Gelsenkirchen. Benito Raman hatte als junger Profi in seiner Heimat Belgien Schwierigkeiten. In seinem neuen Klub Schalke 04 ist er unumstritten. Ein Interview.
Großer Respekt kommt selbst vom Gegner. „Benito Raman sprintet alles an, was nicht bei drei auf dem Baum ist. Das ist schon außergewöhnlich“, sagt Trainer Julian Nagelsmann von RB Leipzig über den Stürmer des FC Schalke 04 vor dem direkten Duell an diesem Samstag (18.30 Uhr/Sky). Es ist ein Respekt, den sich der 25-Jährige hart erarbeiten musste. Inzwischen ist der Sommer-Neuzugang ein Star auf Schalke – seine Karriere begann in einer Stadt in Belgien.
Herr Raman, Ihre Heimat Gent gilt als eine der lebenswertesten Städte in Belgien. Wie ist Ihr Eindruck von Gelsenkirchen?
Benito Raman: Gelsenkirchen ist schöner als ich erwartet hätte. (lacht) Ich bin vor kurzem von Düsseldorf nach Gladbeck gezogen, weil ich keine Lust mehr hatte, jeden Tag so lange im Stau zu stehen. Seitdem war ich ein paar Mal in Gelsenkirchen unterwegs und habe inzwischen auch einige gute Restaurants gefunden.
Zu Jugendzeiten wurde Ihnen auch eine Leichtathletik-Karriere nahegelegt. Warum sieht man Sie heute auf dem Fußballplatz und nicht auf der Tartanbahn?
Raman: Ich war immer schneller als meine Mitspieler, weshalb mich meine Trainer gefragt haben, ob ich Lust hätte, zum Training der Leichtathleten zu gehen. Für mich kam es aber nicht infrage, weil ich den Fußball schon immer geliebt habe. Ich wollte nicht nur laufen.
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In Belgien eilt Ihnen noch immer der Ruf eines Skandalprofis voraus. Wie kam es dazu?
Raman: Wenn man als junger Spieler in Belgien drei, vier gute Spiele macht, wird man in der Presse schnell so etwas wie der nächste Messi oder Ronaldo. Zeigt man dann mäßige Leistungen, fällt die Kritik entsprechend scharf aus. Ich habe damals wohl etwas länger gebraucht, um erwachsen zu werden und mich an das Profidasein zu gewöhnen. Erst mit 21 Jahren war ich so weit, wie manch anderer vielleicht schon mit 18 war. Neben dem Platz hatte ich manche Probleme und nicht immer die richtigen Freunde. Mittlerweile habe ich aus meinen Fehlern gelernt und mache vieles anders.
Sie haben in Ihrer Jugend nicht so gelebt, wie es ein Profi tun sollte?
Raman: Als ich mit 16 Jahren meinen Profivertrag unterschrieben habe, hat jeder erwartet, dass ich mich sofort verhalte, wie es sich für einen erwachsenen Profi gehört. Aber das schafft nicht jeder. In Belgien ist nicht jeder ein Romelu Lukaku oder Youri Tielemans, die schon als Teenager im Fokus standen und denen das gelungen ist. Die meisten Jungs haben mit Anlaufschwierigkeiten zu kämpfen. Nur weil man einen Profivertrag unterschrieben hat, ist man nicht gleich ein anderer Mensch.
Was hat es mit Ihnen gemacht, medial so früh kritisiert zu werden?
Raman: Um das klarzustellen: Nicht nur die Medien haben Schuld. Ich habe einige Fehler gemacht. Deshalb war für mich war irgendwann der Punkt erreicht, an dem feststand, dass ich Belgien verlassen muss. Mein Wechsel nach Deutschland hat alles verändert. Ich glaube: Würde ich heute noch in Belgien spielen, wäre ich niemals der Spieler, der ich heute bin.
Wegen homophober Äußerungen wurden Sie 2016 in Gent suspendiert und im Anschluss an den Abstiegskandidaten St. Truiden verliehen. Hatten Sie damals Angst, dass der Traum von der großen Karriere platzen könnte?
Raman: Wie gesagt, ich habe Fehler gemacht. Nun konzentriere ich mich darauf, sportlich meinen Weg zu gehen.
