Essen. Vor dem Regionalliga-Auftakt am Freitagabend gegen die U23 des BVB stand RWE-Trainer Christian Titz noch Rede und Antwort.
Hallo, Herr Titz, die Hitze in der Kurve steigt, für die Spielzeit am Freitagabend sind immer noch 33 Grad vorhergesagt – wie heiß es denn schon der Trainer?
Christian Titz: Ich bin genauso freudig wie die Zuschauer und Fans hier alle, ich bin froh, dass es los geht, für die Mannschaft ist es glaube ich noch wichtiger nach der sechswöchigen Vorbereitung. Freitagabend, Heimspiel an der Hafenstraße gegen einen solchen Gegner – das ist eine gute Standortbestimmung.
Es könnte heißer als erwartet werden, Sie kennen ja die Erwartungshaltung hier an der Hafenstraße, wie gehen Sie damit um?
Titz: Das war die zuletzt meist gestellte Frage, darauf gibt es immer wieder meine Antwort: Wir sind hier angetreten, um mit den Verantwortlichen eine neue Mannschaft aufzubauen, mit einer neuen Spielidee, wir haben hier die Professionalisierung weiter voran getrieben. Wir wissen, dass dies eine gewisse Zeit benötigt.
Glauben Sie denn, dass Sie die Zeit bei den Fans kriegen, wenn es anfangs nicht so laufen wird, die Murrer sind schnell bei der Stelle.
Titz:Das ist bis jetzt alles sehr hypothetisch. Fakt ist, dass die Leute der Mannschaft, dem Trainerstab und mir bislang immer sehr positiv gegenübertreten und auf uns zukommen, und mit uns gemeinsam den Weg in die Zukunft gehen möchten. Wir wissen, dass das unser zwölfter Mann ist – und mit dem wollen wir gemeinsam erfolgreich sein. Aber es ist auch völlig normal, dass, wenn du eine neue Mannschaft aufbaust, du einen Entwicklungsprozess hast. Ich spreche das aus, was ich denke: Das wird Zeit benötigen. Wir bauen eine Mannschaft auf, die spielstark sein soll, die nach vorne spielt, die den Gegner unter Druck setzt, und die mit dieser Art des Fußballs versucht, die Zuschauer mit ihrer Wucht mitzunehmen.
Trotzdem, wenn die Rauner einsetzen, wie würden Sie damit umgehen?
Titz: So, wie Sie mich kennen gelernt haben: Ruhig, mit der Gewissheit, dass ich mich von solchen Dingen nicht beeinträchtigen lasse. Ich kann verstehen, dass der Zuschauer seinen Verein seit über einem Jahrzehnt sieht, wie er wieder hochkommen will und dass der Bogen der Unzufriedenheit dadurch vielleicht schneller reißt. Aber ich glaube, viel wichtiger ist, bei allem, was passieren könnte: Dass wir trotzdem auf die Leute zugehen und ihnen erklären, was wir machen wollen, dass wir sie mitnehmen möchten.
Sind Sie mit dem Begriff Hafenstraßenfußball schon vertraut?
Titz: Die Fans und das Stadion an der Hafenstraße waren auch Gründe, dass wir zusammen gefunden haben. Unsere Spielweise wird das permanente Grätschen, was einige unter Hafenstraßenfußball verstehen, nur bedingt in dieser Weise zulassen. Der Verein sagte ja, wir wollen eine Mannschaft finden, die sich über Dominanz zum Ausdruck bringt, die aber auch Pressung spielt und den Gegner in der Tiefe jagen geht. Beim Spiel gegen Offenbach hier im Stadion haben wir gesehen, dass es die Leute gut angenommen haben. Und das wünsche ich mir besonders für Freitagabend. Ich bin mir sicher, dass die Menschen hier die Mannschaft nach vorne peitschen werden.
Birgt denn Ihre Spielweise auch ein gewisses Risiko in der Defensive, können wir ein torreiches Spektakel erwarten?
Titz: Gegentore bei uns, das Spektakel möchte ich nicht (lacht). Fußball ist ein Fehlerspiel. Ich weiß, dass, wenn wir hoch spielen, dass wir dann bei der Konterabsicherung den Prozess noch verfeinern müssen. Doch die Tore, die wir bislang bekommen haben, haben damit nichts zu tun gehabt, sie sind letztlich durch individuelle Fehler entstanden.
