Gelsenkirchen. Das etwas andere Interview: Roman Neustädter von Schalke 04 im Gespräch mit Sportredakteur Peter Müller: über Medien, Mechanismen und Maulwürfe.
Roman Neustädter hat an diesem Tag 30 Flüchtlingskinder glücklich gemacht. Sie haben in einer Halle in der Nähe der Schalker Arena Fußball gespielt – mit ihm, dem Profi vom FC Schalke 04. Er selbst hatte die Idee dazu, er sagt: „Mir geht es doch gut.“ Entspannt kommt der 27-Jährige zum Interview – vielleicht auch, weil er weiß, dass er diesmal nicht auf seine Antworten achten muss. Denn ausnahmsweise stellt er mal die Fragen. Fußballer Roman Neustädter und Sportredakteur Peter Müller haben die Rollen getauscht. Der Spieler ist gut vorbereitet, er legt einen handgeschriebenen Zettel auf den Tisch. Der Journalist weiß nicht, was ihn erwartet.
Roman Neustädter: Was ist für Sie guter Journalismus?
Peter Müller: Guter Journalismus ist seriös. Sorgfalt ist ein ganz wichtiger Punkt. Gerade in der heutigen Zeit, in der Journalisten viele Kanäle bedienen und sich Nachrichten rasend schnell verbreiten. Journalismus muss auch in Online-Medien oder in den sozialen Netzwerken bei aller Schnelligkeit verlässlich sein. In der gedruckten Zeitung ist es zunehmend unsere Aufgabe, bereits bekannte Nachrichten einzuordnen, zu analysieren, zu kommentieren.
Neustädter hat Russland im Blick
- Roman Neustädter, 27, wurde 1988 in der damaligen Sowjetunion geboren. Sein Vater Peter, ein Russlanddeutscher, war selbst Profi. 1992 siedelte die Familie nach Deutschland über, Peter Neustädter spielte für Karlsruhe und Mainz.
- Über Mainz 05 und Borussia Mönchengladbach kam Roman Neustädter 2012 zu Schalke 04. Zweimal war er für die deutsche Nationalmannschaft am Ball. Wegen der besseren Perspektive liebäugelt der Mittelfeldspieler und Innenverteidiger damit, künftig für Russland zu spielen.
Neustädter: Welchen Leitsatz verfolgen Sie?
Müller: Den einen Leitsatz gibt es für mich nicht. Ehrlichkeit ist mir wichtig. Respektvoller Umgang auch.
Neustädter: Was war Ihre spannendste Geschichte?
Müller: Oh, da gibt es viele. Auf Anhieb fällt mir diese ein: Als Schalke 04 hundert Jahre alt wurde, habe ich mich mal auf die Spuren des Kultfußballers Stan Libuda begeben, der vor seinem Tod 1996 zurückgezogen gelebt hat. Ich habe mit Menschen gesprochen, die ihn gut kannten, das war zum Teil bewegend. Grundsätzlich sind alle Geschichten spannend, die mit Leidenschaft erzählt werden. Ich höre besonders gerne Fußballern zu, die ihre Karrieren beendet haben. Die müssen nämlich keine Rücksichten mehr nehmen.
Neustädter: Was würden Sie am Fußball-Journalismus ändern?
Müller: Es ist nichts dagegen zu sagen, dass sich das Rad mit Tempo dreht. Aber mir gefallen Übertreibungen nicht. Ein Beispiel. Auf jedem Sportplatz dieser Welt geht es im Training auch mal laut und ruppig zu. Ein Trainer, der etwas verändern will, muss auch deutlich werden dürfen. Früher wurden die Spieler von den so genannten harten Hunden durchbeleidigt, das galt als normal. Heute pfeift André Breitenreiter auf Schalke einen Spieler an, der bei einer Übung nicht richtig mitzieht, und schon twittert der Erste: Hauskrach auf Schalke! Das muss übrigens kein Reporter sein, inzwischen twittert auch der Rentner.
Neustädter: Hat sich das so krass geändert, weil es die neuen Medien gibt?
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Müller: Ja. Es ist natürlich spannend, alles sofort mitteilen und alles sofort erfahren zu können. Ich selbst informiere mich auch viel häufiger als früher auf verschiedenen Wegen. Aber im Netz sind auch viele Gerüchte unterwegs, die leider häufig als Fakten wahrgenommen werden. Da bin ich dann gerne mal altmodisch: Es ist wichtig, zu wissen oder herauszufinden, wie seriös die Quelle ist.
Neustädter: Wenn eine andere Zeitung oder ein anderes Online-Portal in einem Fall schneller war: Berichtet Ihr dann trotzdem darüber?
Müller: Alle Nachrichten, mit denen wir im Laufe eines Tages konfrontiert werden, müssen von uns bewertet werden. Man muss nicht über jedes Stöckchen springen, das einem hingehalten wird. Aber wenn ein anderes Medium zuerst erfahren hat, dass ein Verein einen neuen Trainer verpflichtet hat, können wir diese Meldung ja nicht zurückhalten. Wenn wir sie übernehmen, gehört es sich, auch die Quelle zu nennen.
