Gelsenkirchen. Mathias Schober, der sportliche Leiter der Schalker Knappenschmiede, über die Jagd nach Talenten und die Ausbildung der Stars von morgen.

Die Ausbildung von Talenten ist für Schalke 04 seit jeher ein großes Faustpfand – das gilt umso mehr in Zeiten, in denen die Knappen kein Geld für fertige Profispieler haben. Doch die Jagd nach Talenten hat sich verändert. Darüber spricht Mathias Schober (44), der sportliche Leiter der Knappenschmiede, im Interview. Der Ex-Profi, einst selbst ein Spieler aus dem Schalker Nachwuchs, zeigt aber auch auf, wo die Königsblauen heute noch punkten können.

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Am Sonntag steigt das U19-Derby im Parkstadion. Sind Schalke und Dortmund in der Nachwuchsarbeit derzeit auf Augenhöhe?

Mathias Schober: Rein sportlich, wenn man die Mannschaften und die Tabelle sieht, bin ich davon fest überzeugt. Vor drei Jahren haben wir die Schwarz-Gelben hier geschlagen, obwohl bei denen damals Jadon Sancho mitgespielt hat. Im Jahr danach haben wir hier zwar deutlich verloren, sind aber am Ende trotzdem Westdeutscher Meister geworden. Finanziell nicht mithalten können wir aktuell bei den Investitionen in junge Spieler, die zwar noch dem Jugendbereich angehören, aber eigentlich schon direkte Vorgriffe für die Profis sind.

Schalkes Schober über Summen wie in Dortmund: „Das ist nicht unser Ansatz“

Theoretisch könnten die Dortmunder am Sonntag mit Giovanni Reyna antreten und mit Jude Bellingham, der über 30 Millionen Euro gekostet haben soll...

Schober: Solche Summen könnten wir nicht für einen Jugendspieler ausgeben. Das ist aber auch nicht unser Ansatz. Ich glaube, dass wir mit unserer Mannschaft trotzdem sehr gut aufgestellt sind und wir auch Spieler dabei haben, die wir in nicht allzu ferner Zukunft im Profibereich sehen werden.

Was glauben Sie, wie viele Spieler, die Sonntag dabei sind, später mal in der Bundesliga spielen werden?

Schober: Das kann man nicht seriös schätzen. Im bezahlten Fußball werden sicherlich mehrere Spieler auftauchen, aber in der Bundesliga werden sich nur wenige dauerhaft durchsetzen – vielleicht einer oder zwei von jeder Mannschaft, das beweist die Statistik. Die Konkurrenz ist riesig.

Täuscht der Eindruck, dass es mittlerweile weniger Talente gibt, die die Knappenschmiede über Jahre durchlaufen und dann in die Bundesliga aufrücken?

Schober: Malick Thiaw kam in der U15 zu uns und ist jetzt im Profikader, Nassim Boujellab kam zur U16 von unserem Kooperationspartner Iserlohn. Auch Ahmed Kutucu kam schon sehr früh zu Schalke.

Knappenschmiede-Leiter Mathias Schober: Karrieren wie von Matip oder Höwedes sind heute „die absolute Ausnahme“

Früher gab es Joel Matip, Benedikt Höwedes, Julian Draxler oder Leroy Sané, die aus der Umgebung kamen und zum Teil schon mit zehn, zwölf Jahren für Schalke gespielt haben.

Schober: Ich glaube, dass Spieler, die so lange bei einem Verein bleiben, absolute Ausnahmen sind. Das sieht man ja auch bei anderen Vereinen: Florian Wirtz hat seine gesamte Ausbildung beim 1. FC Köln durchlaufen, ist dann noch als Jugendlicher nach Leverkusen gewechselt und spielt dort jetzt Bundesliga. Heute gibt es ganz selten Spieler, die von der U8 oder U9 bei einem Verein bis nach ganz oben durchgehen.

Woran liegt das?

