Gelsenkirchen. Schalke-Verteidiger Bastian Oczipka spricht vor dem Bundesliga-Neustart über sein soziales Engagement und den möglichen Derbysieg gegen den BVB.
Die Corona-Zwangspause hat den Fußball-Profis viel Zeit beschert, in der sie nicht wie gewohnt trainieren konnten. Bastian Oczipka vom FC Schalke 04 hat sich Gedanken gemacht, wie er sich äußerst sinnvoll in den zusätzlichen Stunden Freizeit beschäftigen soll. Natürlich, für das Derby am Samstag (15.30 Uhr/Sky) bei Borussia Dortmund ist der 31-Jährige topfit, aber Oczipka hat noch andere Dinge im Kopf als nur den Fußball.
Herr Oczipka, Sie haben sich zuletzt in der Gelsenkirchener Kneipenszene umgeschaut und Werbung für die Initiative #helpGelsen gemacht. Wie ist die Stimmung unter den Gastronomen?
Bastian Oczipka: Für die Gastronomie ist die Lage sehr schwierig. Restaurants und Kneipen sind seit Wochen geschlossen und nur durch kreative Konzepte kommen die Inhaber überhaupt zu Einnahmen. Thommi von der Destille hat beispielsweise seine Kneipe zu einer Art Kiosk umgebaut. Eine große Hilfe für Gastronomen in Gelsenkirchen ist die Aktion #helpGelsen. Als ich davon gehört habe, habe ich mich bei den Organisatoren gemeldet und gefragt, wie ich anpacken kann. Die Aktion hat es verdient, noch breitere Unterstützung zu finden.
Wie genau konnten Sie helfen?
Bastian Oczipka: Vor allem mit meiner Reichweite. Ich habe mehrere Gastronomen besucht, war dabei, als T-Shirts gedruckt wurden, die im Rahmen der Aktion verkauft werden. Das alles habe ich in den sozialen Medien geteilt. Was bei den Jungs von #helpGelsen geleistet wird, ist großartig. Deshalb habe ich direkt einige T-Shirts gekauft, die ich an meine Teamkollegen verteilt habe.
Warum liegen Ihnen ausgerechnet die Gelsenkirchener Kneipen am Herzen?
Bastian Oczipka: Die Wirte in Gelsenkirchen leben von Schalke 04. Unsere Spieltage zählen zu den wichtigsten Einnahmequellen. Normalerweise treffen sich hunderte Fans in den Kneipen – das gehört auf Schalke einfach dazu. Das fällt aktuell alles flach.
Was bekommen Sie als Profi von der Kneipen-Kultur im Ruhrgebiet mit?
Bastian Oczipka: Für einen Dreh war ich vor wenigen Tagen noch in der Kult-Kneipe Bosch. Auch zu Saisonbeginn und nach dem Derbysieg in Dortmund im vergangenen Jahr waren wir als Mannschaft dort. Die Atmosphäre ist einfach etwas besonderes. Auch wegen dieser Erfahrungen war mir wichtig, die Aktion zu unterstützen.
Eine solche Feier mit den Fans würde in diesem Jahr nicht möglich sein.
Bastian Oczipka: Dass wir bei einem Sieg nicht im Bosch feiern können wie letztes Jahr, ist natürlich schade. Wir wollen uns aber nicht über diese besonderen Umstände beschweren, sondern das Beste aus der Situation machen und das Spiel gewinnen. Wenn das klappt, muss ausnahmsweise jeder für sich zu Hause feiern.
Was erwarten Sie von diesem speziellen Spiel am Samstag vor Geisterkulisse?
Bastian Oczipka: Es ist natürlich schwierig, diese Frage zu beantworten, denn eine solche Phase hat noch niemand erlebt. Die Umstände sind alles andere als einfach, doch trotzdem freuen wir uns auf das Spiel – obwohl es ohne Zuschauer stattfindet. Wir haben einfach Bock auf Fußball, das hat man in den Trainingseinheiten gemerkt. Wir sind heiß aufs Derby.
Die Kneipen zu unterstützen, ist eine Sache. Angepackt haben Sie zuvor auch im Uniklinikum Essen. Neben einer finanziellen Spende haben Sie den Pflegekräften neue Sportschuhe geschenkt. Wie kamen Sie auf diese Idee?
Bastian Oczipka: Für andere Aktionen war ich schon auf der Kinder-Krebsstation im Klinikum. Auch in Zeiten von Corona wollte ich mich engagieren und den Pflegekräften Wertschätzung für ihre harte Arbeit entgegenbringen. Als ich angefragt habe, wie genau ich helfen kann, kam die Rückmeldung, dass gute Sportschuhe eine Option wären. Die Pfleger und Mediziner sind in ihrem Job den ganzen Tag auf den Beinen und müssen große Entfernungen zurücklegen.
Zwei der Klinik-Mitarbeiter haben Sie auf ihrem Instagram-Profil sogar vorgestellt und begleitet.