Neustädter: In der Berichterstattung tauchen auch mal interne Quellen auf. Wird da geschmiert?
Müller: Für unsere Redaktion kann ich klar mit nein antworten. Vielleicht bin ich naiv, vielleicht möchte ich naiv sein: Aber ich gehe nicht davon aus, dass Fußballprofis Honorare für Informationen erhalten. Ich glaube eher, dass die internen Quellen ein Interesse daran haben, dass sie sprudeln.
Neustädter: Heißt das, dass es in jeder Mannschaft Maulwürfe gibt?
Müller: Nein. Interne Quellen können auch Funktionäre oder Menschen aus dem Umfeld sein. Berater von Spielern zum Beispiel. An Spieler heranzukommen, ist im Laufe der Jahre ohnehin schwerer geworden. Sie ziehen gegenüber Journalisten oft eine Mauer hoch.
Neustädter: Wir müssen ja auch bei jeder Kleinigkeit aufpassen. Wer hat in seinem Leben noch nicht falsch geparkt? Wenn ich das mache, geht es gleich rund.
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Müller: Beobachter und Kritiker kommen aber nicht mehr allein von den Medien. Hinz und Kunz machen Handyfotos von Prominenten, und wer seine Meinung loswerden will, der postet sie. Kürzlich hat Mats Hummels getwittert: Jetzt reicht es mit der Kritik! Früher hätte er damit ausschließlich Sportjournalisten gemeint, heute nicht mehr.
Neustädter: Na ja, als Profi muss man mit Kritik auch leben und umgehen können.
Müller: Es gibt ein Zitat von Kurt Tucholsky: Wer in der Öffentlichkeit Kegel schiebt, muss sich gefallen lassen, dass nachgezählt wird, wie viele er getroffen hat. Aber einer meiner Grundsätze ist, dass Kritik immer fundiert sein sollte. Ich will nicht etwas behaupten, was ich nicht gesehen habe oder nicht belegen kann. Im Übrigen werden heutzutage ja auch wir Journalisten öffentlich bewertet. Online-User gehen mit uns oft nicht zimperlich um.
Neustädter: Müssen Sportjournalisten eigentlich Sport studiert haben?
Müller: Nein, das nicht. Es gibt viele Ausbildungswege für Journalisten.
Neustädter: Aber sie sollten schon Ahnung haben...
Müller: Das ist Voraussetzung. Genau wie Leidenschaft. Ich bin davon überzeugt, dass die meisten Fußballreporter diesen Sport lieben. Ich glaube auch, dass Spieler falsch liegen, wenn sie denken, dass Journalisten am liebsten über Negatives berichten. Nehmen wir bei Schalke mal das Jahr 1997: Die deutschen Reporter, die damals in Mailand auf der Tribüne saßen, haben doch nicht darauf gehofft, dass Schalke das Uefa-Cup-Finale verlieren würde. Die wussten doch alle vorher, dass bei einem Sieg die Emotionen überkochen würden, und sie hatten Spaß daran, das zu transportieren.
Neustädter: Sind manche Journalisten vielleicht sogar zu sehr Fans von den Vereinen, über die sie schreiben?
Müller: Jeder hat private Sympathien. Von denen sollte man sich aber nicht leiten lassen, im Job geht Neutralität vor, da muss man sich immer wieder selbst überprüfen.
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Neustädter: Wie sehen Sie Schalke in der Außendarstellung?
Müller: Schalke 04 ist ein besonderer Verein. Emotion, Tradition – da können viele Emporkömmlinge nicht mithalten. Aber dieser Verein steht sich leider immer wieder selbst im Weg. Auf Schalke sorgen nicht, was immer gerne behauptet wird, häufig die Medien für Unruhe. Durch die Medien wird intern verursachte Unruhe allenfalls verstärkt. Schalke bräuchte mehr Geduld – von innen und von außen.
Neustädter: Ich wüsste gerne noch, welche Antworten von Spielern Sie nerven.
Müller: Alle ausweichenden Antworten. Mir ist es lieber, wenn Spieler sagen, dass sie auf eine bestimmte Frage nicht antworten können oder wollen, als wenn sie Phrasen dreschen. Da ist einer stocksauer, weil er nur drei Minuten am Schluss eingesetzt wurde, und er sagt: Ich freue mich, dass ich der Mannschaft helfen durfte.
Neustädter: Abschließende Frage: Was denken Sie, wo Schalke am Ende der Saison stehen wird? Das werden wir auch immer gefragt. (lacht)
Müller: Ich könnte jetzt mal verraten, wo ich in meiner privaten Tipprunde stehe. Wenn ich da auf die Tabelle schaue, muss ich zugeben: Ich bin offensichtlich komplett ahnungslos. Ich wage trotzdem mal eine Prognose: Auf den ersten drei Plätzen sehe ich Bayern, Dortmund und Wolfsburg, dahinter wird es ein Gerangel geben. Schalke sollte die Champions League nicht aus den Augen verlieren, sie ist nicht unerreichbar. Aber wegen des Umbruchs und der Niederlagen gegen direkte Konkurrenten halte ich momentan Platz fünf zum Saisonende für realistisch.