Bottrop/Essen.
Sicher, Donald Duck ist noch bekannter. Aber die berühmteste Ente im Fußball ist Willi Lippens, der am Mittwoch 65 Jahre alt wird, allemal. Ein Gespräch mit Essens Fußball-Idol.
Das Ziel liegt abseits der B 224, ziemlich versteckt an der Grenze zwischen Bottrop und Essen, aber „Mitten im Pott“, wie das Anwesen denn auch treffend heißt. Aufmerksamkeit jedoch weckt es erst durch das Eingangsschild über dem Restaurant: „Ich danke Sie“. Für Fußballfans ein Volltreffer. Handelt es sich dabei doch um die legendäre, mit einem Platzverweis geahndete Replik von Willi Lippens auf die Ansage eines Schiedsrichters: „Ich verwarne Ihnen“.
Willi "Ente" Lippens: Bilder aus der Historie des Revier-Fußballs
Schlagfertigkeit ist im Hause Lippens nicht auf den Hausherrn beschränkt. Als dieser Tage ein schlecht vorbereiteter Journalist bei Monika Lippens nach einem Interview-Termin aus Anlass des 75. Geburtstages der berühmtesten deutschen Fußball-Ente fragte, entgegnete Willis Ehefrau trocken: „Kommen Sie doch mal in zehn Jahren vorbei, dann hat Willi vielleicht Zeit“.
Die NRZ durfte früher kommen, um mit dem heute tatsächlich natürlich erst 65 Jahre alt werdenden Essener Fußball-Idol über eine aufregende Zeit zu plaudern, in der Fußball noch nicht zum Geschäft verkommen war. Und die dabei einen Menschen erlebte, dessen Wortwitz mindestens so unterhaltsam ist wie einst seine Dribblings, die ihn zum Publikumsliebling und Kultspieler nicht nur im Umkreis von Essen machten.
Herr Lippens, wer auch 30 Jahre nach Karriereende noch so beliebt ist wie Sie, muss vieles richtig gemacht haben, oder?
Willi Lippens: Sehe ich auch so. An welchen Spieler aus dieser Zeit erinnert man sich denn sonst noch außer an die ganz Großen wie Beckenbauer, Overath oder Netzer?
Wären Sie dennoch lieber heute Profi?
Wenn man an das Geld denkt, natürlich schon. Aber ansonsten? Wir hatten damals eine schöne Zeit. Nach einer Niederlage sind wir zusammen einen trinken gegangen. Mit dem Nebeneffekt, dass wir das Spiel spätestens um fünf Uhr morgens gewonnen hatten. Ich bereue nichts; auch nicht, dass ich RW Essen so lange die Treue gehalten habe. Obwohl ich viele Angebote hatte. Zum Beispiel von Hertha BSC Dort hätte ich 600 000 Mark im Jahr verdienen können – für damalige Verhältnisse eine gigantische Summe. Mein höchstes Jahresgehalt, das ich je bekam, waren 240 000 Mark bei Borussia Dortmund.
Also würde es Sie nicht reizen, heute noch mal im Trikot von – sagen wir mal – Borussia Dortmund zu glänzen?
Doch. Und zwar allein schon wegen der fantastischen Arenen. Ich würde sogar 20 000 Euro dafür geben, in einem solchen Tempel vor 80 000 Zuschauern mal so richtig aufzuziehen.
Könnte ein Typ wie Sie denn heutzutage noch in der Bundesliga mithalten?
Natürlich. Wenn ich das schon höre, heute hätten die Stars von damals keine Chance. Erstens haben wir auch schon zweimal amTag trainiert. Sie hätten sich mal meine Oberschenkel angucken sollen. Mit meinem Multitalent würde ich die Leute heute erst Recht begeistern. Und es ist doch nicht so, dass ich nur Jux gemacht hätte. Auch ich wollte gewinnen. Aber ich wusste immer, wann der Zeitpunkt gekommen war, etwas für die Tribüne zu zeigen.
Warum gibt es solche Typen heute nicht mehr?
Weil du für so eine Spielweise riesiges Selbstvertrauen brauchst. Wenn es dreimal nicht geklappt hat mit der Bude, dann musst du es ein viertes Mal probieren, auch wenn der Trainer an der Linie tobt. Heute werden die Spieler jedoch früh gebrochen. Von denen traut sich doch kaum einer, mal in den Strafraum zu gehen. Das ist bedauerlich.
Ärgert es Sie, dass Sie bisweilen nur als Original wahrgenommen werden?
Wer so etwas tut, hat doch keine Ahnung. Sehen Sie: Ich habe für RWE 237 Tore erzielt; ganz abgesehen von den damals noch nicht gezählten Vorlagen. Ich habe sie doch alle gefüttert: den Manni Burgsmüller, den Horst Hrubesch und zum Schluss auch noch den Frank Mill.
Ihr Ex-Klub Rot-Weiss Essen ist inzwischen fünftklassig. Wie weh tut das?
Natürlich schmerzt das. Ich bin 1965 vom VfB Kleve nach Essen gekommen. Damals hatte der Verein beste Voraussetzungen: die erste Flutlichtanlage in Deutschland, eine erstklassige Fitnessabteilung, sogar das erste Mini-Fußball-Internat im Georg-Melches-Stadion. Ich habe vier Monate unter der Tribüne gewohnt, bin von der Frau des Platzwarts versorgt worden.
Nach ihrem Karriereende haben Sie es bei RWE als Manager versucht. So richtig erfolgreich war das nicht.
Wichtige Herren im Vorstand hatten Angst, dass ich zu mächtig werde. Deshalb konnte ich meine Ideen nie richtig umsetzen. Der Verein spendiert mir immer noch eine Dauerkarte, aber ich gehe selten hin. Die Atmosphäre gefällt mir nicht. Das Stadion ist eine Bruchbude, und bis endlich das neue komplett steht, bin ich wohl 75.
Ihr „Dank“ an den Schiri 1965 in Herne hat Sie berühmter gemacht als jedes Tor. Was denken Sie: Wären Sie nicht vom Platz geflogen, wenn Sie grammatikalisch korrekt geantwortet hätten?
Ach was. Das hat der doch gar nicht gemerkt. Der hat mich runtergestellt, weil ich Widerworte gab. Das ging damals gar nicht. Im Übrigen wollte ich dem Mann als Dank für diese herrliche Anekdote zu meinem 60. Geburtstag einladen, aber da war er bereits verstorben.
In ihrer Gaststätte stehen Spanferkel und andere Leckereien auf der Speisenkarte. Bis auf Ente.
Richtig: Gans ja, aber keine Ente. Ich esse selbst auch keine. Das wäre zu makaber.
Am Mittwoch jährt sich der Tod von Robert Enke. Bei der Trauerfeier sind viele salbungsvolle Worte gesprochen worden. Was hat sich seitdem verändert?
Nichts. Robert Enke war ein kranker Mann, das muss einem leid tun. Mit all dem anderen kann ich nichts anfangen. Was glauben Sie, wenn sich zum Beispiel ein Fußballer aus der Bundesliga als schwul outen würde? Er wäre erledigt. Das Gerede von mehr Respekt und Rücksichtnahme aufeinander ist doch alles dummes Zeug.