Gelsenkirchen. Marketing-Experte Raphael Brinkert berät die SPD und den DFB. Um Schalke macht er sich aber besonders viele Gedanken, wie er im Interview verrät.
Als das vorerst letzte Bundesliga-Heimspiel des FC Schalke 04 gegen Eintracht Frankfurt am Samstag zu Ende gegangen war, schrieb Raphael Brinkert über das soziale Netzwerk Twitter: „Wir kommen wieder!“ Der 43-Jährige ist Chef einer der führenden deutschen Marketing-Agenturen. Zu seinen Kunden gehören Firmen, Parteien, Verbände und auch Einzelsportler wie Leon Goretzka. Brinkert ist aber auch meinungsstarker Schalke-Fan. Ein Gespräch mit ihm über Marketing, Digitalisierung, Schalke und sein Projekt Zukunftself.
Herr Brinkert, zum Pokalfinale haben Sie mit Ihrer Agentur die DFB und DOSB-Kampagne „Draußen muss drin sein“ gestartet. Wann dürfen Deutschlands Amateure wieder draußen ihrem Hobby nachgehen?
Raphael Brinkert: Dass wir uns alle nicht nur nach Bratwurst und Bier im Stadion, sondern auch nach Fußball und Co. in den 90.000 Sportvereinen sehnen, steht außer Frage. Die Kampagne nebst Petition macht klar: Deutschlands Sport ist mit 28 Millionen Mitgliedschaften bereit für den Neustart. Jetzt ist die Politik am Zug.
Wie ist Ihre Idealvorstellung von Profi- und Amateurfußball?
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Brinkert: Ein fairer Wettbewerb unter einheitlichem Reglement und transparentem Vorgehen bei Werte- und Finanzverstößen. Während der Profifußball längst eine eigene Wirtschaftsbranche darstellt, beträgt der wirtschaftliche Beitrag des Amateurfußballs 13,9 Milliarden Euro pro Spielzeit, darunter 5,6 Milliarden Euro an Einsparungen im Gesundheitswesen, da Menschen, die Sport treiben, weniger krank sind. Darüber hinaus ist der Fußball der größte Integrationshelfer in unserem Land, übernimmt wichtige Faktoren der Wertevermittlung in über 24.500 Vereinen und in vielen Stadien. Das müssen wir, wie das Ehrenamt allgemein, viel mehr wertschätzen, schützen und stärken.
Sind wir weit von Ihrer Idealvorstellung entfernt?
Brinkert: Das größte Versprechen des Fußballs ist die universelle Kraft, unabhängig von Herkunft, Religion, Sexualität oder Gehalt. Egal, ob in der Kurve oder in der Kreisklasse: Hier treffen sich Anwalt und Arbeitssuchender auf Augenhöhe. Als ich beim TuS Haltern am See gekickt habe, zählte im Fußball der nächste Pass, nicht der Ausweis. Der soziale Kitt des Sports ist unfassbar wichtig für unser Miteinander.
Ob DFB-Krach, Super League, langweilige Titelkämpfe – warum hat der Fußball ein Imageproblem?
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Brinkert: Aus dem einfachen Spiel ist durch Explosion der Medien und Einführung von Pay-TV ein Milliardenmarkt geworden, was zur Turbokapitalisierung des Sports führte. Dadurch kamen Protagonisten in den Sport, die nicht die Liebe zum Spiel teilen, sondern zum Geld. Das Ergebnis sind Wettbewerbsformen, die Geld fördern, nicht Emotionen. Ein Beispiel: Erst vor wenigen Tagen wurde für die Champions-League-Reform gestimmt. Die erneute Konsequenz ist die Zementierung von Besitzständen. Der FC Bayern wird gerade zum neunten Mal in Folge Deutscher Meister. Für Fans, die sich nach Wettbewerb sehnen, bleibt da wenig Grund zum Jubeln.
Ist es der nächsten Fan-Generation nicht egal, welcher Verein welche Tradition hat?
Brinkert: Wir erleben durch Digitalisierung und Globalisierung, dass sich die Gewohnheiten dramatisch verändern. Gerade bei jungen Fans, die im Neymar-Trikot vor der Playstation lieber Real gegen Barça statt im Harit-Trikot Schalke gegen Hoffenheim spielen. Hier sind Vereine wie Verbände gefordert, neue Ideen zu entwickeln. Ein Verein wie der FC Schalke 04 hat, um im Bild zu bleiben, allein schon aus der Verpflichtung als einer der größten lokalen Arbeitgeber Gelsenkirchens viel mehr zu liefern als 90 Minuten Unterhaltung. Er stiftet im besten Fall auch Sicherheit, Identität und Hoffnung.