Uns ist aufgefallen, Ihr Auftaktspiel beim HSV endete mit einem 0:3 gegen Kiel, später gab es noch ein 0:5 im Heimspiel gegen Regensburg...
Titz: Was Sie aber nicht erzählen: Von zehn Spielen waren sechs „zu Null“ und eine Partie mit einem Gegentor. Wenn wir diesen geringen Schnitt an Gegentoren hier hinkriegen, bin ich zufrieden. Wenn ich dafür in einem Spiel mal mehr Gegentore hinnehmen müsste und anschließend keine mehr, dann würde ich das unterschreiben. Wir wissen auch, wenn man dauerhaft unter den ersten acht Mannschaften mitspielen möchte, dann geht es nur über wenig Gegentore.
Als Sie gekommen sind, waren gut die Hälfte der Neuzugänge schon unter Dach und Fach, die sind noch von Ihrem Vorgänger ausgesucht worden. Wie gehen Sie damit um?
Titz: Die Spieler, die hier sind, die haben einen Vertrag – und ich bin hier als Trainer angestellt. Darum ist es für mich eine Selbstverständlichkeit, dass wir versuchen, das Bestmögliche aus ihnen für die Mannschaft herauszuholen. Wir haben hier eine Basis vorgefunden und noch den einen oder anderen Transfer tätigen können. Wir wissen aber, dass, wenn wir vom Neuaufbau einer Mannschaft sprechen, wir zwei Transferperioden benötigen. Aber jetzt gilt der Fokus der Mannschaft: Die, die wir da haben, sind für uns die wichtigsten Spieler. Fußball ist ein völlig offener Bereich, die Pendeltür der ersten Elf ist immer offen – nach beiden Seiten. Deshalb ist unser Ziel, dass wir einen breiten Kader haben, mit möglichst vielen gleichwertigen Spielern. Wenn man dauerhaft im oberen Drittel mitspielen möchte, muss man auch Ausfälle kompensieren können.
A propos Transferperiode: Wie findet denn ein Spieler wie Benjamin Wallquist, der eigentlich Erstliga-Ziele hat, zu Rot-Weiss Essen?
Titz: Das kann er selbst besser beantworten. Aber wir haben hier eine Kaderstruktur mit vielen Spielern zwischen 24 und 31 Jahren. Wir wollen aber ganz bewusst mehr U23-Spieler im Kader haben. Wir haben Benjamin aufgezeigt, wie wir ihn sehen, was für eine Rolle er hier übernehmen kann. Dann haben wir ihm den Vereinsweg vorgestellt und ihm alles präsentiert: Medizinische Abteilung, Ernährung, Trainerstab, wie der Verein so tickt. Und das hat ihm wohl gefallen, dass er hier seinen nächsten Entwicklungsschritt gehen kann.
Das hört sich nach einem ganzen Tag an.
Titz: Ja, das sind schon etliche Stunden, man spricht mit dem Spieler, mit seinen Eltern, mit seinem Berater, mit anderen Leuten, die ihn kennen. Dann zeigen wir ihm Videos, wie wir spielen wollen. Wir als Rot-Weiss Essen wollen auch ein interessanter Verein sein für junge, entwicklungsfähige Spieler.
Wie war Ihr erster Kontakt mit Rot-Weiss Essen? Wer hat Sie durch die Gegend geführt?
Titz:Ich kannte Rot-Weiss mit seiner außergewöhnlichen Atmosphäre ja schon aus meiner Aachener Zeit. Ich habe eine Affinität zu Klubs, wo die Menschen mit ihrer Leidenschaft ganz außergewöhnlich zu ihrem Verein stehen. Als ich dann eher zufällig auf Jörn Nowak traf, haben wir uns ausgetauscht und kennen gelernt. Da ging es dann recht schnell. Wir reden hier schließlich von einem Verein, dessen Infrastruktur außergewöhnlich ist. Wenn du hier Erfolg hast mit diesen Fans, dann kannst du eine ganz andere Wirtschaftlichkeit generieren. Wenn Rot-Weiss hochgehen würde, dann hat der Verein Ausgangsvoraussetzungen, die nicht so viele Vereine haben.
Wie lange ist denn Ihr Mietvertrag Ihres Hauses?
Titz: Der ist unbegrenzt – das mache ich immer so (grinst).
