Gelsenkirchen. Interview zum Auftakt ins Fußball-Jahr 2022: Schalke-Trainer Dimitrios Grammozis spricht über Ziele, Kritik und zieht ein persönliches Fazit.

Dimitrios Grammozis klingt ehrgeizig am Telefon. Wenige Tage sind es für den Trainer des FC Schalke 04 noch bis zum Zweitliga-Auftakt 2022 gegen Holstein Kiel (Sonntag, 13.30 Uhr/Sky) beginnt. Im Exklusiv-Interview resümiert der 43 Jahre alte Grammozis seine bisher etwa zehnmonatige Amtszeit und blickt auf seine persönliche und Schalkes Zukunft. Zudem stellt der Schalke-Trainer eine interessante These auf.

Herr Grammozis, Ihr Vater war Polierer für viele Autowerkstätten. Wie viel Glanz steckt vor dem Rückrundenauftakt gegen Holstein Kiel am Sonntag in der Mannschaft des FC Schalke 04?

Dimitrios Grammozis: Mein Vater war so gründlich an der Poliermaschine – wenn wir so hart arbeiten wie er früher, dann bekommen wir sehr viel Glanz (lacht).

Die Vorbereitung im Winter war kurz, es gab kein Trainingslager. Ist es da überhaupt möglich, neue Ideen einzustudieren?

Grammozis: Es war fast wie eine Länderspielpause. Wir haben versucht, unsere Grundprinzipien aufzufrischen, im körperlichen Bereich gearbeitet und uns schnell auf Kiel fokussiert. Es war kurz, aber wir haben viele Inhalte besprechen können.

Haben Sie sich geärgert, dass einige Spieler trotz der Corona-Pandemie in den Urlaub, teilweise sogar in Risikogebiete, geflogen sind?

Grammozis: Das muss jeder selbst wissen. Wenn die Jungs die Möglichkeit haben, eine Auszeit zu nehmen, dann sollen sie das aus meiner Sicht machen. Ich bin der Letzte, der ihnen verbietet, irgendwo hinzufliegen. Entscheidend ist aus meiner Sicht auch nicht der Ort, sondern das Verhalten. Wir hatten ihnen Verhaltensregeln und Empfehlungen mitgegeben.

Sie sind seit etwa zehn Monaten da. Das fühlt sich bestimmt länger an…

Grammozis: Die zehn Monate waren sehr kurzweilig. (grinst) Wenn man bei einem Verein wie Schalke arbeitet, gibt es immer Action – auf und neben dem Platz.

Energisch an der Seitenlinie: Schalkes Cheftrainer Dimitrios Grammozis.
Energisch an der Seitenlinie: Schalkes Cheftrainer Dimitrios Grammozis. © dpa

Als Sie anfingen, war vieles unklar: die Liga, die Zusammenstellung der Mannschaft, die Finanzen des Klubs. Wie würden Sie persönlich Ihren Weg seitdem beurteilen?

Grammozis: Was für mich persönlich wichtig ist: Es kam zu keiner Zeit der Gedanke auf: Warum habe ich mir das angetan? Ganz im Gegenteil, ich komme jeden Tag mit sehr guter Laune zur Arbeit. Die zehn Monate waren auch für mich intensiv. Wir haben es zusammen geschafft, eine Aufbruchstimmung zu erzeugen. Wenn man sieht, wie sich die Mannschaft präsentiert, wie wir als Verein zusammenstehen, dann geht das in die richtige Richtung.

Waren für Sie die beiden Monate mit der alten Mannschaft in der Abstiegssaison für Sie wichtig, damit Sie Schlüsse für die aktuelle Saison schließen konnten?

Grammozis: Auf jeden Fall. Darum bin ich auch noch in der vergangenen Saison angetreten. Ich wusste, dass es hart werden könnte, aber die Erkenntnisse waren wertvoll, um viele Sachen für die neue Saison besser beurteilen zu können.

Das ist Schalke-Trainer Dimitrios Grammozis

Dimitrios Grammozis wurde in Wuppertal geboren, wuchs in Velbert auf und wohnt mit seiner Frau und drei Kindern noch heute. Sein Vater war als Gastarbeiter aus Griechenland nach Deutschland gekommen.

