Gelsenkirchen. . Flanke Rüdiger Abramczik, Fallrückzieher Klaus Fischer – vor genau 40 Jahren fiel das Jahrhunderttor. Die beiden Schalker Legenden erzählen.

Klaus Fischer und Rüdiger Abramczik kennt auf Schalke jeder. Wenn die beiden Legenden mit zwei Sektgläsern in den Händen aus der Gaststätte neben der Geschäftsstelle kommen und sich draußen fotografieren lassen, dann fragt natürlich ein Fan: „Was ist denn los? Gibt es was zu feiern?“ Abramczik, selten um einen Gag verlegen, zeigt auf Fischer: „Der Klaus wird 80!“ Nein, wird er nicht, Fischer ist erst 67. Aber einen Anlass zum Anstoßen haben die früheren Nationalspieler sehr wohl: An diesem Donnerstag ist es genau 40 Jahre her, dass sie dem Fußball eine Szene für die Ewigkeit schenkten. Ein Tor wie ein Gemälde.

Zum Endstand gegen die Schweiz

Es fiel im Stuttgarter Neckarstadion, zum 4:1-Endstand im Länderspiel gegen die Schweiz. Abramczik raste rechts über außen, verfolgt von drei Verteidigern. Seine hohe Flanke segelte über zwei weitere Abwehrspieler hinweg, dann legte sich Fischer mit dem Rücken zum Tor in die Luft und versenkte den Ball per Fallrückzieher im Netz. ARD-Zuschauer wählten den Treffer erst zum Tor des Jahres, dann zum Tor des Jahrzehnts und schließlich zum Tor des Jahrhunderts.

Wenn zwei Schalkern bei der Nationalmannschaft so ein Tor gelingt, kann man auf die Idee kommen: Die haben das trainiert. Haben sie?

Fischer: Gezielt nicht.

Abramczik: Der Klaus war ja Kopfballspezialist. Deshalb haben wir im Training viele Flanken auf ihn geschlagen. Manchmal haben wir uns einen Spaß daraus gemacht, ihn zu ärgern, und haben extra über ihn hinweg geflankt. Und dann steigt der Kerl hoch und macht den Fallrückzieher.

Fischer: Wenn ich die Kinder in meiner Fußballschule frage, wie viele Fallrückziehertore ich wohl in der Bundesliga geschossen habe, tippen die: fünfzig. Und sie sind enttäuscht, wenn ich ihnen sage: eins. Aber so war es: Der Fallrückzieher war die Ausnahme, der Kopfball die Regel.

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Der Fallrückzieher im Länderspiel gegen die Schweiz sah perfekt aus.

Abramczik: Ich war damals selbst überrascht. Weil drei Mann hinter mir her liefen, hatte ich nicht mehr viel Zeit für eine vernünftige Flanke. Ich dachte dann: Oh, Mist, viel zu weit. Und als ich sah, was der Klaus vorhatte, dachte ich: Der bricht sich den Hals. Den Fallrückzieher hat er nur gemacht, weil er eigentlich mit der Flanke nichts anfangen konnte.

Fischer: Mein Vorteil war in dem Moment, dass nur noch zwei Abwehrspieler in meiner Nähe waren. Wenn der Strafraum voll ist, kannst du keinen Fallrückzieher machen.

Kann man das Kunststück lernen?

Fischer: Eher nicht. Es ist eine Gabe. Man hat sie, oder man hat sie nicht.

Und Flanken?

üdiger Abramczik (61), geboren in Gelsenkirchen, ist ein Schalker Junge. Als der talentierte Jugendspieler der Königsblauen 1973 mit 17 Jahren sein Debüt in der ersten Mannschaft gab, war er der bis dahin jüngste Spieler der Bundesliga.
üdiger Abramczik (61), geboren in Gelsenkirchen, ist ein Schalker Junge. Als der talentierte Jugendspieler der Königsblauen 1973 mit 17 Jahren sein Debüt in der ersten Mannschaft gab, war er der bis dahin jüngste Spieler der Bundesliga. © Lars Heidrich

Abramczik: Die kann man lernen. Allerdings muss in der Mitte auch ein Stürmer sein, der sich bewegt. Der Klaus hat nie nur gestanden und gelauert. Einen stehenden Stürmer erreichst du nicht.

Flanke, Fallrückzieher, Tor – so etwas sieht man heute nur selten.

Fischer: Ja, heute zieht der Robben von rechts nach innen, oder der Kimmich überholt ihn außen. Aber wenn Bayern München permanent um den gegnerischen Strafraum herum spielt, ist der auch immer voll.

Der große Taktik-Experte Pep Guardiola lehrt Ballbesitzfußball, der Fehler minimieren soll.

Abramczik: Seine Spielart gefällt mir überhaupt nicht. Die Bayern standen zu seiner Zeit vor dem Sechzehner und haben nicht mal geschossen. Erst jetzt unter Jupp Heyn­ckes suchen sie wieder konsequent den Abschluss.

