Essen. Norbert Nigbur, einst Torwart auf Schalke und in der Nationalelf, stützt Manuel Neuer. Er warnt vor einem aufkommenden Zwist der DFB-Torhüter.

Nach dem 2:1-Sieg der deutschen Nationalmannschaft über die Niederlande im Finale der Weltmeisterschaft 1974 nahm Johan Cruyff Norbert Nigbur zur Seite. Der unterlegene Stürmer der Holländer sagte: „Ich verstehe nicht, dass du nur Nummer zwei bist. In jedem anderen Land wärst du im Tor der Nationalmannschaft doch gesetzt.“ Dass große Teile der deutschen Presselandschaft Cruyffs Gedanken teilten und in Nigbur den besseren Torhüter als den stets gesetzten Sepp Maier sahen, war da längst vergessen. Denn die DFB-Auswahl war gerade Fußball-Weltmeister geworden. „Wäre das nicht passiert, wäre Theater gewesen“, glaubt der 71-Jährige, der es trotz unglaublicher Leistungen als Schalke-Torhüter nur auf sechs Länderspiele brachte.

Ter Stegen hat eine leidenschaftlich geführte Debatte angezettelt

Das „Theater“, der empörte Aufschrei, blieb aus, der Erfolg war ja da. Doch damals wie heute schwelte eine hitzige und leidenschaftlich geführte Debatte um den Platz im deutschen Tor. Und Marc-André ter Stegen, aktuell Nummer zwei hinter Manuel Neuer, hat sie erneut angezettelt. Mit Aussagen, die für einen Torhüter ohne Einsatzzeiten zwar nachvollziehbar sind, aber dennoch Sprengkraft besitzen. „Diese Reise mit der Nationalmannschaft war für mich persönlich ein schwerer Schlag“, erklärte der 27 Jahre alte Torhüter des spanischen Meisters FC Barcelona, nachdem Bundestrainer Joachim Löw ihn in den Spielen gegen die Niederlande (2:4) und Nordirland (2:0) nicht eingesetzt und dafür Neuer aufgestellt hatte: „Es ist gar nicht einfach, dafür eine Erklärung zu finden.“

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Neuer konterte. „Ich weiß nicht, ob uns das hilft“, sagte der Torhüter des FC Bayern München. „Wir sind eine Mannschaft und sollten alles dafür tun, dass wir als Mannschaft auftreten.“ In der Forderung seines wohl ärgsten Konkurrenten sieht er offenbar einen aufkommenden Zwist. Daher warnt der 33-Jährige: „Auch wir Torhüter müssen zusammenhalten.“

Da pflichtet der frühere Schalke-Torhüter Nigbur dem früheren Schalke-Torhüter Neuer bei: „In der aktuellen Form sehe ich keinen Anlass, einen Wechsel vorzunehmen. Manu ist Kapitän, die Jungs hören ja auf ihn“, sagt er im Gespräch mit dieser Zeitung. Gleichwohl legt Nigbur die Betonung auf den Zusatz „aktuell“. Und da liegt für ihn der entscheidende Grund, um Kritik an ter Stegens Aufbegehren zu üben: „Das hätte er vor oder während der Weltmeisterschaft 2018 machen müssen.“

Nigbur: "Wenn Neuer normal drauf ist, führt an ihm kein Weg vorbei"

Vor rund einem Jahr hatte Bundestrainer Löw stur an Neuer als Nummer eins festgehalten und nach dem Vorrunden-Aus auch deshalb den Unmut vieler Fans der in Russland desaströs aufgetretenen Nationalmannschaft auf sich gezogen. Neuer hatte 2017/2018 dauerverletzt lediglich drei Bundesliga-Spiele, im Jahr der WM allerdings kein einziges Pflichtspiel für seinen Klub absolviert. Ter Stegen hatte in Spanien konstant überzeugen können.

Die großen Torwart-Duelle im Nationalteam

  • Zur WM 1962 in Chile fährt Hans Tilkowski mit der Erwartung, Nummer eins zu sein, Bundestrainer Sepp Herberger stellt aber wider Erwarten Wolfgang Fahrian auf. Tilkowski ist darüber so sauer, dass er sein Hotelzimmer verwüstet.
  • 1986 nennt Uli Stein Bundestrainer Franz Beckenbauer „Suppenkasper“, weil Toni Schumacher in Mexiko das Tor hütet.
  • 2006 geht es zivilisierter zu, obwohl Oliver Kahn wütend ist, weil Jens Lehmann bei der WM im eigenen Land den Vorzug erhält.

Nach vier Bundesliga-Spielen aber liegt das Momentum wieder bei Neuer. Der zeigte jüngst auch im Spitzenspiel bei RB Leipzig, dass er nach seinem Leistungstief im vergangenen Jahr wieder zu seiner Normal- und damit zur internationalen Topform gefunden hat. „Da kann ter Stegen Kusselköpper machen, um im Tor zu stehen. Wenn Neuer normal drauf ist, führt an ihm kein Weg vorbei“, stellt Nigbur klar.

Dass ter Stegen derlei Ansprüche äußert, ist für DFB-Torwarttrainer Andreas Köpke indes vertretbar. Er sehe kein Problem darin, „denn da ist nichts unter die Gürtellinie gegangen“, betont der 57-Jährige. Köpkes Verständnis ist offenbar da, eine Aussicht auf Einsätze in wichtigen Spielen klingt aber anders. „Aber es ist nun mal eine Position, auf der wir stark besetzt sind und man leider nicht jedem Torhüter gerecht werden kann.“

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Hat ter Stegen also tatsächlich den falschen Zeitpunkt gewählt, um seine und Neuers Rollen öffentlich diskutieren zu lassen?

Vor dem im kommenden Jahr anstehenden großen Turnier ist für Köpke jedenfalls „wichtig, dass Respekt da ist und wir im Hinblick auf die EM 2020 eine Mannschaft formen, die eng zusammensteht“.

Ter Stegen ist mit dem FC Barcelona in Dortmund zu Gast

Ausgerechnet vor deutschem Publikum kann ter Stegen seine Ansprüche mit Leistungen untermauern. Er ist mit Barcelona im ersten Champions-League-Gruppenspiel bei Borussia Dortmund zu Gast. Dort trifft er auf Trainer Lucien Favre, der ihn noch aus gemeinsamer Zeit in Mönchengladbach kennt. Der Schweizer stützt seinen früheren Torhüter in Bezug auf die Debatte: „Marc-André ist ein hervorragender Torwart. Wenn du das im ersten Training nicht siehst, bist du blind.“