In der Jugend spielte er für drei Velberter Klubs, bevor er über den Wuppertaler zum KFC Uerdingen kam. Beim KFC wurde er 1996 Profi. Während seiner aktiven Karriere spielte er in Deutschland von 1996 bis 2007 für den Hamburger SV, den 1. FC Kaiserslautern, den 1. FC Köln und Rot-Weiss Essen. Er bestritt als defensiver Mittelfeldspieler 143 Bundesliga- (vier Tore) und 65 Zweitligapartien (drei Tore).

Seine aktive Karriere ließ er bei in Griechenland bei Ergotelis FC auf Kreta und AO Kerkyra auf Korfu sowie auf Zypern bei Omonia Nikosia ausklingen. Im Alter von 34 Jahren wechselte er 2012 zum VfL Bochum und hatte bis 2019 diverse Funktionen - Spieler in der U23, Cheftrainer der U15, U17 und U19 sowie Co-Trainer der Profis. Er erwarb alle Trainerscheine und wurde Fußballtrainer.

Von Februar 2019 bis Juni 2020 trainierte er den Zweitligisten Darmstadt 98, er konnte sich aber nicht auf eine Verlängerung des Vertrages verständigen. Seit Anfang März 2021 ist er auf Schalke.

Sie sind sich trotz der Höhen und Tiefen treu geblieben, haben sich nicht verändert. Womit hängt das zusammen?

Grammozis: Das ist eine Mischung aus meiner Persönlichkeit und der Erfahrung als Fußballprofi. Ich hatte Trainer wie Friedhelm Funkel, Eric Gerets und Otto Rehhagel – da habe ich mir vieles abgeschaut. Nicht nur im Umgang mit Spielern, sondern auch, wie sie sich in guten und schlechten Zeiten verhalten haben. Ich habe gelernt, dass sie durch ihre starke Persönlichkeit nicht ihren Weg verlassen haben. Das hat mir imponiert.

Die Hinrunde hatte Höhen und Tiefen. An welche Ereignisse denken Sie zuerst?

Grammozis: Bei Tiefen denke ich zum Beispiel an das 1:4 bei Jahn Regensburg. Es gibt nicht den einen positiven Moment, den ich herausheben kann, es gab einige. Wir haben eine Auf-und-Ab-Hinrunde erlebt, müssen weiter gierig bleiben. Die Rückrunde wird genauso intensiv.

Haben Sie in der Hinrunde Fehler gemacht?

Grammozis: Natürlich habe auch ich nicht alles richtig gemacht. Kein Mensch ist fehlerfrei. Wir haben manche Dinge versucht, die nicht geklappt haben, die wir danach aber korrigieren konnten und die im Endeffekt zu einer positiven Entwicklung geführt haben.

Es gab einige Diskussionen über die Schalker Taktik mit Dreier-/Fünferkette, auch in dieser Zeitung. Sie haben die Kritik als „oberflächlich“ bezeichnet. Wie haben Sie das gemeint?

Grammozis: Es ist zu oberflächlich zu sagen: Ein Spiel mit Viererkette ist offensiv, mit Dreier- oder Fünferkette aber defensiv. Jeder Trainer hat seine eigene Art und Weise, dieses System zu interpretieren. Ich stufe es zum Beispiel als offensives System ein. Wir können auch auf Schalke nicht defensiv spielen. Wir haben die viertmeisten Tore geschossen, die meisten Torschüsse abgegeben.

Gab es, wie zu lesen war, im Spielerkreis Beschwerden über die Taktik?

Grammozis: Ich bin mit den Jungs im ständigen, offenen Austausch, der auch kritisch sein kann. Wir sind nicht auf Kuschelkurs. Aber egal mit wem ich gesprochen habe: Ich habe das Gefühl, dass die Mannschaft das System annimmt.

Schalke-Trainer Dimitrios Grammozis während einer Trainingseinheit in der Vorbereitung.
Schalke-Trainer Dimitrios Grammozis während einer Trainingseinheit in der Vorbereitung. © firo

Sie halten stets am gleichen System fest – andere Trainer variieren häufig. Ist Schalke zu berechenbar?

Grammozis: Das sehe ich nicht so. Ich weiß auch jede Woche, in welchem System Bayern München, Real Madrid und der FC Chelsea spielen. Dass man sich auf ein System festlegt, ist kein Nachteil. Für Reporter ist es vielleicht langweiliger, als wenn man jede Woche Personal und System durchmischt. In der Hinrunde mussten wir die Entwicklung der Spieler, gerade der jüngeren, abwarten. Viele waren zu Beginn noch nicht auf dem jetzigen Stand. Das war ein wichtiger Faktor, warum wir nicht von Woche zu Woche alles durchwechseln. Diese Mannschaft, dieser Verein, braucht meiner Meinung nach Stabilität auf allen Ebenen. Aber das heißt ja nicht, dass man nicht innerhalb des Grundsystems flexibel agiert. Das hat man ja beispielsweise auch zuletzt gegen den HSV gesehen, als Ko Itakura immer wieder vorgeschoben ist.

