Gelsenkirchen. Schalke-Doc Ingelfinger ist mit einer Praxis jetzt im Medicos und operiert im Bergmannsheil. S04-Profis kämen bei ihm aber nicht unters Messer.
Der Schalke-Doc nimmt das Endoskop in die Hand und stellt sich an den Operationstisch – in diesem Fall natürlich nur fürs Foto mit der WAZ. Und nachdem das Bild im Kasten ist, spricht Dr. Patrick Ingelfinger (46), anerkannter Kniespezialist und Mannschaftsarzt von Schalke 04, über die neue Kooperation mit dem Bergmannsheil Buer und über Gründe für die vielen Verletzungen der Schalker Bundesliga-Fußballer.
Dr. Ingelfinger, Sie führen selbst Knie-Operationen durch. Muss jetzt Goncalo Paciencia, um ein Beispiel zu nennen, nicht mehr nach Portugal fliegen, wenn er am Knie operiert wird?
Patrick Ingelfinger Da muss ich Sie enttäuschen: Die eigenen Spieler operieren wir nicht selbst. Natürlich gibt es Notfall-Operationen, bei denen es nicht anders geht. Aber bei den Operationen, bei denen man Zeit hat, schicken wir die Spieler zu ausgewählten Chirurgen. Ich selbst würde nie einen eigenen Spieler operieren, das würde ich auch nie einem Mannschaftsarzt raten.
Warum?
Oftmals haben die Spieler oder dessen Umfeld eigene Wünsche – zum Beispiel, weil sie einen Operateur bereits kennen und dieser persönliches Vertrauen genießt.
Wie profitiert Schalke dann von dieser Kooperation mit dem Bergmannsheil?
Durch die räumliche Nähe und gut aufeinander abgestimmte Abläufe. Als ich vor viereinhalb Jahren von der Uniklinik Mainz ins Ruhrgebiet gewechselt bin, habe ich mir zwei Tage pro Woche nur für Schalke frei gehalten – die anderen Tage war ich zwar erreichbar, habe jedoch in der Viktoria-Klinik in Bochum gearbeitet und operiert. Aber über die Jahre musste ich mir eingestehen, dass das Konstrukt aufgrund der räumlichen Distanz nicht ideal ist: Ich sitze in Bochum, die Spieler sind in Gelsenkirchen. Da haben wir jetzt eine optimale Lösung gefunden.
Diese Lösung beinhaltet, dass Sie – neben Ihrer Tätigkeit im Bergmannsheil – die Praxis Orthopädie.AufSchalke im Medicos am Vereinsgelände gegründet haben.
Genau. Dort bin ich dauerhaft am Trainingsgelände präsent. Das Bergmannsheil ist für uns das Notfall-Klinikum. Künftig stellt sich nicht mehr die Frage, wohin wir fahren, wenn sich ein Spieler plötzlich verletzt.
Inwiefern profitiert auch der normale Patient, der nicht auf Schalke Fußball spielt, von dieser neuen, engen Verzahnung?
Das sind dieselben Abläufe. Durch die direkte Anbindung der Praxis an das Klinikum und zum medicos.AufSchalke sind die Wege kurz, man verliert sich nicht in der Bürokratie. Der Patient ist von A bis Z in einem System, wo die eine Hand weiß, was die andere macht.
„Schalke ist eine andere Dimension“
Vor Ihrer Zeit auf Schalke waren Sie Mannschaftsarzt bei Mainz 05, Sie können es also vergleichen: Ist Schalke ein besonders heißes Pflaster für einen Doc?
Ich erinnere mich an mein erstes oder zweites Heimspiel auf Schalke im Herbst 2016, da haben mich meine Eltern besucht. Im Blauen Salon sagte jemand zu uns: Sie brauchen hier gar nicht nach einer Wohnung zu suchen, Schalke wechselt die Ärzte oft und schnell. Das hat sich aber nicht bewahrheitet. (lacht) Aber es stimmt schon: Schalke ist eine andere Dimension. In Mainz war es möglich, als Mannschaftsarzt noch eine Vollzeitstelle an der Uniklinik zu haben. So eine Konstellation ist meiner Meinung nach auf Schalke nicht durchführbar.
