Balingen. Corona-Krise, Geisterspiele, Motivation: Experte Holger Fischer, der unter anderem Schalkes Daniel Caligiuri betreut, bezieht Stellung.

Holger Fischer (58) ist nicht nur für Tennis-Star Angelique Kerber, sondern auch für zahlreiche Fußballer seit Jahren eine wichtige Anlaufstation. Eine richtige Berufsbezeichnung für Fischer zu finden, ist allerdings schwierig. Die Begriffe „Karrierecoach“ oder „Prozessbeschleuniger nach schlechten Phasen“ treffen wohl am ehesten den Kern.

Fischer ist seit Jahren auch wichtiger Ansprechpartner von Schalkes Daniel Caligiuri. Im Interview mit dieser Redaktion spricht Fischer über die Corona-Auswirkungen auf den Sport und sieht in Geisterspielen sogar etwas Positives.

Herr Fischer, Sie betreuen viele Sportler aus verschiedensten Bereichen. Welche Auswirkungen hat die Corona-Krise auf die Profis?

Holger Fischer: Es gibt kein Pauschalurteil. Was ich feststelle: Viele gehen gut mit der Krise und der neuen Situation um, einige befinden sich im Chill-Modus und nehmen sich nicht so viel davon an. Aber der Großteil ist sehr achtsam.

Einige Spieler haben wegen des Infektionsrisikos Kritik am zu frühen Start nach der Corona-Unterbrechung geäußert. Glauben Sie, dass Profis aktuell ängstlich auf den Platz gehen?

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Fischer: Es würde mich wundern, wenn ein Spieler Angst hat. Es sei denn, bei ihm oder Menschen aus seinem direkten Umfeld liegt eine Vorerkrankung vor. Letztlich stellt sich doch jedem die Frage: Wie sehr gefährdet das Virus mein Umfeld und mich? Und wie gehe ich damit um? Vor zwei Jahren gab es über 20.000 Todesfälle in Deutschland durch die Grippe. Aber irgendwann ging dann alles wieder seinen normalen Gang, natürlich auch dank der Impfmöglichkeiten.

Das heißt: Irgendwann wird Corona eine normale Begleiterscheinung sein, die in den Hintergrund rückt?

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Fischer: Ich denke, dass Corona in zwei Jahren nicht mehr die große Rolle in der öffentlichen Diskussion spielen wird. Das Phänomen, dass ein Thema, was viele Menschen beschäftigt, immer mehr in den Hintergrund rückt, gab es ja schon oft. Denken Sie mal an den Tod des ehemaligen Bundesliga-Torwarts Robert Enke. Da herrschte anfangs eine große Betroffenheit, es wurde zu einem besseren Miteinander und größerer Sensibilität im Umgang mit Depression aufgerufen. Ein paar Wochen später war alles wieder beim Alten, da gab es wieder Schmähgesänge in den Stadien.

Ihren Klienten zählt auch Schalkes Daniel Caligiuri. Wie lange arbeiten Sie schon mit ihm zusammen?

Fischer: Wir kennen uns seit mehreren Jahren. Unsere erste Begegnung fand statt, als Daniel noch in der Reserve des SC Freiburg spielte. Sein Bruder Marco, der bei der SpVgg. Greuther Fürth unter Vertrag steht, hat ihn mit zu mir gebracht. Mit sanftem Druck, sozusagen (lacht). Daniel Caligiuri war anfangs nicht so begeistert von der Idee.

Weil ein Besuch bei einem Sportpsychologen eher als Schwäche ausgelegt wird?

Fischer: Ja,oft wird das so gesehen. Ich empfinde es eher umgekehrt. Wenn ein Sportler den Schritt geht und Unterstützung in Anspruch nimmt, dann ist das eine Stärke.

Ein Großteil Bundesligisten beschäftigt mittlerweile Mentaltrainer, um den Spielern die bestmögliche Hilfe anbieten zu können. Wie bewerten Sie den Umgang der Fußball-Klubs mit der Corona-Krise?