Klaus Fischer (67) ist gelernter Glasbläser aus dem Bayerischen Wald, 1970 kam er vom TSV 1860 München zum FC Schalke 04, mit dem er 1972 Pokalsieger wurde.
Klaus Fischer (67) ist gelernter Glasbläser aus dem Bayerischen Wald, 1970 kam er vom TSV 1860 München zum FC Schalke 04, mit dem er 1972 Pokalsieger wurde. © Lars Heidrich

Fischer: Was ich heutzutage vermisse, auch auf Schalke, ist ein riskantes Offensivspiel. Die Stürmer wollen oft gar nicht außen vorbeigehen, die spielen lieber Sicherheitspässe. Früher bei uns konnten alle flanken: Der Abi, der Erwin Kremers, der Stan Libuda. Und meine Aufgabe war es, daraus Tore zu machen.

Sie beide waren echte Spezialisten.

Abramczik: Um einen guten Außenstürmer reißen sich die Klubs heute.

Fischer: Spezialisten werden ja auch nicht mehr richtig ausgebildet. Wie viele starke deutsche Mittelstürmer haben wir denn? Du musst bereits mit 12, 13 Jahren dahin gebracht werden, dass du auf deiner Position später Top-Leistungen bringst.

Interview auf Schalke: Klaus Fischer (links) und Rüdiger Abramczik (rechts) mit den Redakteuren Christoph Winkel (hinten links) und Peter Müller.
Interview auf Schalke: Klaus Fischer (links) und Rüdiger Abramczik (rechts) mit den Redakteuren Christoph Winkel (hinten links) und Peter Müller.

In der Nationalmannschaft haben auch schon Mario Götze und Mesut Özil in der Sturmmitte gespielt.

Fischer: Mit der falschen Neun wirst du definitiv keine Titel holen.

Herr Abramczik, Sie waren damals bekannt als „Flankengott aus dem Kohlenpott“. Ein Ehrentitel – und das als Nachfolger des unvergessenen Stan Libuda. War es schwer, in seine Fußstapfen zu treten?

Abramczik: Ich habe mich gar nicht als sein Nachfolger gesehen. Er war im Dribbling viel, viel besser als ich, er konnte die Verteidiger, ich sag’s mal auf Deutsch, richtig verarschen. Ich hatte großen Respekt vor dem Stan, was er machte, wollten die Leute sehen. Mein Vater hat seine Spielweise geliebt, er hat ihn genau beobachtet und mir schon als Kind den Libuda-Trick gezeigt. In der Küche. ,Helga, Tisch weg!’ hat er gerufen. Körpertäuschung nach links, Verlagerung nach rechts – und dann hat er ausgeholt und sich am Ofen den Zeh gebrochen. (lacht)

So wird man also ein Schalker Star.

Fischer: Bei mir war es anders, ich kam ja als Bayer 1970 von 1860 München nach Schalke. Kaum zu glauben, dass ich jetzt schon 47 Jahre hier lebe. Dabei hatte meine Mutter damals gesagt: Wie? Du gehst ins Ruhrgebiet? Da kannst du ja gar kein weißes Hemd tragen! (lacht)

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Rückblickend waren es zwei unterschiedliche Dummheiten, die für Brüche in Ihren Karrieren gesorgt haben. Der Torjäger Klaus Fischer wurde wegen des Bestechungs-Skandals von 1971 gesperrt und gab erst 1977 sein Länderspiel-Debüt, und die Nationalelf-Karriere des Rechtsaußen Rüdiger Abramczik endete 1979 nach nur zwei Jahren, weil er als 23-Jähriger dem DFB-Präsidenten Hermann Neuberger ins Gesicht sagte, er sei ahnungslos. Ärgert es Sie heute, es nicht auf 100 Länderspiele gebracht zu haben?

Fischer: Ich war ja 1971 im ersten Jahr hier auf Schalke und hatte in der Mannschaft noch nichts zu sagen. Aber wir Jungen haben mitgemacht, es war der größte Fehler meines Lebens. Ich könnte heute noch mit dem Kopf vor die Wand laufen wegen so viel Blödheit.

Abramczik: Was ich zu Neuberger gesagt habe, war ja nicht überlegt. Ich hatte auch nicht gedacht, dass das so einen Riesenknall geben würde. Ich hatte es schon fünf Minuten später bereut, aber er hat die Entschuldigung nicht angenommen.

Der DFB war in den Siebzigern ex­trem streng. Erwin Kremers wurde wegen eines Platzverweises in der Bundesliga die Teilnahme an der WM 1974 verweigert.

Fischer: Die Holzköpfe haben 1978 Beckenbauer, Breitner und Stielike nicht mit zur WM genommen. Dass die dem Abi nicht verziehen haben, ist bis heute unverständlich.

Abramczik: Nicht nur wir haben Fehler gemacht.

Fischer: Der DFB hat damals viel mehr Fehler gemacht als wir.