Gefühlt hat Schalke ja die meisten Verletzten der Bundesliga…
Es gibt einige Statistiken zu diesem Thema. Wir waren auf einem richtig guten Weg: In der Saison 2017/18 waren wir Fünfter in der Verletzungstabelle, wir hatten ein sehr gutes Team von Präventionstrainern, Reha-Trainern, Ärzten und Physiotherapeuten. Leider hatten wir zuletzt mehr Probleme und stecken aktuell gemeinsam im Aufarbeitungsprozess.
Es gingen in der Folgezeit unter anderem die beiden Athletiktrainer Daniel Behlau und Rouven Faller.
Allgemein gilt: Es gibt viele wissenschaftliche Studien, die belegen, dass Verletzungen einen direkten Einfluss haben auf die Punktezahl und den daraus resultierenden Tabellenplatz. In der Saison 2017/18, als wir wenig Probleme hatten, waren wir mit Trainer Domenico Tedesco Vizemeister. Unser gemeinsames Ziel als Abteilung ist es, die Verletzungswahrscheinlichkeit so stark wie möglich zu reduzieren.
Auf Schalke sind viele Fachleute und Fitnesstrainer gekommen und schnell wieder gegangen, zuletzt Werner Leuthard. Liegt es vielleicht auch an den Spielern?
Wenn das Trainerteam und das medizinische Team einen guten Einfluss auf die Spieler haben, dann kann man selbst Spieler, deren Eigenverantwortung von sich aus nicht so ausgeprägt ist, steuern. Diese Spieler muss man eng führen. Wenn wir von Verletzungsprävention reden, gibt es wichtige Säulen, unter anderem eine notwendigerweise hohe Trainingsbelastung und eine anschließende Regeneration mit Schlaf und Ernährung.
Dass es Versäumnisse gab, hat Schalke insbesondere für die Zeit während Corona-Pause vor einem Jahr eingestanden
Nach der Corona-Pause haben wir uns geschüttelt und gefragt: Was haben wir falsch gemacht? Wir haben uns an die damals geltenden Corona-Regeln gehalten und das Training so durchgeführt, dass es nach den Hygienerichtlinien stattgefunden hat. Dass einige Dinge nicht optimal gelaufen sind, das hat der Club ja bereits erklärt. Das ist die eine Thematik.
Und die andere?
Ist die, dass wir die Spieler während der Pause in ihrem individuellen Training nicht so eng begleitet haben. Ganz allgemein gilt: Wenn wir nicht auf einem sehr hohen, anspruchsvollen Niveau regelmäßig trainieren, sind die Belastungssprünge auf 90 Minuten Bundesligafußball einfach zu hoch. Das erhöht die Verletzungsquote deutlich.
„120 Telefonate an einem einzigen Tag“
Wie oft sind Sie beim Training dabei?
Bisher zweimal die Woche, unter anderem beim Abschlusstraining. Das ist ein wichtiger Tag, weil man da bei manchen Spielern schauen muss: Passt es, kann der Spieler eingesetzt werden? Die anderen Tage sind aber auch wichtig. Und jetzt bin ich quasi ständig da durch meine Anwesenheit in der Praxis. In drei Minuten kann ich bei dem verletzten Spieler sein oder er bei mir in der Praxis – wobei wir natürlich hoffen, dass das nicht so oft vorkommt.
Sie sind in Zeiten der Pandemie auch Schalkes Hygiene-Beauftragter. Wie sehr hat das Ihre Arbeit noch einmal verändert?
Total. Ich erinnere mich an den Fall mit Alessandro Schöpf beim Trainingslager in Österreich. Als sich herausstellte, dass er positiv ist, habe ich dann auch im Hotelzimmer gesessen und hatte an nur diesem einen Tag 120 Telefonate – das fängt an bei allen Schalke-Verantwortlichen und geht bis zu den Gesundheitsbehörden in Deutschland und Österreich. Das hat gezeigt, wie wichtig die konsequente Einhaltung des Hygienekonzeptes ist. Der Gesundheitsschutz der Gesellschaft steht über allem
Das Spektakulärste in dieser Saison war auch für Sie der Unfall von Mark Uth beim Spiel in Augsburg?
Da wir uns die Aufgaben als Mannschaftsarzt teilen, war bei diesem Spiel mein Kollege Dr. Antonius Antoniadis mit dabei. Ich habe den Unfall von Mark Uth aber natürlich im Fernsehen gesehen und dachte zunächst wirklich: Da ist jetzt richtig viel passiert. Mark ist ja im Fallen bewusstlos geworden. Zum Glück ist es glimpflich ausgegangen.