Gelsenkirchen. Schalkes Knappenschmiede-Chef Peter Knäbel will den Blick bei der Talentsichtung wieder stärker vor die eigene Haustür richten. Ein Interview.
Schalkes Knappenschmiede-Chef Peter Knäbel sieht die Königsblauen beim Vergleich mit Erzrivale Borussia Dortmund keineswegs im Hintertreffen. Im zweiten Teil des großen WAZ-Interviews spricht Knäbel auch über die Entwicklung von Spieler-Persönlichkeiten und ausländische Talente.
Herr Knäbel, wo sehen Sie die Knappenschmiede jetzt im Vergleich zum BVB?
Peter Knäbel: Ich sehe uns auf Augenhöhe, was Output und Ergebnisse betrifft. Für den deutschen Fußball ist es gut, dass Vereine wie Schalke und der BVB die Nachwuchsarbeit wichtig nehmen und jungen Talenten in erster Linie aus der eigenen Region die Möglichkeit geben, ihre Vereinsfarben zu vertreten. Ich bin da sehr Traditionallist.
In den vergangenen Jahren gab es eher den Trend, die Talente von weiter weg oder aus dem Ausland zu holen. Sie setzen wieder mehr auf die eigene Region?
Knäbel: Für mich ist das keine Frage von entweder oder. Aber die Stärkung der eigenen Region steht am Anfang von allem: Das heißt, ich muss hier gucken, um meine Region zu stärken. Wir müssen bei den Jüngeren auf den Plätzen Gelsenkirchens und Gladbecks präsent sein mit Mannschaften der Knappenschmiede. Es kann doch nicht sein, dass man ein Verein unseres Kreises sagt: Die Schalker reden nicht mit uns! Man muss uns doch kennen, da muss auch ein Trikot von uns hängen.
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Was wollen Sie konkret ändern?
Knäbel:Wir müssen im Austausch mit den Vereinen sein, wir spielen mit unseren jüngsten Mannschaften auch wieder im Kreis, um uns in Kontakt zu bringen. Ich habe erfahren: Hallen-Kreismeisterschaften für die Kleinen gibt’s nicht mehr – das ist doch nicht möglich! Im gesamten Fußball- und Leichtathletik-Verband Westfalen haben wir 500 E-Junioren-Mannschaften verloren. Es darf nicht sein, dass wir heutzutage Kindern zwischen acht und zwölf Jahren nicht mehr die Faszination Fußball erklären und sie nicht mehr mobilisieren können. Wir als Schalke 04 müssen präsent sein und zeigen: Guck mal, so könnte man Fußball spielen.
Dabei geht’s um die Breite oder konkret um die Förderung von Talenten für den Leistungsbereich?
Knäbel:Das eine bringt das andere mit sich. Natürlich wollen wir irgendwann die Besten zu uns holen, aber das ist ja sowieso der Fall. Wir haben in diesem Jahr ein Projekt lanciert, das heißt Local Heroes, dabei geht es darum, mehr Spieler aus der eigenen Region zu haben. Wir müssen meiner Meinung nach klar an unseren Wurzeln arbeiten, und die Wurzeln sind hier vor Ort. Das hat in der Vergangenheit ja auch gut funktioniert, und das wird es auch in Zukunft – das ist für mich gar keine Frage.
Sie spielen auf Spieler wie Joel Matip, Julian Draxler oder Benedikt Höwedes an, die aus der Region stammen, schon als kleine Kinder in die Knappenschmiede gewechselt sind und dann zu Profis wurden?
Knäbel:Ein solcher Weg ist traumhaft für jede Talentförderung. Nach dem Abschied von Oliver Ruhnert gab es hier zwei Jahre des Vakuums – es ist völlig klar, dass du diese Zeit mitschleppst. Vor dieser Saison haben wir einige neue Spieler für die U19 geholt, aber die haben Schalke natürlich noch gar nicht so lange eingeatmet, wie die Spieler, die schon sieben oder acht Jahre hier sind. Nachwuchsarbeit geht in Schritten von drei bis fünf Jahren. Du brauchst einfach diese Zeit, wenn du mal eine kleine Delle gehabt hast.
