Gelsenkirchen. Bei Vizemeister Schalke 04 haben sich seit dem Trainingsstart im Juli 18 Spieler verletzt – manche davon sogar zweimal. Das sagt ein DFB-Arzt:
Aus dem Kumpel- und Malocherklub ist der Humpel- und Malocherklub geworden. Seit dem Trainingsstart im Juli haben sich bei den Königsblauen 18 Profis verletzt. Einige Spieler, wie zum Beispiel Ralf Fährmann oder Amine Harit, sind sogar zweimal wegen verschiedener Beschwerden ausgefallen. „Die Summe der Ausfälle ist hoch. Aber es gibt eben Phasen, in denen ein Verein geballtes Pech hat. Gedanken müsste sich Schalke erst dann machen, wenn es in der zweiten Saisonhälfte so weitergeht“, sagt Dr. Ingo Tusk (52), Vizepräsident der Deutschen Sportärzte (DGSP).
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Bei den Königsblauen musste Kapitän Fährmann schon nach wenigen Saisonspielen wegen Kniebeschwerden aus dem Trainingsprogramm herausgenommen werden und fehlte seit Ende Oktober in sechs Partien wegen Adduktorenproblemen. Mittelfeldspieler Amine Harit verletzte sich im Trainingslager in Österreich und zog sich einen Muskelfaserriss zu. Einige Wochen später stand er wegen Oberschenkelproblemen nicht zur Verfügung.
Auffällig: Neben Harit zogen sich auch Yevhen Konoplyanka, Steven Skrzybski und Omar Mascarell Muskelfaserrisse zu. Hinzu kommt ein Muskelbündelriss bei Routinier Sascha Riether. Aktuell fallen Stürmer Breel Embolo (Fußbruch) und Mark Uth (Faserriss und Sehnenverletzung) aus. „Die grosse Belastung könnte bei Breel irgendwann zum Bruch geführt haben“, sagt Damian Meli, Teamarzt der Schweizer Nationalmannschaft. Embolo hatte vor der Verletzung, die er am Montagmorgen nach dem 0:3 in Frankfurt erst richtig realisierte, sechs Spiele in Folge bestritten.
Auf der Homepage des Schweizer Fußball-Verbands zeigt sich der 21-Jährige kämpferisch: „Wer mich kennt, weiß, dass ich alles daransetzen, noch in diesem Jahr wieder aufzulaufen. Ich will stärker denn je zurückkehren und im Klub zeigen, dass die Nationalmannschaft in der Euro-Qualifikation wieder auf mich zählen kann.“
Trainingsverletzungen steigen an
Die Verletzungen von Benjamin Stambouli (Syndesmosebandriss), Hamza Mendyl (doppelter Außenband- und Kapselriss), Cedric Teuchert (Teilruptur der Sehne im Hüftbeuger), Bastian Oczipka (Leistenoperation), Guido Burgstaller (Fersenprobleme), Johannes Geis (Oberschenkelbeschwerden), Weston McKennie (Muskelprellung mit Einblutung im Unterschenkel), Suat Serdar (Bänderdehnung), Nabil Bentaleb (Rückenbeschwerden) und dem zu Paris gewechselten Thilo Kehrer, der sich während Schalkes PR-Tour durch China eine Fersenverletzung zuzog, komplettieren die ellenlange Lazarettliste. Zehn der genannten S04-Blessuren resultierten aus dem Training.
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„Aufgrund von wissenschaftlichen Längsschnittstudien wissen wir heute, dass seit Beginn dieses Jahrtausends die Muskelverletzungen im Profifußball signifikant zugenommen haben. Verletzungen im Spiel treten zwar deutlich häufiger auf als im Training. Paradoxerweise haben die Trainingsverletzungen deutlicher zugenommen als die Wettkampfverletzungen“, fasst Professor Wilfried Kindermann (78), Chefmediziner der Fußball-WM 2006 in Deutschland, zusammen. Der frühere leitende Arzt der deutschen Olympiamannschaft erläutert: „Es wird angenommen, dass heute intensiver trainiert wird als früher, insbesondere die High-Speed-Aktionen betreffend, um Wettkampfsituationen zu imitieren.“
Laut Kindermann sollte die Dreifachbelastung für einen Verein kein unüberwindbares Hindernis darstellen. „Bei einem Team mit durchschnittlich 25 Spielern und intelligenter Rotation sollten dennoch häufige englische Wochen möglich sein“, so der Facharzt für Sportmedizin und Kardiologie. Kindermann ergänzt: „Außerdem gibt es heute bei den meisten Profivereinen ein breit aufgestelltes Team hinter dem Team mit sehr viel mehr Spezialisten als früher, so dass Defizite oder Überlastungen rechtzeitig erkannt werden können.“
„Es muss laufen wie ein Uhrwerk“
Ingo Tusk, der aktuell die Fußball-Frauen des DFB als Teamarzt betreut, stellt fest: „Wenn ein Klub wie Schalke in drei Wettbewerben spielt, dann muss alles laufen wie ein Uhrwerk. Richtige Regeneration, richtige Ernährung - das sind Themen, auf die es ankommt. Aber das erwarte ich auch bei einem Verein wie Schalke. Sie sind medizinisch gut aufgestellt.“ Tusk nimmt auch die Profis selbst in die Pflicht: „Die Spieler müssen besser in ihren Körper hineinhören. Das ist immer eine Gratwanderung, weil der Verein unter Druck steht und der Profi seinen Platz nicht abgeben will. Wenn aber einer denkt, er könnte Voltaren gegen Schmerzen nehmen und trotzdem spielen, dann kommt es früher oder später bei hoher Belastung zum Muskelfaserriss.“ Warum es bei Schalke derzeit knüppeldick kommt, darüber lässt sich streiten. Tusk: „Es ist schwierig, den Schuldigen zu suchen. Einerseits wollen Vereine unbedingt in der Champions League dabei sein. Du kriegst viel Geld in diesem Wettbewerb. Aber du zahlst auch einen hohen Preis.“