Vor Ihrem Wechsel zu Fortuna Düsseldorf gingen Sie zunächst zu Standard Lüttich. Inwieweit unterscheidet sich der Fußball in Flandern und der Wallonie?
Raman: Standard und Schalke haben einige Gemeinsamkeiten. Ob Lüttich oder Gelsenkirchen, die ganze Stadt lebt für den Fußball und tut alles für ihr Team. Die Fans sind unglaublich und unterstützen die Mannschaft immer bedingungslos. Gleichzeitig können sie auch sehr direkt sein. Wenn es nicht läuft, pfeifen sie ihr Team auch mal aus.
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Während Ihrer Zeit in Belgien haben Sie nie zweistellig getroffen. Warum lief es in Deutschland auf Anhieb besser?
Raman: In Belgien kannte ich jede Mannschaft ganz genau, und auch die Gegner konzentrierten sich auf die Art meines Spiels. Als ich in Düsseldorf ankam, war es komplett anders. Ich hatte zuvor weder von Heidenheim noch von St. Pauli gehört und spielte deswegen befreiter auf. Auch die Gegenspieler kannten meine Spielweise nicht.
Welchen Einfluss hatte es auf Ihre Leistung, dass Sie sich in Deutschland einzig auf den Sport konzentrieren konnten?
Raman: Hier bin ich allein mit meiner Frau, und alles ist ein bisschen ruhiger. Der Wechsel ins Ausland hat mich enorm reifen lassen. Jeder, der mich in Deutschland kennengelernt hat, weiß, dass ich ein ganz normaler Typ bin.
Wie hat sich Ihr Umgang mit Kritik im Laufe der Jahre verändert?
Raman: Früher habe ich auf jeden kritischen Bericht oder Kommentar reagiert. Inzwischen habe ich gelernt, ruhig zu bleiben. Ich will meinen Kritikern auf dem Platz beweisen, dass sie falsch liegen.
Wie schwer ist es, komplett auszublenden, was über Sie berichtet wird?
Raman: Ich blende das nicht aus, im Gegenteil – nach den Spielen schaue ich mir an, wie ich und meine Teamkollegen von den Journalisten benotet wurden. Es ist zwar eine subjektive Meinung, aber immer spannend. Viele Texte lese ich zwar nicht, doch über Familie und Freunde bekommt man automatisch einiges mit.
Inzwischen wird auf Schalke über Sie berichtet. Wo waren Sie, als das Angebot kam?
Raman: Nach dem letzten Saisonspiel mit Düsseldorf im Mai war ich mit meiner Familie und meinem Berater essen, und er fragte mich, was ich über Schalke 04 denke – noch bevor es überhaupt ein Angebot gab. Damals wusste ich noch nicht so viel über den Verein, aber mir war bewusst, dass Schalke zu den größten Klubs in Deutschland zählt. Zwei Tage später rief mein Berater an und fragte, ob ich Interesse an einem Wechsel zu Schalke hätte. Ich sagte nur: „Auf jeden Fall. Mach es.“ Bis es dann zur Einigung kam, hat es zwar ein bisschen gedauert, aber heute bin ich sehr froh, dass es geklappt hat.
In der vergangenen Saison haben Sie mit Fortuna Düsseldorf 4:0 auf Schalke gewonnen. Was war Ihr erster Eindruck von der Arena?
Raman: Schalke hatte damals eine schlechte Phase, aber wenn man in der Arena spielt, weiß man, dass die Atmosphäre immer atemberaubend ist. Es ist unglaublich, hier zu spielen, und als Gästemannschaft hat man immer ein bisschen Angst, in diesem riesigen Stadion aufzulaufen. Als Außenseiter 4:0 zu gewinnen war damals in Reihen der Fortuna natürlich überragend.
In der aktuellen Saison läuft es für Schalke besser. Wie bewerten Sie den Rückrundenstart?
Raman: Wir haben nur drei Punkte aus den vergangenen drei Spielen geholt. Das ist nicht unser Anspruch. Gut ist jedoch, dass wir wenige Tore kassieren und die Spiele nicht verlieren. Jede Mannschaft hat im Laufe einer Saison mit schwierigen Phasen zu kämpfen. In einer solchen stecken wir aktuell.
Die Fans sind aktuell unzufrieden mit den Auftritten der Mannschaft. Sind die Erwartungen zu hoch?
