaar, Johan de Kock, Nils Oude Kamphuis zum Beispiel. Warum passen Niederländer so gut zu Schalke?
Mulder: Wahrscheinlich habe ich den Weg gut vorbereitet (lacht). Im Ernst: Ich weiß es nicht. Man könnte sagen, dass die Mentalität im Ruhrgebiet ähnlich wie in den Niederlanden ist. Ich denke, dass das irgendwann einfach kommt, wenn man gute Erfahrungen mit einem Spieler aus einem bestimmten Land gemacht hat. Es gab auch viele Belgier auf Schalke. Niederländer passen sich gut an. Bei Norwegern oder Dänen ist das ähnlich.
Der nächste Niederländer, der bei Schalke durchstartet, ist Thomas Ouwejan. Wäre der 25-Jährige einer für die Elftal?
Mulder: Thomas Ouwejan spielt eine super Saison und würde gut zu van Gaals System passen. Aber ich denke, dass es für die WM ein bisschen zu spät für ihn ist. Es wird auch ein bisschen schwieriger für ihn, weil er in der 2. Bundesliga spielt. Von der Qualität her könnte er aber ohne Zweifel in der Nationalelf spielen.