Essen. Als Aufsteiger aus der Dritten Liga schlug Rot-Weiss Essen im Achtelfinale des DFB-Pokals spektakulär und sensationell den MSV Duisburg mit 4:2.

Im Osten Europas hatte der Sozialismus gerade abgewirtschaftet, ziemlich tief im Westen kramten sie hingegen die Parole „Von Lenin lernen, heißt siegen lernen“, wieder hervor. In Duisburg war nämlich der MSV unter Jungtrainer Ewald Lienen im Sommer 1993 in die Bundesliga aufgestiegen und gleich an die Spitze gestürmt.

„Von Lienen lernen, heißt siegen lernen“

Beim Deutschen Meister Werder Bremen gewannen die Zebras mit 5:1 und die Fans trugen Plakate mit der Aufschrift: „Von Lienen lernen, heißt siegen lernen.“In dieser Stimmung fuhren die Duisburger am 27. Oktober 1993 zu Hafenstraße, hier erwartete sie Rot-Weiss Essen zum Achtelfinale des DFB-Pokals – um dem Lienen-Team eine böse Überraschung zu bereiten.

Als Aufsteiger aus der 3. Liga schlugen die Essener die Bundesliga-Spitzenmannschaft fast sensationell mit 4:2. Auf dem Weg, der vor 30 Jahren von Bocholt bis nach Berlin ins DFB-Pokalfinale führte, bot diese Etappe wohl das beste und spektakulärste Spiel aus Sicht der Essener.

3:2-Sieg über St. Pauli nach 0:2-Rückstand

Bereits in der Runde zuvor hatten sie mit dem 3:2-Sieg nach 0:2-Rückstand über den FC St. Pauli begeistert. Aber es ging noch besser. In der ersten Halbzeit stand die Gegengerade, auf der alle auf und ab hüpften und Siegesgesänge johlten, kurz vor dem Abbruch, denn die Rot-Weißen führten mit 2:0.

Etwas Glück war dabei. Zum 1:0 gab MSV-Torwart Jürgen Rollmann RWE-Routinier Harry Kügler ungewollt die Vorlage, weil der Ball wegen einer Unebenheit des Rasens versprang und den Elfmeter, den Jörg Lipinski zum 2:0 verwandelt, musste man nicht unbedingt geben. Das änderte nichts an der verdienten Führung, die Essener hatten gegen die verdutzten Duisburger einen unwiderstehlichen Sturmlauf hingelegt. „Da haben wir für unsere Verhältnisse sensationell gut gespielt“, befand RWE-Trainer Jürgen Röber.

Sein Kollege Ewald Lienen hatte diese Situation so nicht auf dem Zettel. Er schaffte es aber, sein Team in der zweiten Halbzeit zur Aufholjagd zu treiben. Zwei Minuten nach Wiederanpfiff traf Torsten Wohlert zum 2:1, die Essener fuhren einen Konter, den Jürgen Margref mit gezieltem Schuss zum 3:1 abschloss, die Duisburger hielten durch Vlado Papics Tor zum 3:2 den Anschluss und drückten weiter.

Tolles Comeback von Jürgen Wegmann

Daraufhin entschied Röber: „Kobra, übernehmen Sie!“ Jürgen Wegmann, der seine Profi-Laufbahn bei RWE begonnen und dann in der Bundesliga bei Schalke, Dortmund und Bayern gespielt hatte, machte sich bereit. Als „Kobra“ erzielte er einst spektakuläre Tore - eines war gar in der ARD das „Tor des Jahres.“

Das berühmteste Kobra-Tor: Jürgen Wegmann (l.) erzielt es hier 1988 im Bayern-Trikot mit einem akrobatischem Seitfallzieher gegen Nationalkeeper Andi Köpke. Für RWE traf Wegmann vor genau 30 Jahren gegen den MSV zum 4:2-Endstand
Das berühmteste Kobra-Tor: Jürgen Wegmann (l.) erzielt es hier 1988 im Bayern-Trikot mit einem akrobatischem Seitfallzieher gegen Nationalkeeper Andi Köpke. Für RWE traf Wegmann vor genau 30 Jahren gegen den MSV zum 4:2-Endstand © Imago

Im Jahre 1993 lief es aber längst nicht mehr so gut, wenngleich er noch bei einem Bundesligaverein unter Vertrag stand: Beim MSV Duisburg. Kurz vor dem Pokalspiel wechselte er weiter zu RWE. Mit seiner Einwechslung nach gut einer Stunde gab er sein Debüt und sein Comeback – und was für eines: In der 84. Minute lief Harry Kügler bei einem Konter auf Keeper Rollmann zu, Wegmann lief mit, Kügler bediente ihn uneigennützig und die Kobra schnappte zu: 4:2.

Elfmeterglück für RWE in der Schlussphase

Aber ganz ausgestanden war die Sache noch nicht, denn in der 87. Minute gab es Elfmeter für den MSV: Ferry Schmidt überwand Essens Keeper Frank Kurth. Doch Schiedsrichter Jürgen Aust gab den Treffer nicht, Schmidt hatte geschossen, ohne dass Aust den Ball per Pfiff freigegeben hatte. Also wurde der Elfer wiederholt – und Schmidts zweiten Versuch parierte Kurth. Seine Tat löste im Stadion einen Schrei wie bei einem Siegtor aus.

Kurth und die Kobra hatten die Pokalsensation perfekt gemacht. Und das verdient, wie auch Ewald Lienen unterstrich: „Welches Engagement man in so einem Spiel bringen muss, haben uns die Essener vorgemacht.“ Der Lohn: Der erste Einzug ins DFB-Pokal-Viertelfinale nach einem Vierteljahrhundert. Das Jahr 1977 schrieb man, da war RWE selbst noch Bundesligist und kam dann noch bis ins Halbfinale – 1993/94 ging der Weg noch eine Station weiter.

So spielten sie:

RWE: Kurth: Pickenäcker, Geschlecht, Jack,
Lipinski, Margref (82. Spyrka), Reichert, Kügler, Bangoura (64. Wegmann), Grein, Dondera.
MSV: Rollmann, Notthoff, Wohlert, Nijhuis, Schmidt, Közle (19. Steininger), Schwartz, Böger, Tarnat, Preetz, Papic.

Tore: 1:0 Kügler (3.), 2:0 Lipinski (39. Foulelfmeter), 2:1 Wohlert (47.), 3:1 Margref (57.), 3:2 Papic (61.), 4:2 Wegmann (84.).
Bes._Vorkommnis: Kurth hält Elfmeter von Schmidt (87.). - Schiedsrichter: Stefan Aust (Köln). - Zuschauer: 24 000.

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