Rheda-Wiedenbrück. Wir haben mit Schalkes Aufsichtsrats-Chef Clemens Tönnies über verwöhnte Fußballer, gefährliche Konkurrenz und die Zukunft des Klubs gesprochen.
Der Händedruck ist fest wie immer, Clemens Tönnies ist ein Mann der Tat. Der Aufsichtsrats-Vorsitzende des FC Schalke 04 will nicht machtlos zusehen, wie die Mannschaft nach der Champions-League-Teilnahme auch noch die Qualifikation für die Europa League verspielt. Vor dem wichtigen Bundesligaspiel an diesem Samstag (15.30 Uhr, live in unserem Ticker) gegen den VfB Stuttgart gibt sich der 58-Jährige in der Zentrale seines Fleisch-Unternehmens in Rheda-Wiedenbrück kämpferisch.
Vier Spieltage vor Saisonschluss ist bei Schalke 04 festgestellt worden, dass der Teamgeist fehlt, der Mannschaft wurde deshalb ein Kurztrainingslager verordnet. Ist das nicht ein Offenbarungseid?
Clemens Tönnies: Ich glaube, dass es das Ende einer Geduldsphase ist. Es ist jetzt angesagt, Leistung abzurufen und die Teilnahme an der Europa League zu sichern.
Das war dann aber eine lange Geduldsphase.
Tönnies: Wir hatten natürlich auch einen Trainerwechsel und viele Verletzungen – die will ich aber gar nicht herausstellen. Wir haben alles getan. Jetzt ist die Mannschaft dran.
Der neue Trainer hatte diese Mannschaft nicht geplant.
Tönnies: Aber er ist doch nicht damit angefangen, Handball spielen zu lassen. Profis müssen wissen, was sie zu tun haben. Ich will, dass die einen begeisternden Fußball spielen, und ich erinnere an Madrid. Da haben sie gezeigt, dass sie es können.
Was ist schief gelaufen? Manager Horst Heldt betont doch, dass er bei Verpflichtungen auch auf den Charakter achtet und darauf, dass die Spieler nach Schalke passen.
Tönnies: Ich spreche von einer Wohlfühl-Oase. Wir tun alles für unsere Spieler. Gute Rahmenbedingungen sind notwendig, um erfolgreich zu sein. Aber das darf nicht dazu führen, dass sich manche in eine Hängematte legen.
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Machen Sie sich selbst Vorwürfe?
Tönnies: Ich bin kritikfähig, es muss nur sachlich bleiben. Aber es sind nicht meine Aufgaben, den Kader zusammenzustellen oder Tore zu schießen. Ich muss dazu beitragen, die wirtschaftliche Basis zu verbessern und Strukturen zu entwickeln, die Erfolge möglich machen.
Schalke hatte in den vergangenen Jahren alle möglichen Trainer. Felix Magath, Ralf Rangnick, Huub Stevens, Jens Keller, jetzt Roberto Di Matteo. Richtig funktioniert hat es mit keinem.
Tönnies: Unsere Hauptaufgabe war die Konsolidierung, wir mussten den Verein aus der Gefahrenzone bringen. Das ist uns gelungen, und nebenbei haben wir noch dreimal nacheinander in der Champions League gespielt.
Hat Di Matteo mehr Kredit, weil schon sämtliche Trainertypen ausprobiert wurden? Eine begeisternde Spielidee ist bei ihm bisher auch nicht zu erkennen?
Tönnies: Ich bin mir sicher, dass wir bei Di Matteo eine Spielidee sehen werden, wenn er die Zeit hat, die Mannschaft auf die neue Saison vorzubereiten und wirklich bei null anfangen kann. Die aktuellen Fehler darf man nicht beim Trainer, beim Manager oder beim Aufsichtsrat suchen, sondern man muss bei der Mannschaft anfangen.
Sie führen ein Unternehmen mit 8000 Mitarbeitern. Ein Trainer aber muss feststellen, dass von seinen Spielern einige nicht mitziehen. Wird man da nicht wahnsinnig?
Tönnies: Solche Situationen sind das Los aller Fußball-Trainer. Man kann einen Spieler auch einfach mal auf die Tribüne setzen.
Demnächst fehlt das Geld aus der Champions League.
Tönnies: Das Geld fehlt uns nicht in der Substanz des Vereins, sondern bei der Entwicklung der Mannschaft, und darüber ärgere ich mich. Ich bin Kaufmann, ich hätte dieses Geld gerne zusätzlich in der Tasche. Es wird einen Umbruch geben. Wir brauchen aber gar nicht damit anzufangen, irgendwelche Namen zu handeln.
