Gelsenkirchen. Schalke-Vorstand Alexander Jobst im WAZ-Interview über die Mitgliederversammlung, über Tönnies und Heidel und über die finanzielle Situation.
Schalke 04 steht nach dem Einbruch in der vergangenen Saison im Umbruch. Vorstand Alexander Jobst (45) hält an ehrgeizigen Zielen fest, warnt seinen Klub aber zugleich im WAZ-Interview: „Wir müssen auf der Hut sein, dass der Zug nicht ohne uns abfährt.“
Herr Jobst, vor zwei Monaten drohte Schalke noch der Sturz in die 2. Liga, seitdem ist wieder etwas Ruhe eingekehrt. Wie nehmen Sie ihren Verein inzwischen wahr?
Alexander Jobst: Die Frustration nach der vergangenen, zutiefst enttäuschenden Saison ist zwar gewichen, aber es liegt immer noch ein Schleier der Lethargie über dem Klub. Diesen Schleier müssen wir vertreiben, und dafür ist die Mitgliederversammlung am Sonntag der wichtigste Tag. Da werden wir die Saison noch einmal Revue passieren lassen, vor allem aber die Analyse daraus und die konkreten Lösungen diskutieren. Am Ende sollte die vergangene Saison damit endgültig ad acta gelegt und die Aufgaben für die neue Saison klar formuliert sein. Wir müssen das Besondere an Schalke wieder zum Leben erwecken.
Wie wollen Sie das tun?
Jobst: Das große Ziel für die neue Saison ist es, diese Schalke-typische Identifikation zwischen dem Fußball und den Fans wieder herzustellen. Dafür sind wir in den vergangenen Monaten sehr selbstkritisch mit uns umgegangen und haben die Ursachen für Fehlentscheidungen gesucht. Wir haben nicht nur intern, sondern teilweise auch öffentlich Fehler thematisiert und Kritik auch personalisiert.
Ex-Manager Christian Heidel, der der sportlich Verantwortliche war, wird am Sonntag nicht bei der Versammlung sein. Clemens Tönnies, der Vorsitzende des Aufsichtsrates, stellt sich zur Wiederwahl. Was erwarten Sie?
Jobst: Clemens Tönnies hat selbst gesagt, dass er sich seiner großen Verantwortung bewusst ist und er auch sehr selbstkritisch mit sich umgeht. Es ist eine große Qualität von Clemens Tönnies, aus Misserfolgen die richtigen Schlüsse zu ziehen. Er ist jemand, der anpackt, der den Weg nach vorne sucht und der alle Kraft aufbringen wird, um uns als Aufsichtsrats-Vorsitzender wieder in die Erfolgsspur zu bringen - davon bin ich absolut überzeugt.
Also gehen Sie von seiner Wiederwahl aus?
Jobst: Gerade in dieser sportlich und wirtschaftlich herausfordernden Zeit braucht der Verein mehr denn je Stabilität und Verlässlichkeit. Clemens Tönnies steht über viele Jahre betrachtet für einen sehr erfolgreichen S04 - sportlich und wirtschaftlich. Bei aller Enttäuschung über die letzte Saison haben unsere Mitglieder ein feines Gespür für das große Ganze. Kontinuität in handelnden Personen ist im Übrigen auch sehr wichtig in meinem wirtschaftlichen Verantwortungsbereich. Ich persönlich gehe davon aus, dass Clemens Tönnies am Sonntag wiedergewählt wird und wünsche mir das auch, weil ich weiß, dass der Verein ohne ihn in ganz andere Fahrwasser geraten könnte.
Christian Heidel könnten die Mitglieder theoretisch die Entlastung verweigern. Auf Antrag kann separat über die Entlastung der drei Vorstände abgestimmt werden.
Jobst: Ganz ehrlich: Damit haben wir uns überhaupt nicht beschäftigt.
Heidel hatte, wie es Tönnies ausgedrückt hat, den Generalschlüssel von Schalke. Muss sich der Verein den Vorwurf machen, nicht genau genug hingeschaut zu haben?
Jobst: Nach der Vize-Meisterschaft vor einem Jahr war natürlich ein grenzenloses Vertrauen in das Trainer-Team und in die sportliche Führung da. Gewisse Strömungen haben dann dazu geführt, dass wir in eine Negativ-Spirale gerutscht sind. Die hätte man möglicherweise früher bremsen können. Das haben wir versäumt. Der Aufsichtsrat hat ja bereits mitgeteilt, dass er wieder einen engeren Kontrollmechanismus führen möchte. Ich schließe da aber auch meinen Vorstandskollegen Peter Peters und mich nicht aus. Auch wir hätten sicherlich im Nachgang betrachtet Alarmsignale früher deuten können.