Schober: Das ist die generelle Entwicklung des Marktes. Früher war es noch nicht so, dass viele Spieler von einem Nachwuchsleistungszentrum ins andere gewechselt sind – mittlerweile gehen sie von Düsseldorf nach Gladbach oder von uns zu Köln. Es gibt mehr Wechsel, die Spieler sind nicht mehr so auf einen Verein fokussiert, und die Klubs versuchen, die besten Talente zu sich zu holen. Wir machen das ja genauso, das ist das Geschäft. Man hofft, dass einer der Jungs dann durchgeht bis in die Bundesliga. Dann hat man sportlich und wirtschaftlich alles richtig gemacht.

Malick Thiaw (links) muss sich bei Schalkes Profis meistens noch im Training zeigen. Hier nimmt er es mit Amine Harit auf.
Malick Thiaw (links) muss sich bei Schalkes Profis meistens noch im Training zeigen. Hier nimmt er es mit Amine Harit auf. © RHR-FOTO | RHR-FOTO/Tim Rehbein

Malick Thiaw hat vor seiner Zeit auf Schalke für Borussia Mönchengladbach gespielt. Stellt man einem solchen Talent im Alter von 14 oder 15 Jahren da schon in Aussicht, auf Schalke Bundesliga spielen zu können?

Schober: Nein, das ist zu früh. In diesem Alter sieht man zwar die Veranlagung, aber man weiß noch nicht, wie er sich entwickelt – zum Beispiel, wie groß er einmal wird. Was wir Malick damals sagen konnten, war, dass wir ihn flexibel ausbilden. Wir haben ihm gesagt, dass ein Spieler mehrere Positionen gespielt haben muss, wenn er oben ankommen will. So hat er bei uns nicht nur Innenverteidiger und Sechser gespielt, sondern Norbert Elgert hat ihn für kurze Zeit auch mal in den Sturm gestellt. Wir haben bei ihm mit unserer Ausbildungsphilosophie gepunktet.

Das reicht?

Schober: Natürlich schmiert man den Spielern, salopp formuliert, auch Honig um den Bart und zeigt ihnen die Wertschätzung, die sie im eigenen Verein vielleicht nicht so spüren. Wenn einer schon lange da ist, vergisst man womöglich auch mal zu betonen, wie sehr man auf ihn baut und was man mit ihm vorhat. Man kümmert sich vielleicht nicht so intensiv um sie wie um die Jungs, die man neu haben will. Wir sind hier ein bisschen herzlicher, nicht so auf Abstand. Ich war damals zusammen mit Willi Landgraf bei Malick. Willi ist schon der Kumpeltyp, er war Malicks erster Trainer auf Schalke.

Herzlicher als andere Vereine?

Schober: Das kann ich nicht beurteilen. Zumindest sind die Rückmeldungen, die man bekommt, positiv. Ich glaube, dass es auch den Eltern von Malick damals gefallen hat, wie authentisch wir rüberkamen und ihnen erklärt haben, was wir mit ihrem Jungen vorhaben. Es ist schon sehr familiär hier. Das sind auch Faktoren, die sich herumsprechen und bei denen viele Eltern sagen: Ich kann mir vorstellen, meinen Jungen hier groß werden zu sehen.

„Klar. Wir haben auch Spieler, die vorher bei den Schwarz-Gelben waren“

Könnten Sie auch Spieler vom BVB abwerben?

Schober: Klar. Wir haben auch Spieler, die vorher bei den Schwarz-Gelben waren und die wir mit unserem Weg überzeugt haben. Zum Beispiel Stanislav Fehler aus unserer U19 oder Semin Kojic aus unserer U17. Kojic ist auch deutscher Junioren-Nationalspieler und hat bis zur U12 bei Schwarz-Gelb gespielt. Genauso haben die uns aber auch schon zwei, drei Spieler abgeworben, das geht schon hin und her.

Welches ist aus Ihrer Sicht das ideale Alter, um einen Spieler in die Knappenschmiede zu holen?