Sie beraten zum Beispiel Nationalspieler Leon Goretzka, haben mit ihm #WeKickCorona initiiert. Warum ist er einer der wenigen meinungsstarken Fußballprofis?
Das ist Raphael Brinkert
Raphael Brinkert stammt aus Haltern am See, lebt aber inzwischen in Hamburg. Er ist 43 Jahre alt.
Er gründete zunächst die Agentur Jung von Matt/sports und dann seine eigene Agentur BrinkertLück. Arbeiten, an dessen Umsetzung er beteiligt war, gewannen über 500 Preise. 2007 wurde er vom Handelsblatt zu einem der "Top 25 Nachwuchsmanager" ernannt, 2017 zu einem der "Top 20 Online Marketeers" in Deutschland. Zu seinen Kunden zählen Unternehmen, Parteien wie die SPD, Verbände wie DOSB und DFB und auch Einzelsportler wie Nationalspieler Leon Goretzka. Für Goretzka und Nationalspieler Joshua Kimmich entwickelte er die Kampagne #WeKickCorona.
Brinkerts Heimat-Fußballverein ist der TuS Haltern am See, dessen Strategie- und Marketingchef er noch ist. Er erarbeitete das "Bilbao-Konzept" für den Klub. Einer seiner besten Freunde ist Weltmeister Benedikt Höwedes.
Er gründete für seinen Lieblingsklub Schalke 04 die Facebook-Seite, die er dann mit 300 Millionen Interaktionen an den Verein übergab.
Brinkert: Leon ist eine absolute Ausnahmepersönlichkeit. Und es macht unglaublich viel Spaß, sich mit ihm auch über den Fußball und darüberhinaus auszutauschen. Das Ergebnis sind Aktionen wie #WeKickCorona, aber auch klare Haltungen zu gesellschaftlichen Themen, wie gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Unser Besuch bei der Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer zum Beispiel, den das Land NRW organisiert hat, wird uns beiden ewig im Gedächtnis bleiben.
#WeKickCorona ist eine Digitale Plattform. Wird die Digitalisierung im Fußball optimal genutzt?
Brinkert: Nein, absolut nicht. Gerade die Digitalisierung ermöglicht eine Interaktion und Teilhabe, die viel besser, weil strategischer und kreativer, genutzt werden kann.
Sie sind Schalke-Fan. In einem Interview haben Sie mal gesagt, Schalke wäre „zu komplex, um es in einem Satz zu beantworten“. Was macht Schalke so komplex?
Brinkert: Schalke ist auf Platz drei der mitgliederstärksten Vereine der Welt. Ein Klub mit Fans, die ihr Herz auf der Zunge tragen. Das muss man im Erfolgs- und Misserfolgsfall einordnen können und nicht als Selbstverständlichkeit nehmen. Schalke gelingt nur, wenn man die Werte des Vereins und des Ruhrgebiets weiterentwickelt und zeitgemäß übersetzt. Wer versucht, Zukunft und Tradition gegeneinander auszuspielen, der sollte besser einen weiten Bogen um das Berger Feld machen.
Leiden Sie unter dem Abstieg?
Brinkert: Natürlich. Und das Schicksal teile ich nicht nur mit 160.000 Mitgliedern und Millionen von Sympathisanten, sondern auch mit einem Großteil der 32 Millionen Fußball-Fans aus Deutschland.
Sie haben Schalke ein Projekt beschert, die Zukunftself – warum ist das nötig?
Brinkert: Es ist die Idee, dem Verein in einer herausfordernden Zeit die Hand zu reichen und gleichzeitig Austausch und Ideen von Fans, Experten und Multiplikatoren zu fördern. Es beeindruckt mich, mit wie viel Engagement und Leidenschaft die Themenfelder arbeiten und öffentlich diskutieren. Es zeigt sich auch hier: Schalke ist mehr als ein Klub, mehr als Fußball. Kaum eine Region in Deutschland steht so sehr für harte und ehrliche Arbeit. Diesem Anspruch muss jeder Angestellter und Spieler gerecht werden.
Ist Arbeiter- und Malocherklub nicht eine zu romantische Vorstellung?
Brinkert: Wer Romantik sucht, der wird im Mondpalast besser fündig als im Profifußball. Aber die Fragestellung an sich ist grotesk, da die besten Fußballer der Welt auch heute noch harte Arbeiter sind. Cristiano Ronaldo macht seit vielen Jahren täglich zusätzliche Trainingseinheiten. Glück und Erfolg muss man sich durch Fleiß erarbeiten. Das fängt beim Jugendspieler an und hört nicht beim Vorstand auf. Ganz Schalke muss ein paar Schippen drauflegen, um erfolgreich zu sein.
Sie beschäftigen sich in einer Arbeitsgruppe mit der Kommunikation – auch da ist vieles schiefgelaufen in den vergangenen anderthalb Jahren. Was war der größte Fehler?
