Gelsenkirchen.. Nationalspieler Julian Draxler verließ Schalke wegen der scheinbar besseren Perspektive in Wolfsburg. Beim Stresstest in der Heimat fiel er durch.
Als Leon Goretzka die Treppe aus den Katakomben der Arena hochstieg, wurde er bereits freudig erwartet. Kinder, die von der Stiftung „Schalke hilft“ eingeladen worden waren und ihren Idolen exklusiv nah sein durften, trällerten ein Geburtstags-Ständchen. Der 21 Jahre jung gewordene Profi des FC Schalke 04 war gerührt, bedankte sich artig. Stark gespielt, souverän mit 3:0 gegen den VfL Wolfsburg gewonnen, jetzt diese Freude – welch ein schöner Tag für ihn.
Deutlich später schlich Julian Draxler aus dem Kabinentrakt, deprimiert und desillusioniert. Nicht einmal nach Spielschluss lief es bei dem Wolfsburger, seine Dopingprobe zog sich so lange hin, dass er die Abfahrt des Mannschaftsbusses verpasst hatte. Der VfL-Arzt nahm ihn im Auto mit zurück.
Schon während des Spiels musste sich Julian Draxler wie im falschen Film vorkommen, wie Bambi in „Apocalypse now“. Er im Zentrum der Aggressionen und keine Helfer weit und breit.
Draxler verlor mit beiden Teams 0:3
War er nicht im August zu den Niedersachsen gewechselt, um dort den nächsten Karriere-Schritt zu machen? Nach diesem blamablen Auftritt des VfL lässt sich feststellen, dass sich der Nationalspieler verkalkuliert hat. Schalke schloss mit dem klaren Sieg zum Führungstrio der Liga auf und distanzierte Wolfsburg um sechs Punkte. Und Julian Draxler hat es tatsächlich geschafft, beide Saisonspiele zwischen diesen Teams mit 0:3 zu verlieren. Nach dem Hinspiel, in dem die Wölfe noch hochüberlegen gewesen waren, hatte er die Seiten gewechselt – wegen der scheinbar besseren sportlichen Perspektive. In Wolfsburg hat ihm Trainer Dieter Hecking die Regisseur-Rolle anvertraut, die er auf Schalke nur selten übernehmen durfte. Ertrag? Nicht erkennbar.
Auch Olaf Thon hatte Schalke einst verlassen, um mit den Bayern Titel sammeln zu können. Im Gespräch mit dieser Zeitung fällt der 49-Jährige ein hartes Urteil über Julian Draxler: „Ich hoffe für ihn, dass er noch einmal die Kurve bekommt. Er war WM-Teilnehmer und ist ein herausragender Fußballer, jetzt muss er aber endlich lernen, Gras zu fressen. Sonst droht er als ewiges Talent zu enden. Für die Europameisterschaft kommt er in der momentanen Verfassung nicht in Frage.“
Den Stresstest am Samstag hat Draxler nicht bestanden. Erstmals nahm der 22-Jährige, der schon mit acht Jahren für Königsblau gespielt hatte, in der Gästekabine Platz, erstmals lief er in seiner Heimat in Grün-Weiß auf, erstmals donnerte ihm Abneigung aus der Schalker Fankurve entgegen. Nicht ganz so laut und hasserfüllt wie damals, als Manuel Neuer im Bayern-Trikot zurückgekehrt war. Aber doch kränkend genug, um nicht ignoriert werden zu können.
Julian Draxler fand zwar, es sei „alles im Rahmen geblieben“, er habe sich trotz allem gefreut, „die alten Gesichter wiederzusehen“. Aber: „Wir haben 0:3 verloren, das ist am bittersten. Das war ein Spiel zum Vergessen.“ Schon zur Halbzeit führte Schalke durch Treffer von Klaas-Jan Huntelaar und Johannes Geis mit 2:0, das 3:0 durch Neuzugang Alessandro Schöpf war eine verdiente Zugabe.
Was Schalkes Talent Goretzka nun weiß
Leon Goretzka, Bochumer Junge mit mutmaßlich großer Schalker Zukunft, hatte nur noch eine Sorge – wie er jetzt noch an Karten für das Pokalspiel des VfL am Mittwoch gegen die Bayern kommen würde. Seinem ehemaligen Mitspieler spendete er mitfühlend Trost. „Julian war natürlich geknickt“, erzählte Goretzka. „Man muss zwar auch Verständnis für die Fans haben, aber es ist schade, dass er so krass beleidigt wurde.“ Seit dem Tag, an dem er 21 wurde, weiß Goretzka nun, wie es denn wäre, wenn er eines Tages nicht etwa im Trikot von Barcelona, Real oder Arsenal nach Schalke zurückkäme, sondern im Dress von – sagen wir mal: RB Leipzig.