Schober: Der ideale Weg wäre, hier in der U8 anzufangen. In diesem Alter sind wir absolut fokussiert auf unsere Umgebung im Kreis 12, also den Raum Gelsenkirchen. Von hier einen Spieler zu uns zu holen und ihn auszubilden auf seinem Weg bis zu den Profis, das wäre unsere Idealvorstellung. Dass er sich weiterentwickelt von Jahrgangsstufe zu Jahrgangsstufe. Aber das ist, wie gesagt, selten der Fall, weil ganz viele Faktoren die Entwicklung beeinflussen. Schule, Umfeld, Familie, Berater.

In welchem Alter treten die Berater auf?

Schober: Mittlerweile ab der U13 oder der U14. Mit 15 Jahren werden die Verträge für die U16 gemacht, und je früher sich die Berater die Spieler sichern, desto besser ist es für sie

Wann kann man seriös abschätzen, wie sich ein Spieler entwickelt?

Schober: Das ist völlig unterschiedlich. Der eine ist früh dran in seiner Entwicklung, aber man weiß noch nicht, wie sich das fortsetzt – der andere entwickelt sich ein bisschen langsamer, und man muss Geduld haben, was in unserem Job nicht immer leicht ist. Ich kann mich erinnern, dass es bei Ahmed Kutucu mal eine Phase an der Schwelle von der U16 zur U17 gab, wo man gedacht hat, es könnte eng werden. Und dann hat er auf einmal einen Riesensatz gemacht in der Entwicklung und war als U17-Spieler schon bei der U19 mit dabei. Es kann immer so viel passieren.

Schalke hat betont, dass die Nachwuchsarbeit in den Zeiten knapper Kassen besonders wichtig ist. Steigen derzeit die Chancen für die Talente, um den Sprung in die Bundesliga zu schaffen?

Schober: Entscheidend ist am Ende immer die Qualität. Die Jungs müssen sich mit harter Arbeit und der richtigen Mentalität einen Platz in der ersten Mannschaft erkämpfen – unabhängig von der finanziellen Situation des Clubs. Nur um eine gute Quote zu haben, ergibt es keinen Sinn.

Can Bozdogan (links, hier im Duell mit Leipzigs Willi Orban), hat in der Bundesliga schon Eindruck hinterlassen.
Can Bozdogan (links, hier im Duell mit Leipzigs Willi Orban), hat in der Bundesliga schon Eindruck hinterlassen. © Getty Images | Alexander Hassenstein

Mit Kerim Calhanoglu hat ein Spieler aus der U19 bereits einen Profivertrag für die nächsten Jahre. Er kam erst im Sommer aus Hoffenheim – bereits da mit der Aussicht auf eine Profi-Karriere?

Schober: Natürlich geht man verschiedene Szenarien durch, aber der Spieler muss sich zunächst in der U19 zeigen und durchsetzen. Es gibt Vereine, die ködern Spieler, indem sie in den Vertrag schreiben: Du gehst mit den Profis ins Trainingslager. Aber das ist nicht unser Weg – warum sollten wir einem Spieler das vorher versprechen? Jeder hat die Chance, Profi zu werden, wenn die Entwicklung in der U19 entsprechend ist. So wie vor einem Jahr bei Malick Thiaw und Can Bozdogan. Dem haben wir, als wir ihn vom 1. FC Köln geholt haben, auch nicht versprochen, dass er mit den Profis ins Trainingslager fahren darf – er musste sich das erarbeiten.

Wie weit sehen Sie die beiden jetzt in der Entwicklung?

Schober: Sie haben schon gezeigt, dass sie mithalten können. Can Bozdogan hat in der Bundesliga schon einen guten Eindruck hinterlassen, Malick Thiaw braucht vielleicht noch ein bisschen mehr Zeit – er ist eher einer, der ein bisschen später kommt. Als Innenverteidiger ist es generell auch schwieriger.

Wann schafft Ahmed Kutucu, der im Moment etwas stagniert, den Durchbruch?

Schober: Um das zu beurteilen, bin ich nicht nah genug bei der Profimannschaft. Aber er kommt über seine Einstellung, über die Maloche. Was ich bei ihm gut finde: Er schießt halt immer aufs Tor.