Schade. Nach Sami Khedira fragen wir trotzdem. Skeptiker sagen: zu verletzungsanfällig, zu teuer. Aber Sie sähen ihn gerne auf Schalke, oder?
Tönnies: Khedira ist Weltmeister! Er hat freiwillig auf seine Endspielteilnahme verzichtet, weil er seine Verletzung für zu riskant hielt. Das zeigt: Der Junge hat Charakter. Ich halte ihn für einen Spitzenfußballer, der uns weiterhelfen würde. Das geht nur zu vernünftigen Konditionen. Ich würde ihn mir wünschen, die finale Entscheidung aber trifft Horst Heldt.
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... der wegen der Zusammensetzung des Aufgebots auch erheblich in die Kritik geraten ist.
Tönnies: Er ist dafür verantwortlich, klar. Aber ungerechte Kritik lasse ich nicht zu. Er hat in den vergangenen vier Jahren Altlasten abgebaut und mit vergleichsweise wenig Geld viel herausgeholt. Ich stelle ihn nicht in Frage, aber ich spreche ihn auch nicht heilig.
Die Rolle, die Schalke 04 gerne gespielt hätte, hat inzwischen der VfL Wolfsburg übernommen.
Tönnies: Die Wolfsburger holen Gustavo, De Bruyne, Schürrle, und die Rechnung wird irgendwo abgegeben – das ist der Idealzustand.
Außer Wolfsburg wird es künftig noch viel mehr Konkurrenz um die Champions-League-Plätze geben.
Tönnies: So kommen wir automatisch zu der Frage, die uns derzeit umtreibt: Brauchen wir, um zukunftsfähig zu sein, eine Strukturveränderung?
Warum Gazprom Hauptsponsor des FC Schalke 04 bleiben soll
Ein sehr sensibles Thema. Viele Fans fürchten, Schalke würde seine Seele verkaufen, wenn man die Profi-Abteilung ausgliedern und Investoren zulassen würde.
Tönnies: Deshalb finde ich die von mir angestoßene Debatte, dass wir bei 1000-Euro-Spenden unserer Mitglieder finanziell sehr weit kämen, auch grandios. Ich spreche doch nicht diejenigen an, die sich den Stehplatz vom Mund absparen. Sondern von 132 000 die vielleicht 50 000, für die es denkbar wäre. Diese Kraft, die in Schalke steckt, will ich nutzen. Wir könnten dann der eingetragene Verein bleiben und immer oben mitspielen.
In Dortmund schreien die Leute auch nicht für die Kapitalgesellschaft, sondern für ihren BVB. Wäre es denn so ein Teufelswerk, Anteile zu veräußern, wenn der Mehrheitsanteil wegen der 50-plus-1-Regel ohnehin beim Verein bliebe?
Tönnies: Das müssten Sie unsere Mitglieder fragen. Ich will nur eine offene Diskussion anstoßen und führen. Vielleicht haben wir ja dann in ein paar Wochen ganz neue, noch bessere Ideen. Wir müssen nur begreifen: Die Bundesliga hat sich dramatisch verändert. Ich wäre auch lieber mit einem Sack voller Geld unterwegs.
Werder Bremen hat jahrelang Champions League gespielt und kommt dafür nicht mehr in Frage. Fürchten Sie, dass Schalke so etwas auch passieren könnte?
Tönnies: Ja, und zwar nicht in fünf Jahren, sondern in einem Jahr. Die Wettbewerber schlafen nicht. Für uns kommt schon das Spielen um Platz acht nicht in die Tüte, darum schlagen wir jetzt Alarm.
2017 läuft der Vertrag mit Hauptsponsor Gazprom aus. Sie wollen ihn verlängern, trotz der internationalen Krise.
Tönnies: Ja. Es ist eine hervorragende Zusammenarbeit, ohne jede Einflussnahme.
Es steht der Vorwurf im Raum, Schalke mache das System Putin hoffähig.
Tönnies: Gerade die deutsch-russische Geschichte zeigt: Wir müssen Brücken bauen, wir müssen miteinander reden. Boykott hat noch nie etwas gebracht, damals bei Olympia auch nicht.
Die letzte Frage ist eine persönliche: Sie leiten Ihre Firma, Sie kämpfen vor Gericht um Anteile daran, Sie ärgern sich über Schalke. Woher nehmen Sie die Kraft?
Tönnies: Ich schöpfe meine Kraft aus einer tollen Familie und einem tollen Unternehmen. Das ist Schalke übrigens auch. Man muss mich nicht nach Schalke tragen.