Enschede/Gelsenkirchen. Die Eredivisie ist die Liga der deutschen Torhüter. Nicht nur der frühere Schalker Lars Unnerstall sorgt für Aufsehen in den Niederlanden.
Ein geflügeltes Wort über Torhüter geht so: Ein Spiel könne ein Keeper nicht gewinnen, aber eine Niederlage vereiteln. Auf den aktuellen Zustand bei Lars Unnerstall, den früheren Schalke-Profi, der im Nachbarland Niederlande zu einem beispiellosen Höhenflug angesetzt hat, trifft dies eher nur bedingt zu. Beim Ligasechsten Twente Enschede hechtet und faustet, pariert und verblüfft der 31-Jährige mit einzigartigen Reflexen so konstant und fulminant, dass sein Trainer Ron Jans ihn als einen „wirklichen Punktelieferanten“ geadelt hat.
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Alle in der Eredivisie rühmen den Deutschen im Twente-Kasten. „Ein sehr guter Torwart“, lobte Cyriel Dessers, der Torjäger von Feyenoord Rotterdam, nachdem er jüngst beim Spitzenspiel in Lars Unnerstall mehrfach seinen Meister gefunden hatte. Und auch Frank Wormuth, der deutsche Coach bei Heracles Almelo, kann aus eigener Anschauung die guten Kritiken nachvollziehen, die der gebürtige Ibbenbürener neuerdings zuhauf einheimst: „Er hat einen großen Anteil daran, dass Enschede eine so brillante Saison spielt.“
Zwei weitere Ex-Schalker parieren im Ausland
Matchwinner Unnerstall ist der Primus unter den sieben Torleuten mit deutscher Vergangenheit oder einem Pass der Bundesrepublik, die momentan in der höchsten holländischen Spielklasse für Furore sorgen. Eine wahre Schwemme der Kandidaten aus der hochgepriesenen Torwart-Nation.
Zwei weitere frühere Schalke-Schlussleute zählen ebenfalls zu dieser Fraktion: Markus Schubert, der 23-Jährige, der 2019 kurzzeitig Andreas Nübel als Nummer eins abgelöst hatte, steht nach seiner Leihe in Frankfurt bei Vitesse Arnheim zwischen den Pfosten. Timo Wellenreuther (26), in acht Bundesligaspielen für die Königsblauen am Ball, ist nach seinem Ausflug nach Mallorca nun in Anderlecht gelandet und derzeit von den Belgiern ausgeliehen an Willem II Tillburg.
Okoye ist in den Niederlanden der Aufsteiger
„Die meisten schießen durch die Decke“, sagt Lutz Pfannenstiel, einst selbst Torwart und ein Weltreisender in diesem Job, über die gelungene Präsentation der Legionäre. Der heutige Sportdirektor beim MLS-Klub St. Louis City, in der Bundesliga in führenden Positionen in Hoffenheim und zuletzt Düsseldorf aktiv, gilt als Spezialist, der sich ein Urteil über den Torhüter-Markt erlauben kann.
Einer seiner Schützlinge, von ihm bei Fortuna Düsseldorf betreut, ist neben Unnerstall der Aufsteiger: Der Deutsch-Nigerianer Maduka Okoye, in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt geboren, wechselte im Sommer 2020 zu Sparta Rotterdam. Nur eine Zwischenstation für den 22-jährigen Nationalkeeper, den der FC Watford für die stolze Ablöse von 7 Millionen Euro verpflichtet hat. Die Rückserie darf er noch bei Sparta bleiben, ab nächsten Sommer wechselt er in die Premier League.
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Das Beispiel Okoye ist kein Einzelfall. Holland als Sprungbrett. Die Spieler können die Liga als Schaufenster nutzen, in dem sie sich bestens präsentieren können, schildert Jörg Neblung, der Berater, der einst mit Robert Enke zusammenarbeitete und sich auf den Torwartbereich spezialisiert hat. „Manche tauchen so wie aus dem Nirgendwo wieder auf und rücken ins Blickfeld.“
Der Weg kann auch aus den Niederlanden nach Deutschland führen
So wie Janis Blaswich. In Gladbach groß geworden, danach verliehen nach Dresden und Rostock, hat der 30-Jährige in Almelo auf sich aufmerksam gemacht. So eindrucksvoll, dass sich das Gerücht hält, er werde zur neuen Spielzeit als Ersatzmann zu RB Leipzig wechseln.
