Oberhausen. . Mit keinem Verein wird Franz Krauthausen so identifiziert wie mit Rot-Weiß Oberhausen. Dabei hat er auch für den 1. FC Köln, für Schalke 04 und Bayern München gespielt. Ein Gespräch mit dem früheren Mittelfeld-Irrwisch über die Zeiten, als der “schwatte Franz“ mit RWO in die Bundesliga stürmte.
Irgendwann erwischt es wohl jeden einmal, und dann sagt auch ein Temperamentsbündel wie Franz Krauthausen Sätze wie diesen: "Ich bin sesshaft geworden, ich bin viel ruhiger geworden und vielleicht auch ein bisschen weiser." Das muss wohl am Alter liegen, Franz Krauthausen, der seit einem Vierteljahrhundert im 3000-Seelen-Ort Schliengen südlich von Freiburg lebt, ist inzwischen 67 Jahre alt und lässt es als Rentner entspannt angehen. "Ich bin zufrieden, ich genieße mein Leben", sagt Krauthausen. Die Hälfte dieses Lebens hat er Fußball gespielt, für den 1. FC Köln, für Schalke 04 und Bayern München. Aber mit keinem Verein wird Krauthausen so identifiziert wie mit Rot-Weiß Oberhausen. Ein Gespräch mit dem früheren Mittelfeld-Irrwisch über die Zeiten, als der "schwatte Franz" mit RWO in die Bundesliga stürmte.
Herr Krauthausen, fangen wir gleich mal mit einem netten Spruch über Sie an: "Selbst ein besoffener Krauthausen ist immer noch besser als viele andere nüchtern." Klingelt's?
Franz Krauthausen: Ja klar. Der Spruch stammt vom damaligen RWO-Präsidenten Peter Maaßen. Der hieß ja überall nur der Pascha. Das passte, er war schon ja ein kleiner Diktator. Aber damals, das war 1969, hat er mit dem Spruch klein beigegeben.
Was war passiert?
Krauthausen: Wir waren Meister in der Regionalliga West geworden, danach gab's eine Aufstiegsrunde zur Bundesliga. In unserer Gruppe waren der FC Freiburg, der SV Alsenborn, Hertha Zehlendorf und der VfB Lübeck. Wir sind gut gestartet, dann haben wir Punkte liegen gelassen und nach dem 2:3 bei Hertha Zehlendorf war für uns der Zug innerlich abgefahren. Wir dachten, Freiburg würde zeitgleich gegen Alsenborn gewinnen. Nur der Erste stieg auf, und wir hätten die wohl kaum noch geholt. Also sind Dieter "Tex" Hentschel, Hugo Dausmann und ich nach der Rückkehr auf die Piste gegangen. Die Zeiten waren ja ganz anders als heute, wir kannten das Ergebnis der Freiburger nicht. Hätten wir geahnt, dass die nicht gewonnen hatten und wir noch im Rennen waren, wäre das nie passiert.
Trainer Adi Preißler und Co-Trainer Kalli Feldkamp sollen Sie in mehreren Lokalen gesucht haben...
Krauthausen: Aber sie haben uns nicht gefunden. Als wir am übernächsten Tag zum Training kamen, war die Hölle los. Wir galten als "Kameradenschweine". Naja, wir hatten noch alle Chancen auf den Aufstieg, deshalb konnte uns Pascha Maaßen schlecht sperren. Also hat er den Spruch gemacht und wir durften spielen. Am letzten Spieltag sind wir aufgestiegen, das werde ich nie vergessen: Uns reichte das 0:0 gegen Freiburg. Damals waren 34ooo Zuschauer im Niederrhein-Stadion, die Leute saßen sogar auf der Laufbahn.
Sie sind mit RWO auch wie die Feuerwehr in die erste Oberhausener Bundesliga-Saison gestartet...
Krauthausen: Kann man wohl sagen. Zum Auftakt haben wir Eintracht Frankfurt 3:1 geschlagen, dann kam ein Unentschieden auf dem Betzenberg, danach ein 2:1 gegen Borussia Dortmund. Und dann haben wir noch 4:0 in Braunschweig gewonnen, eine Riesensache. Danach gab's noch einen Sieg gegen Werder Bremen, wir lagen zwei Punkte vor Bayern München auf Platz eins. Fünf Spiele ungeschlagen, Tabellenführer, und das als Aufsteiger, das war einfach alles grandios. Die Hütte war voll, wir spielten vor 30000 statt vor 10000 Leuten, die anderen haben uns unterschätzt und wir merkten, dass wir mithalten konnten. Das lief am Anfang wie von selbst.