Raman: Schalke gehört nach Europa – mindestens in die Europa League, vielleicht irgendwann mal auch in die Champions League. Als Mannschaft sind wir komplett auf unseren sportlichen Erfolg fokussiert. Aber nach der vergangenen Saison, in der lange gegen den Abstieg gekämpft wurde, wäre im vergangenen Sommer jeder damit zufrieden gewesen, wenn wir es unter die ersten sieben schaffen. Die starke Hinrunde hat die Erwartungen nach oben geschraubt. Aber so leicht ist das nicht, dieses Niveau über eine ganze Saison zu halten, vor allem, wenn Verletzungen dazu kommen.
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Am Samstag wartet mit RB Leipzig ein offensivstarker Gegner, der den Anspruch hat, das Spiel selbst zu gestalten. Kommt Ihnen das in der aktuellen Phase entgegen?
Raman: Wir wissen nicht, mit welchem Ansatz genau Leipzig antreten wird, aber manchmal ist es dankbarer, gegen Mannschaften anzutreten, die das Spiel machen und nicht nur abwarten. Trotzdem kann man Teams mit defensiver Ausrichtung keinen Vorwurf machen, da sie häufig darum kämpfen, in der Liga zu bleiben – auch das ist Fußball.
Als Verein ist RB Leipzig in Deutschland sehr umstritten. Was bekommt man davon als Profi mit?
Raman: Natürlich bekommt man das mit. Trotzdem mache ich mir wenig Gedanken über die Konzepte anderer Klubs. Für mich ist Leipzig ein Verein wie jeder andere auch. Was in der Vergangenheit passiert ist, interessiert mich nicht. Für mich geht es darum, Spiele zu gewinnen.
Was ja bisher gut geklappt hat. Wie zufrieden sind Sie mit Ihren persönlichen Leistungen in der laufenden Saison?
Raman: Seit dem Spiel gegen Bielefeld läuft es gut, und ich bin zufrieden mit mir. Nach einem Transfer braucht es immer gewisse Zeit, sich im neuen Verein einzuleben, weshalb die Saison für mich sogar besser läuft als erwartet. Ich hoffe, dass ich in dieser Saison drei oder vier Tore mehr schießen kann als in der Vorsaison. Aber schon jetzt zähle ich mit sieben Pflichtspieltoren zu den Top-Scorern des Teams.
Erst in Deutschland haben Sie sich in den Fokus der belgischen Nationalmannschaft gespielt. War Ihre erste Nominierung im September eine logische Folge Ihrer persönlichen Entwicklung?
Raman: Wäre ich in Belgien geblieben, würde ich niemals in der Nationalmannschaft spielen. Es ist einfacher nominiert zu werden, wenn man in Deutschland, England, Italien oder Spanien spielt, da das Niveau in den Top-Ligen ein ganz anderes ist. Als ich Belgien verlassen habe, wusste ich, dass ich es ins Nationalteam schaffen kann, wenn ich hart an mir arbeite. Im Endeffekt klappte es schneller als gedacht.
Vor ein paar Monaten haben Sie gesagt, Sie bräuchten 15 Saisontore, um Chancen auf eine Nominierung für die Europameisterschaft zu haben.
Raman: Wenn ich ab sofort in jedem Spiel ein Tor schieße, sollte es also reichen. (lacht) Vor kurzem habe ich in den Medien eine Rangliste der besten belgischen Torschützen des Kalenderjahres 2019 gesehen – und mit 13 Toren war ich unter den besten fünf. Meine Statistiken sind super, das weiß auch der Nationaltrainer. Trotzdem ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, darüber zu sprechen. Die EM ist mein Traum, aber aktuell geht es für mich darum, Schalke mit guten Leistungen zu helfen.
Was war Ihr bisher schönster Moment auf Schalke?
Raman: Mein 3:2-Siegtor in der Verlängerung gegen Hertha BSC war großartig. In der Szene selbst war ich komplett fokussiert und habe nicht mitbekommen, was um mich herum im Stadion passiert. Als ich im Nachhinein allerdings die Bilder gesehen habe, habe ich gesehen, dass das ganze Stadion aufgesprungen ist, als ich noch in der eigenen Hälfte war. Doch auch an mein Tor im Heimspiel gegen Union Berlin denke ich gern zurück.