Die Frage ist natürlich immer, wann der Zeitpunkt zum Eingreifen gekommen ist? Im Herbst war Heidel stolz, dass alles ruhig blieb. Jetzt sprechen Sie von Alarmsignalen.
Jobst: Christian Heidel hat sowohl in seiner erfolgreichen Zeit in Mainz als auch im ersten Jahr hier mit Domenico Tedesco die klare Philosophie gehabt, das sportliche Tagesgeschäft dem Trainer vollumfänglich anzuvertrauen und zu überlassen. In der Rückschau betrachtet, war Domenico Tedesco als Trainer enorm akribisch, hochkompetent und mit Leidenschaft bei Schalke 04, aber er war zu jung und unerfahren, um Strömungen in der Mannschaft alleine auffangen zu können. Da hätte er Sparring gebraucht. Das ist meine klare Analyse der Misere.
Und Heidel hat diesen Austausch verweigert…
Jobst: Dieses enge Sparring hätte völlig konträr zur Philosophie von Christian Heidel gestanden. Und genau da ist die Sollbruchstelle. Im Bild gesprochen: Domenico Tedesco stand am Ende alleine im brennenden Wald. Er hat immer kurzzeitig entflammende Brände löschen können, aber am Ende wurde es zu viel und ihm ist das Wasser ausgegangen.
Welche Lehren ziehen Sie als Schalke-Vorstand daraus?
Jobst: Du brauchst Personen, mit denen du dich in einem emotionalen und manchmal auch hektischen Umfeld wie bei Schalke 04 austauschen kannst, von denen du auch mal einen Rat erfährst. Diese Personen braucht auf Schalke jeder, ob der Aufsichtsrat, der Vorstand, der Trainer oder der Kapitän der Mannschaft. Diese enorme Wucht von Schalke 04 hat noch niemand alleine stemmen können. Denken wir mal ganz weit zurück: Rudi Assauer und Huub Stevens haben sich früher jeden Tag ausgetauscht.
Schalke 04 wird oft vorgeworfen, keine echte Strategie zu haben. Wie sieht die Strategie für die Zukunft aus?
Jobst: Schalke 04 hat eine ganz klar definierte Strategie, die über viele Jahre ausgelegt ist. Sie führt dahin, dass wir uns als Klub mit internationalem Anspruch sehen, sportlich, wirtschaftlich und emotional. Diese Strategie ist langfristig und mit Zielen in den Geschäftsbereichen untermauert. Natürlich wünschen wir uns, dass sie auch im Kerngeschäft Fußball mit personeller Kontinuität ausgelebt wird.
Nach der Ablösung von Horst Heldt hieß die Strategie, alles auf Heidel zu setzen.
Jobst: Nein, das wäre zu kurz gedacht. Die Strategie lautet zunächst einmal, dass Schalke 04 seine Ziele vorgibt: Wo möchte man sein? Wie definiert man sich? Dann richtet man den Erfolg auf gewisse Parameter aus, vor drei Jahren eben im Sport personell auf Christian Heidel. Entsprechend gibt es jetzt keinen Gesamt-Strategiewechsel, aber die sportliche Verantwortung wird nach Maßgabe von Jochen Schneider auf mehrere Schultern verteilt. Eines ist klar, und da lassen wir uns auch nicht kleinreden: Schalke 04 hat nach wie vor eine sehr starke Ertragskraft und ist auch in Zukunft eine der Top-Adressen in Deutschland. Gleichzeitig ist zu sagen, dass wir unseren Ansprüchen in den letzten drei Jahren zweimal nicht Genüge geleistet haben. Das ist so.
Schalke hat in drei Jahren zweimal den Europapokal verpasst und davor zweimal nur knapp die Europa League erreicht: Alarmiert Sie dieser Trend?
Jobst: Der Wettbewerb hat sich dramatisch verändert. Es kommen Klubs im Kampf um die internationalen Plätze dazu, die es für Schalke in seiner Struktur als eingetragener Verein umso herausfordernder machen, in den nächsten Jahren international zu spielen. Wir dürfen nicht davon ausgehen, dass wir im nächsten Jahr sofort wieder die europäischen oder sogar die Champions-League-Plätze erwarten.
Also kalkulieren Sie notfalls sogar ein weiteres Jahr ohne Europapokal ein?