Also sind Sie davon überzeugt, dass es irgendwann wieder eine Höwedes-Generation geben wird?
Knäbel:Ja, unbedingt. In welcher Häufigkeit und ob die Spieler vergleichbar sind, wird man sehen. Man muss den Spot auf die Talente halten, denn nur wo du hinleuchtest, findest du auch etwas.
Im Endeffekt sprechen wir immer davon, Spieler für die Bundesliga zu entwickeln...
Knäbel:… Das ist eine der messbaren Kennzahlen. Man darf aber auch nicht vergessen, dass wir Persönlichkeiten entwickeln. Die Jungs müssen später einmal auch gescheite Familienväter werden.
Ist Schalke bei den Spielern für die Bundesliga mit Benjamin Goller einer durch die Lappen gegangen? Der Junge spielt jetzt in Bremen Bundesliga.
Knäbel:Ich finde nicht, dass der uns durch die Lappen gegangen ist. Benjamin Goller war ein Jahr lang bei den Profis, er hatte ein Jahr Zeit. Wenn danach bei uns die fundierte Meinung herrscht, dass wir den Spieler nicht behalten und der Spieler zugleich sagt, er möchte es woanders versuchen, dann ist das doch völlig okay. Der Spieler hat Qualitäten, aber er hat auch Defizite. Glauben sie mir: Ich freue mich für jeden, wenn er es dann schafft.
Wie lautet Ihre Zwischenbilanz nach eineinhalb Jahren Schalke? Und was haben Sie noch vor?
Knäbel:Aus meiner Zeit in der Schweiz habe ich mitgebracht, effiziente Projekte zu lancieren und gleichzeitig mit den Ressourcen haushälterisch umzugehen. Und wir versuchen, uns Dinge zu trauen, die sich andere vielleicht noch nicht getraut haben. Da bin ich jetzt aber noch nicht bei 100 Prozent, ich hätte noch viele Ideen, aber ich habe eines gelernt: Wenn du das Tempo zu hoch anschlägst, verlierst du deine Gefolgschaft. Wir haben ja schon die ganze Organisationsstruktur geändert, wir haben die Infrastruktur geändert und wir haben den Grundlagenbereich angepasst.
Fahren Sie eigentlich bei der Talentsuche auch selbst raus?
Knäbel:Es ist nicht mein Führungsverständnis, dass ich den Job mache von Leuten, die dafür engagiert sind. Du musst da sein, wenn deine Leute dich brauchen. Aber ich nehme mir immer wieder die Freiheit raus, dahin zu fahren, wo gespielt wird. Im Schnitt sehe ich drei bis fünf Spiele pro Wochenende. Ich bin leidenschaftlicher Talentebeobachter, es ist für mich jedes Mal aufs Neue ein Vergnügen, Fußball zu gucken. Meine Frau versteht das bis heute nicht (lacht).
Sie sind auch privat nach vielen Jahren zurück ins Revier gekommen. Reizt Sie eigentlich noch der unmittelbare Profifußball?
Knäbel:Ich habe den Fußball aus so vielen Perspektiven entdecken und erleben dürfen – für mich kommt es darauf an, eine spannende Aufgabe mit spannenden Menschen zu haben, und Schalke ist super spannend. Und man kann es gar nicht hoch genug einschätzen, wie es ist, nach so vielen Jahren wieder ins Revier zurückzukommen: Wenn du mit 20 weggegangen bist, erst in den Norden und dann nach 18 Jahren aus der Schweiz zurückkommst, dann ist das Revier für mich wieder eine wunderbare Entdeckungsreise, die ich täglich genieße.