Gelsenkirchen. Teil 9 der Schalke-Serie mit Peter Peters: Er erinnert sich an den 19. Mai 2001, an den 11. September – und daran, wie Tönnies Möllemann besiegte
Wahrscheinlich gibt es keine Geheimnisse mehr über den 19. Mai 2001. Aber selten hat jemand so authentisch wie hier Peter Peters geschildert, was sich hinter den Kulissen abspielte. An jenem Tag, als Schalke die Schale verlor. Ein Tag, der eigentlich schon eine Woche vorher begann.
Peter Peters saß mit den Schalker Spielern im Bus, der am 12. Mai 2001 das Neckarstadion in Stuttgart verließ. Es wurde kaum gesprochen nach den beiden Last-Minute-Toren im Fernduell mit den Bayern. Balakow für Stuttgart gegen Schalke, Zickler für Bayern gegen Kaiserslautern, zwei Tore fast in derselben Sekunde – Schalkes fiel am 33. Spieltag vom Tabellengipfel. „Aber trotzdem konnten wir noch Meister werden“, sagt Peters: „Und davon war die nächste Woche geprägt.“ Der DFB wollte mit Schalke eine mögliche Meisterfeier planen.
Götz Bender vom Ligasekretariat machte seine Aufwartung bei Rudi Assauer – der warf den ranghohen Mann vom Fußball-Verband einfach heraus: „Hier wird nichts geplant.“ So war „Assi“. Trotzdem schickte der DFB eine kleine Delegation zum letzten Schalker Heimspiel gegen Unterhaching – der Mainzer Harald Strutz und Justiziar Götz Eilers hielten sich für eine eventuelle Meisterehrung bereit. Ehrenwerte Herren, aber diese Besetzung zeigte schon, welche Chancen den Schalkern noch eingeräumt wurden: DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder machte seine Aufwartung bei den Bayern in Hamburg. Auch Götz Bender vom Ligasekretariat war auf Schalke. Er saß direkt neben Peter Peters auf der Tribüne und sagte: „Du weißt, wir haben nichts geplant.“
Denkwürdiger Dialog mit dem DFB-Mann, der die Schale holte
Bis, ja bis Sergej Barbarez in der 90. Minute in Hamburg gegen Bayern traf und auf Schalke nach dem 5:3 gegen Unterhaching alle Dämme brachen. Bender auf der Tribüne zu Peters: „Wir haben nichts geplant – was machen wir jetzt?“
Peters (gelassen aufgeregt): „Du bleibst hier sitzen.“
Bender (verzweifelt aufgeregt): „Wir haben nichts geplant.“ Pause. Und dann: „Ich hol’ schon mal die Schale.“ Der DFB-Mann hastete durchs menschenleere Treppenhaus im Parkstadion nach unten, wo in einem abgeschlossenen Raum eine Kopie der Meisterschale deponiert war. Als er wieder oben auf der Tribüne angekommen war, stellte er den Koffer mit der Meisterschale auf den Fußboden zwischen sich und Peters und atmete erleichtert auf: „Wir haben nichts geplant, aber die Schale haben wir.“
In dieser Sekunde rief Volker Nickchen (souverän aufgeregt) vom DFB bei Peter Peters auf dem Handy an. Er meldete sich aus dem Volksparkstadion und sagte: „Ich fahre jetzt aus Hamburg los und bringe das Original der Schale nach Gelsenkirchen.“
Dann pfiff Merk. Und Andersson traf.
Eine weitere Woche später gewann Schalke in Berlin den DFB-Pokal. „Das war am Ende mehr als ein Trostpflaster“, sagt Peters und schmunzelt: „Rudi Assauer hat bei der Feier gesungen.“
Er sang dann immer das Lied vom „schönen, blauen Vogel“.
