Gelsenkirchen/Rostock. Auf Schalke kam Timo Becker zuletzt kaum noch zum Zug. Im Interview erklärt er seine Leihe zu Hansa und blickt auf die vergangenen Monate zurück.
Nein, die Grundfarbe des Trikots hat sich nicht verändert. Ungewohnt ist der Anblick von Timo Becker im Dress von Hansa Rostock dennoch. Erst in der vergangenen Woche wurde der 24 Jahre alte Verteidiger von Schalke an die Ostsee ausgeliehen.
Im Interview spricht Becker über seinen Abschied aus Gelsenkirchen sowie Höhepunkte und Rückschläge während seiner Zeit auf Schalke.
Timo Becker, rund eine Woche sind Sie nun in Rostock. Wie ist Ihr erster Eindruck von Stadt und Verein?
Timo Becker: Bis jetzt ist alles super. Ich wurde von der Mannschaft und den Verantwortlichen herzlich empfangen. Durch einen Zufall bin ich sogar nach nur zwei Tagen im Hotel schon an ein möbliertes Apartment gekommen. Jetzt fühle ich mich schon wohl hier in meinen ersten eigenen vier Wänden. Ich wohne fünf Minuten Fußweg vom Strand entfernt, kann von meinem Fenster einen Leuchtturm sehen. Das kannte ich aus Gelsenkirchen nicht.
Klingt fast wie Urlaub.
Becker: (lacht) Könnte man meinen, doch ich bin nicht hier zum Urlaub machen. Aber natürlich will ich die Ruhe an der Ostsee auch genießen und nach eineinhalb turbulenten Jahren auf Schalke den Kopf freikriegen. Ich hoffe, dass mir das neue Umfeld noch mehr Kraft gibt, damit ich mich voll auf den Fußball und die Herausforderungen mit Hansa fokussieren kann.
Nach Stationen bei Rot-Weiss Essen und Schalkespielen Sie nun das erste Mal weit weg von zu Hause.
Becker: Es ist sogar das erste Mal, dass ich allein wohne (lacht). Zuletzt habe ich noch bei meinen Eltern in Gelsenkirchen gewohnt. Hier in Rostock muss ich mich jetzt um den Haushalt kümmern und einkaufen gehen, was mir vorher meist abgenommen wurde. Noch ist das alles ein bisschen ungewohnt.
Am Samstag durften Sie Ihr Debüt für Hansa feiern. Wie hat es sich angefühlt?
Becker: Es ging alles wirklich schnell. Nur ein paar Tage nach meinem ersten Training stand ich direkt in der Startelf. Ich war hin- und hergerissen, weil ich auf Schalke zuletzt nicht so viel gespielt hatte und bei meinem Debüt natürlich alles richtig machen wollte. Dann tatsächlich mit den neuen Kollegen auf dem Platz zu stehen, hat sich toll angefühlt. Als Mannschaft haben wir gegen Heidenheim eine gute Leistung gezeigt. Eigentlich müssen wir solche Spiele sogar gewinnen. Leider haben auch die Fans auf den Rängen gefehlt. Ich weiß aus meinem Gastspiel mit Schalke noch, wie gut die Stimmung hier sein kann.
Warum haben Sie sich für den Schritt nach Rostock entschieden?
Becker: Die Gespräche mit Trainer Jens Härtel waren gut, und es wurde schnell konkret. Mein Ziel ist es, mich in Deutschland durchzusetzen. Ich weiß, dass ich das Potenzial habe, es zu schaffen. Hansa Rostock ist ein geiler und emotionaler Verein mit viel Tradition, die ganze Stadt ist fußballverrückt. Das sind tolle Voraussetzungen.
Auf Schalke haben Sie unter Dimitrios Grammozis zuletzt kaum Einsätze bekommen. Wie schwer war diese Zeit?
Becker: Es ist mental sehr schwierig, über einen längeren Zeitraum wenig zu spielen und kaum Chancen zu bekommen. Das Selbstvertrauen schwindet, und man gerät in eine Negativspirale. Doch für mich war es nicht das erste Mal. Schon in der Vergangenheit lief bei mir nicht immer alles glatt, und aus diesen Phasen habe ich gelernt. Im Fußball bekommt man immer wieder Chancen – und dafür muss man bereit sein, indem man in jedem Training 100 Prozent gibt. Das habe ich auf Schalke zuletzt versucht.
Noch in der Rückrunde der vergangenen Bundesligasaison waren Sie auf Schalke gesetzt, Ihr Vertrag wurde verlängert. Sie hatten in der Zweiten Liga sicher mehr Spielzeit erwartet als Sie in der Hinrunde tatsächlich bekommen haben.