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In der Anfangsphase der Saison waren viele Angriffe ähnlich: Der linke Verteidiger Thomas Ouwejan flankt, in der Mitte soll Simon Terodde verwandeln…

Grammozis: Auch diese Aussage finde ich zu oberflächlich.

Warum?

Grammozis: Es ist doch nichts Schlimmes daran, wenn man versucht, seine guten Spieler in Position zu bringen. Ich wäre ja doof, wenn wir dann immer nur über die andere Seite angreifen würden.

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Gegen Nürnberg und den HSV hat die Mannschaft aber gezeigt, dass es auch ohne Terodde geht, der verletzt gefehlt hat.

Grammozis: Es ist klar, dass wir über noch mehr Optionen zum Torerfolg kommen wollen. Der Ausfall von Simon hat vielleicht bei dem einen oder anderen das Zeichen gegeben, mehr in den Strafraum vorzudringen. Je mehr Spieler dort sind, desto wahrscheinlicher ist ein Torerfolg.

Nun ist Simon Terodde wieder fit. Spielt er dann auch?

Grammozis: Simon hat uns gefehlt – auch im Spiel beim HSV. Da sind so viele Bälle in den gegnerischen Strafraum geflogen, er hätte in der einen oder anderen Szene sicher seinen Kopf oder Fuß im richtigen Moment hingehalten. Simon hat voll mittrainiert. Ich bin sehr zuversichtlich, dass er spielen kann. Ob von Beginn an oder als Joker, das werden wir kurzfristig gemeinsam entscheiden.

Ein neuer Spieler ist gekommen: Rechtsverteidiger Andreas Vindheim. Dabei gibt es trotz der Verletzung von Mehmet Can Aydin schon einen Spieler auf dieser Position: Reinhold Ranftl.

Grammozis: Die Verpflichtung bedeutet Konkurrenzkampf, der uns besser macht. Andreas Vindheim hat keinen Freifahrtschein, nur weil er neu ist. Er muss sich mit guten Leistungen empfehlen. Außerdem wird uns Mehmet leider einige Wochen fehlen.

Die Saison beginnt wieder. Gibt es noch Änderungen im Kader?

Grammozis: Wir schauen uns weiter um. Das hat aber nichts damit zu tun, dass wir mit dem Kader unzufrieden sind. Im Gegenteil. Wenn wir in dieser Zusammensetzung weiterspielen, wäre ich auch sehr glücklich. Ich vertraue den Jungs, die da sind. Das haben sie sich auch verdient.

Gibt es Spieler, von denen Sie jetzt besonders viel erwarten?

Grammozis: Ich bin kein Trainer, der bei einigen Spielern weniger streng ist als bei anderen. Unsere Vorrunde war okay bis gut. Wenn wir erfolgreicher sein wollen, müssen sich alle steigern. Ich nehme alle in die Pflicht – die Torhüter und die Abwehrspieler, damit sie weniger Gegentore bekommen und noch aggressiver verteidigen. Ich will, dass aus dem Mittelfeld mehr Torgefahr entsteht und dass die Stürmer noch mehr Präsenz zeigen. Ich bin nicht hundertprozentig zufrieden mit der Vorrunde.

Wie sieht es bei Danny Latza aus? Wie geht es mit seiner schwierigen Situation um?

Grammozis: Danny ist ein erfahrener Spieler, der die Situation sehr gut einschätzen kann. Die Verletzung im ersten Spiel hat ihn zurückgeworfen. Mit zunehmendem Alter wird es schwerer, schnell topfit zurückzukommen. Seine Präsenz als Kapitän ist mir wichtig. Er arbeitet aktuell sehr hart an sich und ist auf einem guten Weg.

Es war zu lesen, dass Ihnen der Rauswurf gedroht hätte, wenn die Spiele gegen Nürnberg und in St. Pauli verloren gegangen wären. Gab es ein solches Gespräch mit Rouven Schröder?