Was Schalke in diesem Jahr 2001 sportlich mitmachen musste (oder soll man sagen: durfte?), wird auch an der zweiten Jahreshälfte deutlich. Stichwort 11. September. Am Tag, als der Terror die Welt zum Stillstand brachte, bereitete sich Vize-Meister Schalke auf sein erstes Champions-League-Spiel der Vereinsgeschichte vor. Der junge Geschäftsführer, damals auch noch keine 40, räumt heute freimütig ein: „Wir waren so in der Vorbereitung aufs Spiel und haben es kaum richtig mitbekommen, was in der Welt da passiert ist. Wir konnten diese Dimensionen nicht einschätzen.“
Nur Möllemann erkannte die Dimension des 11. September
Sicher kein Zufall, dass einzig Polit-Profi Jürgen Möllemann, damals der Vorsitzende des Schalker Aufsichtsrates, sich für eine Absage des Spiels gegen Athen starkmachte. Auch die Uefa rief an und fragte, ob Schalke an diesem Tag wirklich antreten wollte. Rudi Assauer wollte vor dem Terror nicht in die Knie gehen – „er hat sich vehement dafür eingesetzt, dass wir spielen“, berichtet Peters und gesteht: „Im Nachhinein war das ein riesiger Fehler, zu spielen, aber wir konnten es einfach nicht einschätzen. Der einzige, der das erkannt hat, war Möllemann.“
Es war ein Dienstag. Am Mittwoch wurden alle Spiele abgesagt.
Tönnies „hatte beschlossen, Möllemann zu stürzen“
Das Jahr 2001 war auf Schalke auch von einem Umsturz geprägt. Clemens Tönnies, der sich bis dahin im Aufsichtsrat eher im Hintergrund gehalten hatte, wollte an die Macht. Auf Schalke wurde klar: FDP-Politiker Jürgen Möllemann, bis dahin der Vorsitzende des Aufsichtsrates, musste sich warm anziehen, weil Tönnies sein Amt anstrebte. „Er hatte beschlossen, Möllemann zu stürzen“, bestätigt Peter Peters im Rückblick.
Tönnies hatte sich gerade ein Haus auf Mallorca zugelegt – als Schalke in der Champions League auf der Insel antreten musste, nutzte „CT“ die Gelegenheit und lud den kompletten Schalker Aufsichtsrat auf sein Anwesen ein. Nur Möllemann schlug die Einladung aus, wohl wegen anderer Termine – im Nachhinein wurde das auf Schalke als taktischer „Fehler“ des sonst mit allen Wassern gewaschenen Polit-Profis angesehen. Denn auf der Insel wurden die Weichen gestellt für eine spätere Abstimmung über den Vorsitz im Aufsichtsrat.
Für einen Verbleib von Möllemann kämpfte Rudi Assauer, der gut mit dem Politiker klarkam. Assauer durfte als Angestellter des Vereins zwar nicht mit abstimmen, war aber darum bemüht, die Möllemann-Fraktion zusammenzuhalten. Auch bei der entscheidenden Abstimmung über den Vorsitz im Aufsichtsrat, bei der mit dem dienstlich verhinderten Veltins-Mann Volker Kuhl ein Möllemann-Befürworter fehlte. Auf Assauers Bitte sprach sich Kuhl per Fax schriftlich für Möllemann aus, aber die Satzung ließ eine solche Stimmabgabe nicht zu. Tönnies gewann die Kampfabstimmung gegen Möllemann schließlich mit nur einer Stimme Vorsprung – wäre Volker Kuhl persönlich dabeigewesen, wäre es zu einem Patt gekommen.
Peter Peters glaubt, dass der spätere Bruch zwischen Assauer und Tönnies seinen Ursprung in diesem Umsturz hatte – in den folgenden Jahren waren sich beide nicht mehr grün. „Mit der Eröffnung der Arena und dem sportlichen Erfolg ging die Einheit im Verein verloren“, sagt Peters heute nachdenklich: „Dieses fehlende Miteinander hat den Verein dann extrem belastet.“