Und trotzdem ist RWO in den Wochen danach kräftig abgestürzt.
Krauthausen: Wir haben zwei dumme Niederlagen kassiert, erst in Duisburg und dann zuhause gegen Köln. Das hat uns den Zahn gezogen, danach war's mit dem Schweben vorbei. Aber alles in allem haben wir uns in der ersten Saison wacker geschlagen. Ich glaube, viel lag an der Stimmung.
War die so gut?
Krauthausen: Sagen wir mal so: Das war alles sehr familiär. Ich erinnere mich bis heute, dass wir nach dem Training im Vereinsheim an der Landwehr gesessen haben, die ganze Mannschaft. Es gab Kakao und Leni, die Frau vom Wirt, hat uns Wurstbrote gemacht. Das kann man ja alles mit der Bundesliga von heute nicht vergleichen. Aber Oberhausen war damals ein bisschen so wie Freiburg heute, also was das Gefühl betrifft, Außenseiter zu sein und es allen zeigen zu wollen. Wir hatten meistens eine gute Stimmung in der Truppe, sogar morgens um 6 Uhr. Ab und zu ließ unser Trainer Adi Preißler uns nämlich frühmorgens laufen, immer vorbei an den Werktoren. Die Kumpel und Stahlarbeiter sollten sehen, dass wir ran mussten. Es ist jammerschade, dass inzwischen die ersten Jungs aus unserer Elf nicht mehr leben.
Sie meinen Torwart Wolfgang "Yogi" Scheid, Friedhelm Dick, Friedhelm "Baba" Kobluhn...
Krauthausen: Ja. Alles umgängliche Jungs. Ich erinnere mich noch, als Präsident Maaßen uns im ersten Bundesliga-Jahr im Winter eine Freundschaftsspielreise in die Karibik spendiert hat, da konnte "Yogi" Scheid nicht mit. Der hatte riesige Flugangst. Der ist sogar zu den Spielen bei Hertha BSC immer alleine mit dem Auto gefahren, mitten durch die DDR.
Peter Maaßen war damals mit seinem Autoteile-Handel der große Geldgeber und Alleinherrscher bei RWO. Kein einfacher Typ, oder?
Krauthausen: Warum hieß der wohl überall nur Pascha? Der war schon ein kleiner Diktator. Wenn der zu Spielersitzungen kam, dann wurde es mucksmäuschenstill. Da hörte man eine Münze fallen, wenn der nur schon auf der Treppe war. RWO war sein Leben, aber uns hat er eigentlich ganz schön kurz gehalten. Es gab damals 800 Mark Grundgehalt im Monat für die Junggesellen und 1000 Mark für die Familienväter. Große Sprünge waren da nicht drin.
Krauthausen: Fußball war damals nichts für Mimosen
Ihr Trainer hieß Adi Preißler. Das Gegenteil von Maaßen?
Krauthausen: Irgendwie schon. Der Adi war ja ein großer Spieler gewesen und danach mehr wie ein Vater zu uns. Eigentlich ein dufter Typ. Nur wenn der Pascha in der Nähe war, dann fing der Adi schon mal an zu fauchen. Wahrscheinlich dachte er, er müsse Härte zeigen.
Sie galten bei RWO als Schlitzohr und als Hitzkopf...
Krauthausen: Einspruch. Hitzkopf würde ich nicht sagen. Temperamentvoll, das schon. Wenn ich Fußball spiele, will ich auch den Ball haben. Dann geht's zur Sache, da darf man nicht zurückstecken. Dazu kam, dass ich schnell und technisch gut war. Deshalb gab's schon mal was auf die Stöcke. Fußball war damals nichts für Mimosen.
Stichwort Schlitzohr. Sie haben ein denkwürdiges Tor gegen Rot-Weiss Essen geschossen...