Beim FC Utrecht hat sich Eric Oelschlägel, bekannt aus seiner Zeit als Edelreservist bei Werder Bremen und Borussia Dortmund, einen Stammplatz gesichert und sich eine Verlängerung seines Vertrags bis 2022 verdient. Zu Fortuna Sittard ist Joshua Wehking (21), vorher in der Reserve des Hamburger SV unterfordert, ausgeliehen worden. Dort und bei seinem Arbeitgeber MVV Maastricht will der Junioren-Nationalspieler einen neuen Anlauf nehmen.
Warum existiert diese Nachfrage nach deutschen Torhütern? „Sie stehen für ein gutes Preis-Leistungsverhältnis“, betont Experte Neblung. Die Bundesliga ist ein Talentpool, in der nicht für jeden Begabten auch ein lukrativer Platz frei ist. Da lohnt sich ein Umweg über das Ausland.
Holland, analysiert Nico-Jan Hoogma, der Sportdirektor des Verbands, sei eine perfekte Anlaufstelle „wegen der Grenznähe und der kaum vorhandenen Sprachprobleme.“ Ein wichtiger Punkt ist zudem der gute Ruf, den die deutsche Torwartschule genießt. „Bei uns ist die Ausbildung nicht schlecht“, so Hoogma, „doch wir haben schon noch etwas Nachholbedarf.“
Maier, Schumacher, Kahn, Neuer: Deutschland hat eine Torhüter-Tradition
Die Nation, die einst Klassekeeper wie Sepp Maier, Toni Schumacher und Oliver Kahn, unlängst Manuel Neuer und Marc-André ter Stegen hervorgebracht hat, hat eine Reputation erworben, an die derzeit nur noch die Schweizer Schule herankommt. Was Frank Wormuth, früher beim DFB für die Trainerausbildung verantwortlich, zum Schmunzeln animiert: „So spielen viele deutsche Torhüter in Holland und in der Bundesliga eine Menge aus der Schweiz.“
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Im Nachwuchsbereich gibt es zwischen München und Kiel ein wahres Überangebot an gut ausgebildeten Torstehern. Einer, seit Jahren in diesem Sektor aktiv, bestätigt das. Klaus Thomforde, Torwarttrainer der erfolgreichen U23-Nationalelf, hat diese Entwicklung schon vor Jahren kommen sehen. „In den Bundesligen werden von Euch nur die wenigsten eine Chance erhalten“, klärte er seine Zöglinge auf. „Die Grenzen sind offen, also lasst uns Europa überschwemmen.“
Der Trend, wie von der St. Pauli-Legende (359 Einsätze) prognostiziert, hat sich bestätigt. Eine Flucht ins Ausland und dabei die Niederlande an erster Stelle der Zielländer. „Dort“, sagt der 59-jährige DFB-Mann, „wird den jungen Torhütern oft mehr vertraut als hierzulande.“
Auch Schalker Fraisl bekam Chance in Holland
Holland als gelobtes Land also? Zumindest als der Ort der großen Chance, wieder in die Erfolgsspur einzubiegen. So hat der Bremer Michael Zetterer mit einem letztjährigen Gastspiel beim PEC Zwolle seine Position so gestärkt, dass er zu Saisonbeginn bei Werder sogar den Rivalen Jiri Pavlenka verdrängte. Und in Gelsenkirchen lässt gegenwärtig Martin Fraisl aufhorchen: die Nummer eins, die Ralf Fährmann und Michael Langer überholt hat. Die Laufbahn des eigenwilligen Österreichers schien auf die schiefe Bahn zu geraten nach seiner Suspendierung in Sandhausen. ADO Den Haag gab dem 28-Jährigen die Möglichkeit, sich zu profilieren. Das große Los für den Profi, ein Volltreffer für Schalke 04.