Gelsenkirchen. Am Anfang wendeten sich die Schalke-Fans ab, am Ende blockierten einige den VIP-Ausgang - die Chronologie eines seltsamen königsblauen Nachmittags.
Auf dem Videowürfel stand die Botschaft des Tages. "Vielen Dank für eure tolle Unterstützung. Ihr wart großartig. Wir nicht", stand dort zu lesen - und das vor dem Spiel des FC Schalke 04 gegen den SC Paderborn. Eigentlich ist dies die Botschaft einer schon abgestiegenen Mannschaft. Die Schalker erreichten 90 Spielminuten später durch den mehr als glücklichen 1:0 (0:0)-Erfolg über den SC Paderborn die Europa League.
Trotzdem ist die Stimmung im Verein zerrüttet - was sich zwischen 15 und 18.30 Uhr abspielte, wird den Weg in die königsblauen Geschichtsbücher finden. Allein einen 45-minütigen Stimmungsboykott gab es noch nie. So lief der seltsamste Schalke-Tag der vergangenen Jahre - die Chronologie:
15 Uhr: Die Mannschaft kommt zum Aufwärmprogramm. Die meisten Fans wenden sich ab.
15.18 Uhr: Das Stadion ist gut gefüllt. Stadionsprecher Dirk Oberschulte-Beckmann präsentiert die Aufstellung, wie immer bemüht er sich um das Wechselspiel mit den Fans. Der "Quatscher" nennt die Vornamen der Spieler - aber nur wenige Fans antworten mit dem jeweiligen Nachnamen. Der erste Hinweis, wie gespenstisch die Stimmung werden könnte. Als Oberschulte-Beckmann "Und der Trainer heißt Roberto ..." sagt, folgen wütende Pfiffe.
15.25 Uhr: Ein Blick ins Rund: Zwei Plakate gegen Clemens Tönnies sind zu sehen:
- "Alles hat ein Ende - auch die Tönnies-Wurst!"
- "Clemens - Dein Licht brennt lange nicht mehr."
15.30 Uhr: Die Mannschaften laufen ein. Fahnen sind nur in der Kurve des SC Paderborn zu sehen. Das erste Plakat der Ultras richtet sich gegen die komplette Vereinsführung, die - so die Befürchtung - eine Ausgliederung der Profi-Abteilung vorbereitet. "Der Name unseres Vereins ist und bleibt FC Gelsenkirchen-Schalke 04 e. V. Er ist und bleibt ein Verein im Sinne des Vereinsrechts."
15.32 Uhr: Der BVB liegt beim VfL Wolfsburg zurück, das Ergebnis wird auf dem Videowürfel gezeigt. Zum ersten Mal jubelt die Arena.
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Die Anfangsphase: Auf dem Platz läuft fast nichts zusammen, nur der SC Paderborn erarbeitet sich Torchancen. Interessant ist der Blick auf die Ränge. Viele, viele Plakate sind zu sehen, oft geht es gegen Vereinsboss Clemens Tönnies, ab und zu gegen Manager Horst Heldt.
- "Vermisstenanzeige - Kurve sucht Mannschaft! Finderlohn garantiert!"
- "Wir haben ein Ausgabenproblem - kein Einnahmenproblem!"
- "Der Schnee ist geschmolzen - nun sehen wir die Kacke!"
- "CT: Kein Konzept - aber dauerhaft in den Medien!"
- "Clemens und Horst - Ihr zerstört Rudis Lebenswerk"
- "Lasst die U19 spielen! Die laufen wenigstens und werden Meister"
- "169 cm Inkompetenz"
16.06 Uhr: Wieder ein Blick auf den Videowürfel: Der VfB Stuttgart geht gegen den Hamburger SV mit 2:1 in Führung. Nach einem großen Jubelschrei stimmen 55.000 Schalker "Huub Stevens"-Sprechchöre für den Jahrhunderttrainer an.
16.14 Uhr: Es läuft nichts zusammen. "Oh wie ist das schön", klingt es von den Rängen. an - und viele Fans singen mit.
16.16 Uhr: Pause! Mit einem Pfeifkonzert begleiten die Fans ihr Team in die Kabine. Das passende Plakat: "Der Fisch stinkt vom Kopf!" Die Buchstaben "C" und "T" sind in roter Schrift hervorgehoben. "CT" für "Clemens Tönnies".
16.32 Uhr: Nach 46:51 Minuten beendet die Nordkurve den ihren Boykott, wird aber sehr zynisch. Die Fans feuern fast gar nicht die Mannschaft an, die immer noch sehr unsicher wirkt und mit Mühe das 0:0 gegen Paderborn verteidigt. Von Minute zu Minute wird der Ton rauer:
- "Tönnies raus!"
- "Scheiß Millionäre!"
- "Wir haben die Schnauze voll."
Während der zweiten Hälfte: In ihrer Selbstironie beginnen die Fans, die eigene Amateurmannschaft und Vereinsikonen zu feiern - erst Gerald Asamoah, dann noch Ebbe Sand und Ingo Anderbrügge. Auch die Eurofighter-Hymne "Wir schlugen Roda, wir schlugen Trabzon" ist zu hören.
17.04 Uhr: Torwart Ralf Fährmann bewahrt sein Team erneut vor einem Gegentor. Die Nordkurve brüllt: "Außer Fährmann könnt Ihr alle gehen!" Niemand widerspricht.
17.14 Uhr: Eigentor. 1:0. Ein seltsam stiller Torjubel.
17.18 Uhr: Abpfiff. Schalke hat sich für die Europa League qualifiziert, aber das interessiert nur wenige. Die Mannschaft geht vom Platz - als einziger Profi wagt sich der dritte Torwart Christian Wetklo in die Kurve. Die Spieler des SC Paderborn werden mit Ovationen in die Kabine begleitet.
17.35 Uhr: Die Mannschaft kehrt doch noch einmal auf den Rasen zurück, dreht eine Ehrenrunde. Die wird zu einer Strafrunde, denn die Fans pfeifen immer noch. Wieder schallt es von den Rängen: "Außer Fährmann könnt Ihr alle gehen".
17.50 Uhr: Etwa 250 Fans blockieren den VIP- und Medien-Eingang. Tönnies hört die "Tönnies-raus"-Rufe, zieht aber wortlos von dannen. Schon in der Mixed Zone hatte er sich einsilbig präsentiert. "Tut mir einen Gefallen: heute nicht", sagte er nur. Von den Spielern ist es wieder nur Wetklo, der sich stellt.
18.10 Uhr: Der komplette Schalke-Vorstand mit Heldt, Peter Peters und Alexander Jobst sucht den Weg zu den Fans und diskutiert. "Es ist einzig und allein meine Verantwortung. Ich kann mich nur aufrichtig entschuldigen bei Euch", sagt Heldt.
18.33 Uhr: Heldt, Peters und Jobst verabschieden sich von den Fans und verschwinden in die VIP-Ebene der Arena. Ein denkwürdiger Tag auf Schalke endet!
Schalke schlägt Paderborn