Bastian Oczipka: In Krisenzeiten ist der Fußball total unwichtig. Statt mich selbst in den Vordergrund zu stellen, wollte ich denjenigen eine Plattform bieten, die aktuell im Hintergrund unheimlich viel für die Gesellschaft leisten. Deshalb habe ich die Seiten gewechselt: Statt interviewt zu werden, habe ich die medizinischen Fachkräfte mit Fragen gelöchert, damit sie ihre Geschichten mit uns teilen.
Neben der Klinik haben Sie zuletzt auch die Lebenshilfe in Gelsenkirchen besucht. Was haben Sie dort für Erfahrungen gemacht?
Bastian Oczipka: Ich war ein bisschen schockiert, da die Menschen mit Behinderung gerade am Anfang der Ausgangsbeschränkungen unter ganz besonderen Einschränkungen zu leiden hatten. Kinder und Erwachsene, die in entsprechenden Einrichtungen wohnen, sollten anfangs komplett in Quarantäne auf ihren Zimmern bleiben – eine ganz schwierige Situation. Schon seit anderthalb Jahren engagiere ich mich regelmäßig für Menschen mit Behinderungen. Als Botschafter der Special Olympics NRW leide ich deshalb besonders mit ihnen.
Was ist dort Ihre Aufgabe?
Bastian Oczipka: Ich habe bereits häufiger Trainingsstunden mit Kindern organisiert. Vor einigen Monaten war eine ganze Gruppe zu Besuch auf Schalke, um in der Athletikhalle gemeinsam mit mir zu trainieren. Es hat mir extrem viel Spaß gemacht, und das direkte Feedback der Kinder war überwältigend. Zum Teil waren die Kinder so glücklich, einmal auf Schalke trainieren zu können, dass sie geweint haben. Ich bin bis heute regelmäßig mit der Gruppe in Kontakt. Schon mit ein bisschen Aufwand können wir Fußballer extrem viel bewirken. Ich bin in der glücklichen Lage, meinen Traum zu leben und möchte der Gesellschaft deshalb etwas zurückzugeben.
Gab es in Ihrem Leben einen speziellen Moment, in dem Sie gemerkt haben, dass Sie sich engagieren müssen?
Bastian Oczipka: Die erste Trainingseinheit mit den Special Olympics war für mich ganz besonders. Als die Anfrage kam, habe ich sie angenommen, aber im Vorfeld nicht sehr viel darüber nachgedacht. Dann aber mit den Kindern auf dem Platz zu stehen und diese Freude und Dankbarkeit zu spüren, hat etwas in mir ausgelöst. Ich dachte in diesem Moment, dass ich mich schon früher und stärker hätte engagieren müssen. Einfach, weil ich durch den Fußball die notwendige Aufmerksamkeit habe. Ich werde in Zukunft auf jeden Fall dran bleiben – auch nach der Corona-Krise.
Gerade jetzt setzten sich viele Profis für die gute Sache ein.
Bastian Oczipka: Und ich hoffe sehr, dass dieses Engagement auch nach der Krise fortgeführt wird.
Ganz allgemein eilt Profi-Fußballern häufig ein schlechter Ruf voraus. Warum?
Bastian Oczipka: Sicher gibt es Spieler, die mit ihrem Auftreten polarisieren, sie prägen das Bild des Profis leider ein bisschen. Als ruhigerer Typ wirkt man da schnell langweilig. Aber ich weiß, dass es viele vernünftige Profis gibt, die der Gesellschaft auch etwas zurückgeben möchten, das wird in dieser Diskussion manchmal gern vergessen.
Gerade in den sozialen Medien fallen einige Profis durch Materialismus und Luxusgüter auf. Warum?
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Bastian Oczipka: Es ist nicht einfach, auf dem Boden zu bleiben, wenn man schon in ganz jungen Jahren viel Geld verdient. Ärzte, Anwälte oder Top-Manager brauchen viele Jahre und eine lange Ausbildung, um in solche Gehaltssphären vorzustoßen, während das bei Fußballern teilweise schon mit 18 der Fall ist. Nicht jeder ist dem Alter charakterlich schon so weit, mit der Situation umzugehen. Ich denke, die meisten Jungs haben gar keine bösen Hintergedanken, wenn sie Fotos mit ihren tollen Autos posten, das ist eher ihrer Jugend zuzuschreiben. Man muss aber auch bedenken, dass ein Profivertrag nicht vom Himmel fällt.
Inwiefern?
Bastian Oczipka: Jeder Spieler, der es so weit schafft, hat unglaublich viel gearbeitet und auch Opfer dafür gebracht. Mit Glück hat es also nur wenig zu tun.
Warum tragen Fußballer eine besondere soziale Verantwortung?
Bastian Oczipka: Wir haben eine Vorbildfunktion. Millionen von Menschen schauen uns jede Woche zu, darunter viele Kinder und Jugendliche, die sich häufig am Handeln ihrer Idole orientieren. Der Fußball ist in der Gesellschaft allgegenwärtig und allein durch unsere Reichweiten stehen wir extrem im Mittelpunkt. Daher ist es wichtig, sich entsprechend zu verhalten und ihnen ein gutes Vorbild zu sein.