Fischer: Es gab Bundesligisten, die einen richtig guten Job gemacht haben, und es gab ein paar andere Vereine, bei denen ich gedacht habe: Was machen die denn? Wichtig ist in so einer Situation, die für alle neu und ungewohnt ist, die richtigen Strategien zu entwickeln.

Arbeitet schon seit Freiburger Zeiten mit Daniel Caligiuri zusammen: Holger Fischer.
Arbeitet schon seit Freiburger Zeiten mit Daniel Caligiuri zusammen: Holger Fischer. © Foto: SK

Ein gutes Stichwort: Schalke hat das Geisterspiel bei Borussia Dortmund sang- und klanglos 0:4 verloren.

Fischer: Im Grunde war es wie das Champions League-Spiel Dortmund gegen Paris Saint-Germain – nur eben mit anderem Ausgang. Der BVB hat seine Hausaufgaben im Derby gemacht. In einem leeren Stadion zu spielen, das ist so, als wenn man als Kind früher auf dem Bolzplatz gekickt hat. Da muss diese Mentalität, unbedingt gewinnen zu wollen, rauskommen. Bei Schalke war es insgesamt von der Leistung her zu wechselhaft. Da kam dann eins zum anderen.

Auch am kommenden Wochenende geht es mit Geisterspielen weiter. Schalke 04 trifft zuhause auf den abstiegsbedrohten FC Augsburg. Sehen Sie aus Spieler-Perspektive eigentlich auch Vorteile, vor leeren Rängen zu spielen?

Fischer: Ja. Die ganze Atmosphäre, dieses Hochgefühl, das beim Einlaufen vor 60.000 Fans ausgeschüttet wird, fällt im Moment weg. Das hat zur Folge, dass Spieler besser in den Schlaf finden und ausgeruhter aufwachen, weil sie eben nicht voller Adrenalin sind und teilweise die halbe Nacht wachliegen. Ich bin überzeugt davon, dass die Bundesliga-Profis mental so leicht wie nie durch die anstehenden englischen Wochen bis Ende Juni kommen werden.

Kritiker werden da jetzt vermutlich direkt einhaken und sagen: Wer wochenlang frei hatte und Millionen verdient, der muss auch in der Lage sein, binnen kürzester Zeit neun Spiele zu absolvieren.

Fischer: Fußballer kriegen viel Schmerzensgeld. Die Beschimpfungen nehmen zu, wenn es sportlich für einen Klub schlecht läuft. Sie zahlen schon einen hohen Preis dafür, dass sie Profis sind und müssen auf vieles verzichten. Damit meine ich nicht Dinge, die sie sich kaufen können, sondern Privatsphäre. Sie sind Personen des öffentlichen Lebens. Und sie müssen funktionieren. Im Grunde hat Fußball etwas vom alten Rom. Brot und Spiele. Es kommen immer mehr Spieler auf den Markt. Die Konkurrenz ist enorm. Und die Verweildauer von einem Fußballer bei einem bestimmten Verein wird immer kürzer.

Rechnen Sie damit, dass durch die Corona-Auswirkungen so etwas wie ein Umdenken auf dem Transfersektor stattfindet und die Ablösesummen sinken?

Fischer: Für einen Kylian Mbappé von Paris St. Germain werden Topklubs auch künftig tief in die Tasche greifen und 150 Millionen Euro bezahlen.

Bleiben wir noch beim Geld. Die deutsche Nationalelf hat kürzlich 2,5 Millionen Euro für soziale Zwecke gespendet, um in der schwierigen Corona-Zeit ein Zeichen zu setzen. Was halten Sie davon?

Fischer: Das Signal fand ich gut. Aber gleichzeitig finde ich es auch schon wieder seltsam. Wenn beim Fußball ein gewisser Betrag gespendet wird, ist das für einige gleich ein Anlass, draufzuhauen. So nach dem Motto: Warum spenden die Profis nicht mehr oder warum verzichten sie nicht auf mehr Gehalt? Ich habe allerdings nicht gesehen, dass viele Vorstandsvorsitzende eines Top-30-Dax-Unternehmens in der Corona-Krise auf Gehalt verzichtet hätten. Vielleicht sollte man da mal drüber nachdenken.