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Brinkert: Eine professionelle Kommunikation ist Entlastung und nicht Belastung. Das war seit geraumer Zeit nicht mehr der Fall. Die Verantwortung dafür tragen Personen, die mit Ideen wie Härtefallanträgen und Viagogo auf sich aufmerksam gemacht haben und sich dem Ergebnis ihrer Minderleistung, dem sportlichen und wirtschaftlichen Abstieg, nun entziehen. In einem stark wachsenden Markt ein Top-Produkt wie Schalke 04 zu verkaufen ist, wenn Sie mich fragen, kein Problem. Die eigentliche Aufgabe stellt sich jetzt und darauf habe ich, als ich die Negativentwicklung sah, vor geraumer Zeit hingewiesen.
Sie haben sich über die sozialen Netzwerke oft geäußert. Wurden Sie vom Verein kontaktiert?
Brinkert: Man hat zu der Zeit lieber über mich als mit mir gesprochen. Ich freue mich, dass dies jetzt anders ist. Der bestmögliche Erfolg entsteht durch Dialog, auch kritischen. Daran müssen wir uns gemeinsam messen lassen, Fans und Verantwortliche.
Auch mit der Rechtsform beschäftigen Sie sich. Sie sind ein Anhänger der Genossenschafts-Idee.
Brinkert: Grundsätzlich bin ich ein Freund vom Wir und nicht von der Ich-AG. Schalke ist Gemeinschaftsaufgabe, Fußball ist Gemeinschaftssport. Daher sehe ich die ureigenen Werte des Vereinslebens am besten im e.V. oder in einer e.G. präsentiert, absolut. Unser Scheich sind 160.000 Mitglieder und Millionen Fans. Zudem braucht man kein Finanzmathematiker sein, um zu wissen, dass der Zeitpunkt für eine Ausgliederung nebst Investorensuche derzeit nicht der Beste wäre.
Die Zukunftself soll vereinen. Nun scheint der Graben unter den Fans nach der Entscheidung des Wahlausschusses, einzelne Oppositionsbewerber nicht für die Aufsichtsrats-Wahl zuzulassen, noch tiefer zu sein.
Brinkert: Wir sollten nicht den Fehler machen, dass wir einzelne Twitter-Diskussionen zu hoch hängen. Die Fragen, die sich mir stellen, sind andere: Wie viel Sport-, Wirtschafts- und Finanzkompetenz benötigen wir für das höchste Vereinsgremium? Wie können wir unserer gesellschaftlichen Rolle auf Schalke gerecht werden, wie wieder Vorbild für Integration und Diversität werden? Welche Netzwerkstärke sollte ein Aufsichtsrat und Vorstand mitbringen? Für das beste Schalke aller Zeiten benötigt es aus meiner Sicht in Zukunft auch die Besten von 160.000 Mitgliedern.
In der Zukunftself versprechen Sie Transparenz. Die gab es in diesem Fall aber nicht.
Brinkert: Die Frage kann nur der Wahlausschuss beantworten, der seine Entscheidungen qua Satzung nicht begründen muss. Im Idealfall gibt es nur eine Positiv-Kommunikation über die Zulassung. Das ist bei öffentlichen Personen leider nicht immer möglich, dafür muss man Verständnis haben.
Schalkes Claim lautet: Wir leben Dich. Wäre das auch Ihre Wahl gewesen?
Brinkert: Nein, aber ich habe dem Verein vor Jahren versprochen, dass ich mich dazu nicht öffentlich äußere. Daran halt ich mich.
Haben Sie eine Alternative?
Brinkert: Falls sich die Frage konkret stellt, habe ich diese, ja.
Marketingvorstand Alexander Jobst hört am 30. Juni auf. Sie machen sich viele Gedanken um den Sport und Schalke. Würden Sie als Nachfolger zur Verfügung stehen?
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Brinkert: Ich habe Olaf Scholz und dem Parteivorstand der SPD versprochen, dass ich bis auf Weiteres neben meinen Bestandstätigkeiten für unsere Kunden in Deutschland und der Schweiz sowie meinem Engagement als Strategie- und Marketingchef beim TuS Haltern am See keine andere Tätigkeit wahrnehme.
SPD und Schalke – viel Tradition, schlechtes Tabellenbild. Viele Gemeinsamkeiten…
Brinkert: Beide eint nicht nur das „Glück auf“, sondern auch, dass Deutschland auf das Comeback der Sozialdemokratie und des FC Schalke 04 wartet. Sehr gerne leiste ich dafür meinen Beitrag - mit der Erfahrung zweier erfolgreicher Wahlkämpfe für Angela Merkel und der Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen Sportvereinen und -verbänden. Wir schaffen das!