Aber Sie verstehen sich schon als Projekttrainer, der jetzt unabhängig von der Liga entscheidet? Sie hätten ja auch Angebote aus der Zweiten Liga annehmen können, oder?
Titz: RWE hat mich aus verschiedenen Gründen gereizt. Erstmal ist es ein Verein,der über eine hervorragende Infrastruktur verfügt, eine große Fanbase, viele Sponsoren und eine klare Zielsetzung hat. Ganz entscheidend war für mich außerdem, dass der Verein so einen Trainertyp wie mich überhaupt möchte, der seinen Fokus im Ballbesitz und Gegen- und Angrifsspressing sieht.
Und die Liga ist nicht entscheidend?
Titz: Für mich ist neben der Familie der Fußball das Schönste, das liebe ich über alles. Wenn ich mit der Mannschaft zusammen sein kann, dann fühle ich mich wohl. Jeder möchte so hoch arbeiten wie möglich. Aber manchmal ist es eine Option, von dem überzeugt zu sein, was die Ausgangsvoraussetzungen des Vereins sind, da achte ich nicht auf die Liga. Für mich ist es ein großer Reiz, in so einem Klub mit eine Mannschaft aufzubauen.
Wann wäre es denn für Sie eine gute Saison am Ende der Spielzeit?
Titz: Das müssen Sie mich am Saisonende fragen.
Wie gehen Sie mit einigen Härtefällen in der Mannschaft um; Spielern, die etwas hinten dran hängen und unzufrieden sind. Ich denke da zum Beispiel an einen Kevin Freiberger.
Titz: Wenn man Cheftrainer ist, dann muss man Entscheidungen treffen. Wenn ich mich für den einen entscheide, dann tue ich einem anderen ein Stück weh. Ich bin auch Mensch, es tut mir immer auch leid für den anderen, wenn ich ihn nicht in den Kader berufen kann. Aber das ist Teil des Geschäfts und gehört dazu. Trotzdem versuche ich den Spielern zu erklären, warum ich diese Entscheidung treffe. Ganz abgesehen davon halte ich Kevin Freiberger für einen guten Spieler.
Können Sie schon verraten, wer am Freitagabend im Tor steht?
Titz: Ich lass mich immer von den Trainingseindrücken leiten. Ich finde, dass Marcel und Jakob schon eng beieinander liegen. Als Trainer bist du froh, wenn du drei gute Torhüter hast, wir haben ja auch noch Robin. Jakob kannte die Spielart schon, für ihn war es etwas leichter, Marcel hat es jetzt auch gut gemacht. Jetzt gilt es: Wer kriegt das Gesamtpaket am besten hin? Grundsätzlich bin ich jemand, der auf der Torhüterposition nicht ständig wechselt. Aber ich will mir auch die Tür nicht zumachen, wenn einer vorbeizieht.
Haben Sie auch schon ein Auge auf das Nachwuchsleistungszentrum, oder ist das erst mal sekundär?
Titz: Wir haben jetzt die ersten Kennenlern-Schritte eingeleitet. Ich war auch im NLZ und habe mich den Leuten vorgestellt. Der nächste Schritt soll sein: Wenn die Mannschaften ihre Vorbereitungen abgeschlossen haben, werden wir uns mit allen zusammen setzen. Und dann wollen wir regelmäßig Spieler von unten im Training dabei haben. Geplant ist, dass wir einen regelmäßigen Perspektivkader haben, mit Spielern aus der U17 und U19. Ich werde mir auch Spiele der Mannschaften ansehen. Meine einfache These: Jeder Profispieler war mal Junior – und jeder konnte nur Profi werden, weil ihm ein Trainer dazu die Chance gab. Das Leben ist ab und an, das Glück zu haben, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein und die richtigen Personen kennen zu lernen.
Ganz einfache Frage zum Schluss: Wie geht es aus am Freitagabend?
Titz: Ich hätte nichts dagegen, wenn wir das Spiel gewinnen.
Lieber mit 5:3 oder 1:0?
Titz: Lieber 1:0, ich kann Gegentore nicht ausstehen.
In wieweit spielt denn die Hitze eine Rolle?
Titz: Das wird mit Sicherheit dazu führen, dass beide Mannschaften nicht in dem hohen Tempo dauerhaft Fußball spielen können, wie es bei normalen Temperaturen der Fall wäre.