Venlo. Unnerstall galt auf Schalke als großes Torwarttalent. Dann stockte die Karriere. In Venlo zeigt er nun seine Klasse. Das nächste Ziel: Nummer eins in Eindhoven .
Nach dem Training schiebt Lars Unnerstall Sonderschichten. Ein ganz besonderer Fan des VVV Venlo hatte den Wunsch, noch einmal mit seinem Torwart-Idol trainieren zu dürfen, ehe die Saison vorbei ist. „Im Sommer spielst du ja Champions League“, klopft der kleine Junge dem großen Hünen beim gemeinsamen Selfie auf die Schulter.
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Unnerstall erfüllt ihn. Der frühere Torwart von Schalke 04 (2008 bis 2014) und Fortuna Düsseldorf (2014 bis 2017) nimmt sich eine halbe Stunde Zeit für das Kind mit Down-Syndrom: schießt Elfmeter, hält Schüsse, plaudert mit ihm auf Niederländisch. Zum Schluss schenkt der Fußball-Profi dem Jungen seine Torwarthandschuhe – doch vor allem: ein Strahlen ins Gesicht.
Unnerstall sollte der neue Neuer werden
Auch der 28-Jährige lächelt, schon den ganzen Vormittag. Nach schwierigen Jahren in der Bundesliga hat Lars Unnerstall in der niederländischen Provinz sein Fußball-Glück gefunden - in den Farben Schwarz und Gelb.
Eigentlich sollte der gebürtige Ibbenbürener einst der neue Manuel Neuer bei den Königsblauen werden, doch weder auf Schalke, noch später in Düsseldorf konnte er die Erwartungen erfüllen.
Als Gescheiterter wagte er 2017 beim Erstliga-Aufsteiger VVV einen Neustart. Beim Klub aus der Grenzregion stieg der Blondschopf erst schnell zum Publikumsliebling, dann zu einem der Top-Torhüter der Eredivisie auf.
Unnerstall überzeugte auch den Meister aus Eindhoven. Schon 2018 sicherte sich die PSV vertraglich seine Dienste, lieh ihn noch für eine Spielzeit nach Venlo aus. Kommende Saison wird der 28-Jährige unter dem früheren Bayern-Kapitän Mark van Bommel trainieren und wieder bei einem großen Verein spielen – wahrscheinlich als Nachfolger der aktuellen Nummer eins Jeroen Zoet und wahrscheinlich als Stammspieler in der Champions League.
"Plötzlich steht man da unten und reibt sich die Augen"
Dass er mit VVV in dieser Spielzeit vor Schalke den Klassenerhalt sicherstellte, „ist natürlich ein Wunder“, lacht Unnerstall. Eines dieser, die ihm zeigen, wie schnell und verrückt es im Profigeschäft immer wieder zugeht. „So viele Dinge spielen eine Rolle – und plötzlich steht man da unten und reibt sich die Augen.“
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Er spricht aus eigener Erfahrung. Ein Kreuzbandriss von Ralf Fährmann ermöglichte dem Talent 2011 eine Chance im Schalker Tor. Unnerstall nutzte sie, spielte sich zunächst als Nummer eins fest. „Ich war wirklich drin und hatte ordentlich gespielt. Doch eine Schulterverletzung brachte mich schließlich raus.“ Er wechselte den Klub. Als Unnerstall in Düsseldorf bei Null beginnen wollte, verlor Fortuna einige Spiele in der Zweitliga-Hinrunde. „Der Trainer wollte in der Winterpause etwas ändern und suchte sich die Torhüterposition heraus. Man ist jung und enttäuscht, aber so ist das als Torhüter“, sagt der Profi.
Trotz der Rückschläge denkt der 1,98-Meter-Mann nicht verbittert an seine Jahre in Deutschland zurück. „Es war eine super Zeit, um das alles kennenzulernen. Auf Schalke bin ich Profi geworden, habe Champions League gespielt, Europa League, Bundesliga. Ich denke dadurch bin ich gereift, um das jetzt alles so wegzustecken“, sagt Unnerstall. Er reflektiert seine Karriere häufig: „Vielleicht kam das dieses Niveau einfach zu früh für mich. Vielleicht wäre ich weiter gewesen, hätte sich Fährmann ein Jahr später verletzt. Vielleicht wäre meine Karriere andersherum besser gewesen: Ein Start in Venlo, dann Düsseldorf, dann Schalke“, doch eine Torwartlaufbahn könne man nur schwer vorhersagen.
Venlo kein Rückschritt
Unnerstall ist glücklich, dass er in den Niederlanden die Wertschätzung erfährt, die ihm in Deutschland verwehrt blieb. „So spielt man am liebsten, wenn jeder im Verein und Umfeld hinter einem steht und sagt: Das ist unser Torwart. Der gehört zu uns, wir brauchen ihn. Mit solch einem Vertrauen spielt es sich auch ganz anders. Man fühlt sich gut und spielt viel besser.“
Wer seinen Wechsel in die Niederlande zu einem Aufsteiger mit kleinem Budget als Rückschritt betrachten wolle, solle das tun, zuckt Unnerstall mit den Schultern. „Wenn ich dadurch aber einen Vertrag bei PSV bekomme und in der Königsklasse spielen kann, ist das wiederum ein Schritt über Fortuna hinaus – und auch über Schalke momentan“, lacht er.
Der Klub aus Limburg ist bekannt für seine 64 Treppenstufen, die man im Stadion „de Koel“ zum Kunstrasen hinuntergehen muss. Unnerstall läuft sie hoch nach dem Training in Richtung Kabine. Er stolpert an der vorvorletzten Stufe, doch reagiert schnell. „Zum Glück ist nichts passiert“,ruft der Junge.
Unnerstall dreht sich um und zwinkert ihm zu. Auf seinem Weg zurück nach oben lässt er sich nicht mehr aus dem Gleichgewicht bringen.