Gelsenkirchen. Vor exakt einem Jahr wurde Dimitrios Grammozis Schalke-Trainer. Seitdem ist viel passiert. Der 43-Jährige aber ist sich stets treu geblieben.
Es war dunkel geworden in den Bergen, als Dimitrios Grammozis in einen großen Saal im Schloss Mittersill bat. Ein warmer Trainingstag in den Kitzbühler Alpen lag hinter dem 43 Jahre alten Trainer des FC Schalke 04, und doch bat er in gemütlicher Runde bei kühlen Getränken zu einem Kamingespräch. Plötzlich zog ein kräftiges Alpen-Gewitter auf. Grammozis schaute kurz auf und redete dann leidenschaftlich weiter. Es ist keine schlechte Eigenschaft, sich von größten Stürmen kaum beeindrucken zu lassen, vor allem als Schalke-Trainer. Seit genau einem Jahr nun befindet sich Grammozis in der Unwetterzone Schalke. Ein Jahr, in dem viel passiert ist – aber ein Jahr, in dem er sich bei aller Kritik selbst treu blieb.
Das sagen jedenfalls diejenigen, die auch den privaten Grammozis kennen, der mit seiner Frau und drei Kindern in Velbert lebt. Kein Trainer im deutschen Fußball, ist immer wieder zu hören, könne so krisensicher sein wie „Dimi“, wie er von Freunden, Fans und Verantwortlichen genannt wird. Geduzt zu werden, das stört ihn nicht. „Das war ein sehr intensives Jahr. Aber nicht nur für mich, sondern für alle, denen Schalke etwas bedeutet“, blickt Grammozis im WAZ-Gespräch zurück.
Bilanz von Grammozis als Schalke-Trainer ausgeglichen
Als er vor einem Jahr übernahm, standen noch elf Spiele in der Bundesliga auf dem Programm – den Abstieg konnte er nicht verhindern. Nach 24 Zweitliga-Spieltagen steht Schalke auf Platz fünf. Das ist okay, aber zu holprig waren die Leistungen. Auf Händen getragen wurde er in den zwölf Monaten nie. Und doch sagt er: „Ich komme jeden Tag mit einer riesigen Freude auf das Klubgelände. Ich bin schon als Kind ins Parkstadion gegangen, ich habe eine sehr emotionale Bindung zu diesem Verein. Für mich ist es ein Privileg, Trainer von Schalke 04 sein zu dürfen. Das ist mehr als nur irgendein Job.“
Nie vergisst Grammozis, in Medienrunden mit „Erst einmal Glück auf und Hallo“ zu grüßen. Sein Vater war aus Griechenland als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen, hatte als Polierer in einer Metallverarbeitungsfirma gearbeitet. Grammozis kennt das harte Leben als Arbeiterkind, wie es auch viele Schalke-Fans erlebt haben.
Als ehrliche Haut wird er auch anerkannt im Verein, in der Stadt. Ehrlichkeit darf bei ihm aber nicht mit Naivität verwechselt werden. Grammozis war ein sehr gerissener Profi, als Mittelfeldspieler kannte er viele schmutzige Tricks, als er in Uerdingen, Hamburg, Kaiserslautern und Köln spielte. Er hat in seiner Karriere klug gewirtschaftet, lebt sehr seriös, hat einen Medienberater engagiert.
Schalke-Trainer Dimitrios Grammozis genießt Momente mit den Fans in der Arena
Das alles hilft ihm, die schwierigen Tage zu überstehen, die es auch gerade wieder gibt. Unabhängig vom Wechsel des Hauptsponsors: „Wir wissen, dass die Erwartungen sehr hoch sind. Und wir versuchen alles, um diese Erwartungen auch zu erfüllen. Wir hatten im Sommer einen riesigen Umbruch auf vielen Ebenen. Das ist nicht so einfach. Aber mein Eindruck ist, dass der ganze Klub das gemeinsam sehr gut gemeistert hat“, sagt er der WAZ. Grammozis’ Bilanz ist ausgeglichen – in 35 Punktspielen saß er auf der Bank, es gab 14 Siege und 15 Niederlagen bei sechs Unentschieden.
Wenn es allein um die Zahlen ginge, die Entwicklung der Mannschaft, mit welcher Leidenschaft er sich vom Sonnenaufgang bis zur Dämmerung mit dem Verein auseinandersetzt, dürfte es eigentlich keine großen Diskussionen um den Trainer geben.
Trotz des Abstiegs gab es einige Höhepunkte. „Die schönsten Momente sind für mich, wenn wir in die Arena kommen und unsere Fans da sind. Das ist schon etwas sehr Besonderes, das genieße ich sehr“, sagt er selbst. Es gab spezielle Tore – das 1:0-Siegtor in Hannover durch Marcin Kaminski in der Nachspielzeit. Oder das umjubelte 3:1 im Hinspiel gegen Düsseldorf durch Simon Terodde vor 25.000 Fans. Nicht nur.
Auf Schalke fehlt das letzte bisschen Vertrauen in Grammozis
Denn auch die Kritik an Grammozis ist allgegenwärtig. Sind es die bedeutenden Niederlagen (0:5 in Wolfsburg, 0:4 in Freiburg, 0:1 in Bielefeld, 1:4 in Regensburg), die an Grammozis’ Jacke kleben. Kritiker bemängeln, dass er stets an der gleichen Taktik festhält, lediglich Nuancen verändert. Für ausgeklügelte Matchpläne und revolutionäre Ideen ist er nicht bekannt. Der Anteil an den Siegen sei eher Einzelspielern als dem Trainer zu verdanken, heißt es oft. Eine Pauschalkritik wie diese ist häufig unfair. Er könne sich nicht verkaufen, ist ebenfalls manchmal zu hören. Ein begnadeter Rhetoriker wie Ex-Trainer Domenico Tedesco ist er nicht, auch kein Knurrer wie Jahrhunderttrainer Huub Stevens, dessen Statements in späteren Jahren Kult-Charakter bekamen.
Grammozis’ Pech ist es, dass auch die Vereinsführung nicht gänzlich von ihm überzeugt ist. Steigt Schalke nicht auf, dürfte seine Zeit am 30. Juni enden. Dieses fehlende Quäntchen Vertrauen könnte er bemängeln, doch über die schlechten Erfahrungen in seinem ersten Jahr sagt er: „Die Zeit ohne Zuschauer fand ich schrecklich – nicht nur für uns als Verein, sondern auch für die Fans, die zuhause bleiben mussten. Das war etwas, an das ich mich weder gewöhnen wollte noch konnte.“
Nur einmal hat Grammozis auf Schalke öffentlich gewütet
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Ausfallend wurde er nicht oft. Innerhalb der Kabine kann er schon sehr laut sein, auch mal im Amateurfußball-Jargon fluchen, wie zu hören ist. Aber in der Öffentlichkeit wich er nur einmal von seiner Linie ab – beim 1:1 in Bremen, als er sich durch den fragwürdigen Elfmeter in der Nachspielzeit ungerecht behandelt fühlte. „Der muss den Schiedsrichter-Schein neu machen“, sagte er wütend über Tobias Stieler.
Auch das ist Dimitrios Grammozis. Der Mann der auf Schalke den Stürmen trotzt - egal, ob in den Kitzbühler Alpen oder am Berger Feld in Gelsenkirchen.