Krauthausen: Das war in der Regionalliga-Saison, als wir Meister geworden und aufgestiegen sind. Es stand 0:1 zu Hause, über 30000 Leute im Stadion. Ich war mit Essens Keeper Fred Bockholt zusammen gerasselt und musste eigentlich raus. Die waren gerade dbei, mich auf der Trage in die Kabine zu tragen, da gab's Elfmeter für RWE. Ich sah nur den Himmel, aber dann hörte ich den riesigen Jubel, als der Ball nicht rein ging. Da bin ich von der Trage runter, zurück auf den Platz und hab eine Minute später das 1:1 geschossen. Das war natürlich nicht regelgerecht, aber der Schiedsrichter hat nichts gemerkt und Spiele gegen RWE, die waren immer was Besonderes, das ging's zur Sache. Ich weiß noch, dass ich kaum gegen einen Gegenspieler so ungern gespielt habe wie gegen Hans Dörre.
Sie sind noch ein Jahr in der Bundesliga bei RWO geblieben, 1971 rettete sich Oberhausen am letzten Spieltag nach völlig überraschenden 7:1 Punkten aus den letzten vier Spielen hauchdünn vor Offenbach. Wussten Sie, dass der Ausgang der Saison manipuliert war?
Krauthausen: Ach, der Bundesliga-Skandal. Ganz ehrlich, ich wusste von nichts. Natürlich gab es Sachen, die einem komisch vorkamen. Gegen Schalke durften wir damals durchspazieren wie wir wollten. In Köln sagt Torwart Manfed Manglitz vor dem Elfmeter zum 2:3 zu unserem Lothar Kobluhn, er soll nach links schießen, er würde dann in die andere Ecke springen. Am letzten Spieltag in Braunschweig stand einer aus Bielefeld mit einer Plastiktüte mit Geld bei uns in der Kabine, der hatte sich vertan, der wollte zur Eintracht. Aber die Dimension war uns nicht klar.
Danach sind Sie zu den Bayern gewechselt und wären fast bei 1860 München gelandet?
Krauthausen: Da hab' ich ein bisschen gepokert. Die Bayern wollten mich und ich wollte nur zu denen. Ich bin nach nach München geflogen, Udo Latteck hat mich abgeholt, dann sind wir nach Füssen gefahren zu Bayern-Präsident Wilhelm Neudecker. Es gab Kaffee und Kuchen, nur leider kein vernünftiges Angebot. Das war viel weniger als ich erwartet hatte. Also bin ich am nächsten Tag zu 1860 marschiert und hab ein Probetraining gemacht. Das stand sofort in der Zeitung und schon kam der Anruf der Bayern. Diesmal stimmte alles und ich hab' unterschrieben. Zum Glück, Bayern ist einer der wunderbarsten Vereine, für die man spielen kann.
Also war es ein Fehler, zwei Jahre später zu Schalke 04 zu wechseln?
Krauthausen: Ein Riesenfehler. Von Schalke und von mir. Da passte nichts. Trainer Ivica Horvath dachte, er holt einen zweiten Klaus Fischer, aber ich war doch nie Mittelstürmer. Und dann das Training: Kraftbolzerei ohne Ende, mit Gewichten durch den Sandkasten, die Tribünen rauf und runter. Ich war nur noch verletzt, hab' mir das Wadenbein gebrochen und hatte ständig Muskelverletzungen. Der Horvath hat auf einzelne Typen wenig Rücksicht genommen. Schalke stand unter keinem guten Stern für mich. Und Bayern hat in der Zeit den Europapokal gewonnen.
Verfolgen Sie RWO heute noch?
Krauthausen: Aber ja, auch wenn der Abschied damals nicht so schön war. Ich hatte in Oberhausen geheiratet und als ich ging, ist viel Mist erzählt worden. Zum Beispiel, dass ich nicht mal den Brautstrauß bezahlt hätte. Dabei bekam ich noch Geld vom Verein. Ich hab' mir dann einen Anwalt genommen, Gerd Buttgereit. Und wissen Sie was? Der wurde, nachdem der Pascha wegen des Bundesliga-Skandals gesperrt war, RWO-Präsident. Am Ende musste ich ein Jahr auf mein Geld warten.
Eins noch: Wie kam's zum "schwatten Franz"?
Krauthausen: Das lag vor allem an meinen Haaren. Schwarz wie Kohle. Und dann war ich immer ein Typ, der schnell braun wurde. Aus dem Urlaub kam ich oft richtig dunkel zurück. Und das in Oberhausen. Also hieß ich irgendwann nur noch der schwatte Franz.