Becker: Stimmt. Ich habe in der Bundesliga regelmäßig gespielt, obwohl im Kader einige große Namen standen. Das hat mich extrem stolz gemacht. Auch die Fans wussten meine Leistungen zu schätzen. Dann wurde auch mein Vertrag verlängert, was mir gezeigt hat, dass auch der Verein auf mich zählt. Zu diesem Zeitpunkt war ich sehr glücklich, denn Schalke war schon immer mein Verein. Von diesen Gefühlen habe ich mich leiten lassen und gedacht, dass ich in der 2. Bundesliga Stammspieler sein kann. Ich wollte Schalke unbedingt dabei helfen, den Aufstieg zu schaffen. Zu Saisonbeginn wurde ich immerhin noch ein paar Mal eingewechselt. Dann habe ich aber gemerkt, dass meine Chancen weniger werden. Das hat mich getroffen und mental heruntergezogen. Eine solche Situation ist schwer für den Kopf – und mit 24 Jahren bin ich kein Talent mehr, sondern in einem Alter, in dem ich regelmäßig spielen will und muss.
Was hat Ihnen in dieser schwierigen Phase geholfen?
Becker: Meine Freundin und meine Familie waren immer für mich da. Bei ihnen konnte ich auch mal meinen Frust herauslassen. Aber auch auf Schalke wurde mir von ganz vielen Personen Mut zugesprochen. Trotzdem gibt es immer mal Phasen, in denen man sich fragt, warum man überhaupt noch so viel Kraft investiert, obwohl man kaum noch Chancen auf Einsätze hat – ich glaube, das geht jedem Fußballer so, der nicht spielt. Zum Glück gehen diese Phasen bei mir sehr schnell vorbei, wenn ich daran denke, was ich in den vergangenen Jahren erreicht habe. Ich durfte mir meinen Traum vom Profifußball erfüllen. Ich werde weiter so hart arbeiten, wie ich kann, damit meine Reise im Profifußball noch lange weitergeht.
Auf Schalke spielten Sie der Hinrunde zeitweise mit der U 23 in der Regionalliga. Wie schwer war es, sich erneut auf die vierte Liga einzulassen?
Becker: Gerade mit Rot-Weiss Essen durfte ich in der Regionalliga schon reichlich Erfahrungen sammeln. Deshalb weiß ich, dass es für die Gegenspieler immer eine Extramotivation bedeutet, wenn bekannte Bundesligaprofis in den zweiten Mannschaften aushelfen. Viele Regionalligaspieler wollen es dem Profi dann zeigen, indem sie ihn umtreten oder durchgehend beleidigen. Und ich muss zugeben: Nach den schwierigen Monaten in der 2. Liga war ich dafür mental nicht stark genug. Als ich zur U 23 geschickt wurde, war ich in den ersten beiden Spielen vom Kopf her noch nicht anwesend. Die ganze Situation war zu viel für mich. Nach ein paar Wochen konnte ich diesen Schalter umlegen und mich an die Liga gewöhnen. Dann hatte ich sogar wieder Spaß am Fußball, weil ich Spielpraxis sammeln und mich für einen neuen Klub im Winter empfehlen konnte.
Hansa Rostock und Schalke 04 haben ein Geheimnis um eine Kaufoption im Sommer gemacht. Werden Sie im Sommer nach Gelsenkirchen zurückkehren?
Becker: Die Frage kann ich jetzt noch nicht beantworten. Für mich geht es nur darum, die kommenden Monate zu nutzen. Ich will Hansa helfen und gleichzeitig so viel Spielpraxis wie möglich sammeln. Klar, kann ich mir vorstellen, zu Schalke zurückzukehren, doch in erster Linie geht es jetzt darum, in Rostock die gemeinsamen Ziele zu erreichen. Im Sommer werden wir dann sehen, wo ich lande.
Schafft Hansa den Klassenerhalt?
Becker: Ich kann versprechen, dass ich alles dafür geben werde. Gegen Heidenheim haben wir gezeigt, dass wir guten Fußball spielen können. Wenn wir daran anknüpfen können, werden wir die Klasse halten.
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Schafft Schalke den Aufstieg?
Becker: Ich würde es mir wünschen. Aber die Liga ist extrem ausgeglichen. Kleinigkeiten werden über den Aufstieg entscheiden. Zum Beispiel, welche Mannschaft sich die wenigsten Ausrutscher leistet.