Jobst: Es wäre anmaßend und unternehmerisch riskant, die europäischen Plätze für das nächste Jahr als Zielvorgabe zu geben. Wir wollen uns zunächst einmal verbessern, und ich glaube, dass die Mitglieder und unsere Partner vor allem die ganz klare Erwartung haben, dass wir wieder leidenschaftlichen Fußball spielen. Wir wissen aber sehr wohl, was Leidenschaft entfachen kann und wie weit sie einen auch tragen kann.
Wie hoch sind die finanziellen Einbußen nach der vergangenen Saison?
Jobst: Die Champions-League garantierte uns in der letzten Saison ca. 60 Millionen Euro. Dazu gehören auch Prämien bei den Sponsoring-Geldern. Was meinen Bereich angeht, muss ich auf der Mitgliederversammlung zum ersten Mal in acht Jahren bei Schalke 04 auf Zahlen für die kommende Saison verweisen, die keine weitere Steigerung der Vermarktungserlöse in Aussicht stellen. Wir werden das erste Mal von Stagnation sprechen. Das ist keine schöne Botschaft, aber ich habe auch immer gesagt: Ewig geht das mit den Steigerungen nicht so weiter - leider ist dieser Zeitpunkt jetzt eingetreten. In der Relation betrachtet sind wir immer noch auf Champions-League-Niveau, was die Vermarktungserlöse angeht und dort auf Position drei in Deutschland mit weitem Abstand vor dem Viertplatzierten.
Wie sehen die Zahlen konkret aus?
Jobst: Die garantierten Vermarktungserlöse im Jahr 2019 werden bei etwa 94 Millionen Euro liegen, 2018 waren es 96 Millionen Euro. Das ist eine enorme Stabilität, aber das Ergebnis zeigt auch, dass ein Ausbleiben des sportlichen Erfolges sich mittel- und langfristig auch auf die Vermarktungszahlen auswirkt. Ohne einen funktionierenden sportlichen Motor wird es langfristig nicht rund laufen.
Wie wollen Sie den Verlust auffangen?
Jobst: Wir müssen den Einnahmeverlust dahingehend kompensieren, dass wir für diese Saison ein geringeres Investitionsbudget zur Verfügung stellen können. In der vergangenen Saison konnten wir bekanntermaßen ein höheres Budget für Transfers bereitstellen. Dazu dürfen wir nicht vergessen, dass parallel ein langfristiges Infrastrukturprojekt für das Berger Feld im Gange ist, das Investitionen in Höhe von 95 Millionen Euro in sich trägt. Zusammengefasst wird Schalke 04 auch in der kommenden Saison ein Lizenzspielerbudget stemmen können, das in der oberen Hälfte der Bundesliga liegt. Die Einbußen aus dem Ausbleiben des internationalen Geschäfts bringen aber ein reduziertes Transferbudget mit sich.
Das wie groß ist?
Jobst: Ich bitte um Verständnis, dass wir dazu keine Angaben machen werden. Unser Transferbudget in diesem Sommer liegt sicherlich weit unter dem Transferbudget von vielen anderen Bundesligisten. Wir müssen auf der Hut sein, dass der Zug nicht ohne uns abfährt.
Sie fürchten, dass noch mehr Klubs Schalke davonziehen?
Jobst: Schalke 04 hat sich ganz klar dem Ziel verschrieben, international vertreten zu sein. Je öfter wir dieses Ziel nicht erreichen, desto schwieriger wird es, dann wieder den Anschluss zu schaffen. Denn wir müssen in unserer Rechtsform als eingetragener Verein eigenständig haushalten und können nicht Subventionsspritzen eines Investors erwarten.
Diskutiert Schalke dann irgendwann über seinen Status als eingetragener Verein?
Jobst: Solange Schalke 04 wettbewerbsfähig ist und seine Ziele mit sportlichem Erfolg erreichen kann, stellt sich die Frage der Rechtsform nicht. Noch sind wir wettbewerbsfähig. Wir müssen aber aufpassen, dass uns die anderen nicht abhängen.
Umso wichtiger wird für Schalke die kommende Saison…
Jobst: Die Verantwortlichen von Schalke 04 haben den klaren Auftrag, mit vollem Ehrgeiz an einer erfolgreichen Saison zu arbeiten - da sind wir schon mittendrin. Angesichts der Rahmenbedingungen heißt es umso mehr, dass sämtliche Entscheidungen, die wir jetzt treffen werden, nicht nur sehr gut überdacht sein wollen, sondern auch sitzen müssen. Bei der Mitgliederversammlung am Sonntag wünsche ich mir ein Einstimmen auf das, was uns 2019/20 erwartet. Wir können nur gemeinsam wieder in die Erfolgsspur kommen, dazu brauchen wir unsere Fans und einen positiven Schub.