Grammozis: Wenn Sie darauf anspielen, es habe ein Ultimatum gegeben – das hat es nie gegeben, und das gibt es auch jetzt nicht. Es gab auch nicht dieses eine Gespräch mit Rouven Schröder. Ich rede jeden Tag mit ihm, Peter Knäbel und Gerald Asamoah über die Spiele und was wir besser machen können. Die interne Kommunikation ist offen, ehrlich und kritisch. Wir wussten im Sommer, dass dieser Umbruch Zeit braucht. Wenn man sich Hin- und Rückspiel gegen den HSV anschaut, sieht man, wie wir uns entwickelt haben.

Die Tabellensituation ist vielversprechend. Warum formulieren Sie nicht das klare Ziel Aufstieg?

Grammozis: Es würde nichts bringen, wenn ich große Reden schwinge, dadurch ist noch niemand erfolgreich gewesen. Das bedeutet aber nicht, dass wir nicht extrem ehrgeizig wären. Das sind wir. Der Verein hat kommuniziert, dass man innerhalb von drei Jahren in die Bundesliga aufsteigen möchte. Wenn wir die Chance früher bekommen sollten, wehren wir uns natürlich nicht dagegen – ganz im Gegenteil. Dann werden wir alles dafür tun, diese Chance zu nutzen. Wir wollen den maximal möglichen Erfolg, an jedem Wochenende und über die gesamte Saison.

Braucht ein emotionaler Verein wie Schalke nicht etwas mehr Mut?

Grammozis: Mut braucht es vor allem auf dem Platz. Es tut uns allen gut, sich allein auf die Spiele zu konzentrieren. Das ist meine Aufgabe als Trainer. Denn es ist sehr schwer, in dieser Zweiten Liga zu bestehen.

Wo sehen Sie sich am 1. Juli 2022?

Grammozis: Bei meiner Familie. (lacht)

Ihr Vertrag verlängert sich nur im Aufstiegsfall automatisch, er endet sonst am 30. Juni. Reden Sie schon mit Rouven Schröder über die kommende Saison?

Grammozis: Es gibt eine Konstellation, die den Vertrag verlängert – ich rede über meine Situation aber ungern. Es bringt nichts, darüber nachzudenken, was passiert, wenn was eintrifft. Wir haben ein schwieriges Spiel gegen Kiel vor uns.

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Ist das wirklich die Wahrheit? Sie könnten ja auch sauer auf den Verein sein, dass nicht mit Ihnen geredet wird.

Grammozis: Nein, ich bin total entspannt. Wir reden jeden Tag miteinander. Ich arbeite sehr hart, und für mich ist wichtig, dass Schalke in die Erfolgsspur kommt. Es ist klar: Umso erfolgreicher wir als Mannschaft sind, umso einfacher ist die Situation für alle Beteiligten im Sommer.

Könnten die Geisterspiele zu einem Problem werden?

Grammozis: Schalke wäre unter normalen Bedingungen, mit Fans in der Veltins-Arena, nie aus der Bundesliga abgestiegen. Dann wäre es zwar eine schlechte Saison geworden, mit Platz 13 oder 14 – aber kein Abstieg. Es ist ein Nachteil für uns, wenn die Zuschauer nicht da sind. Aber wir dürfen darüber nicht jammern. Wir müssen uns noch mehr motivieren.

Was meinen Sie damit?

Grammozis: Das Adrenalin, das wir vor den Spielen aufbauen, hat viel mit den Zuschauern zu tun. Wir sehen die Fans auf den Straßen, wie sie mit ihren Fahnen zum Stadion gehen, erleben die Stimmung, wenn wir ins Stadion einlaufen. Das gibt es nun nicht. Die Mannschaft, die es schafft, mit dieser Situation umzugehen, wird erfolgreich sein.

Sie haben mal gesagt, in Ihrer Zeit als Spieler hätten Sie die emotionalsten Fans auf Zypern erlebt. Toppt Schalke Zypern?

Grammozis: Auf Zypern habe ich die negativsten Emotionen erlebt, als mit Backsteinen auf uns geworfen wurde, weil wir aus dem Pokal geflogen sind (lacht). Ich hatte nicht viele Spiele mit Fans in der Arena, aber unsere Fans besitzen Top-Niveau, weltweit. Viele Vereine beneiden uns darum. Egal, wo ich hinkomme: Überall trifft man Schalke-Fans. Und alles, was ich tue, mache ich vor allem, um zufriedene Fans zu sehen.