Essen. Der scheidende Vorsitzende blickt auf sieben aufregende und prägende Jahre an der Hafenstraße zurück und zieht eine persönliche Bilanz.

Es war vielleicht „die“ Sportnachricht des abgelaufenen Jahres: Nach über sieben Jahren an der Hafenstraße bat RWE-Vorstandsvorsitzender Michael Welling um Auflösung seines Vertrages, was in wenigen Wochen nun auch vollzogen wird. Im exklusiven Interview mit dieser Redaktion blickte er noch einmal zurück auf eine spannende rot-weisse Zeit und wagte einen vorsichtigen Blick in seine Zukunft.

Herr Welling, das Weihnachtsfest liegt hinter uns, Ihr letztes im Kreise von Rot-Weiss Essen, war es für Sie deswegen noch besinnlicher als sonst?

Michael Welling: Nein, es war ein schönes Fest im Kreise der Familie, aufgrund von gesundheitlichen Problemen meines Vaters etwas unruhiger als vorher erhofft. Ihm geht es aber schon wieder besser.

Und dennoch: Mit Blick auf den Jahreswechsel und die weitere berufliche Zukunft kommt da doch sicherlich der eine oder andere Gedanke auf, oder?

Michael Welling: Ja, aber nicht wehmütig, zumal ich mich in den letzten Monaten auch emotional schon auf den Abschied habe einstellen können. Vielmehr fange ich gerade an, mir bewusster Gedanken über meine berufliche Zukunft zu machen, was grundsätzlich ein positives Gefühl ist.

Rot-Weiss war anfangs Terra Incognita

Mit welchem Gefühl kamen Sie denn damals vor gut sieben Jahren an der Hafenstraße an?

Michael Welling: Ehrlicherweise habe ich mich damals auch wie ein Abenteurer gefühlt. Die Situation bei Rot-Weiss war eine komplett ungeklärte, und ich habe in jeder Hinsicht Neuland betreten. Für mich war Rot-Weiss Terra Incognita.

Was haben Sie in der Folgezeit mit Rot-Weiss gemacht und was hat RWE mit Ihnen gemacht?

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Michael Welling: Rot-Weiss hat mich definitiv verändert, Rot-Weiss ist ein ganz wesentlicher Teil meines Lebens geworden. Die letzten sieben Jahre waren ja kein normaler Job, sondern es war eine Aufgabe, der man sich nur mit Haut und Haaren verschreiben kann. Wenn man so will, waren das die intensivsten sieben Jahre meines Lebens, meine Kinder sind hier aufgewachsen, wir sind in Essen heimisch geworden. Egal, was die Zukunft bringt: Rot-Weiss wird immer ein Teil meines Lebens und meiner Familie bleiben.

Und Teil eins der Frage?

Michael Welling: Ich durfte Rot-Weiss Essen dienen und die letzten sieben Jahre mitgestalten. Ich war sicherlich nach außen das Gesicht, allerdings haben an dem, was wir geschafft haben, sehr, sehr viele Leute mitgewirkt und den Verein so aufgestellt, wie er heute aufgestellt ist.

Sponsoren von 60 auf 450 ausgebaut

Was sehen Sie als Ihre größte Errungenschaft in dieser Zeit an?

Michael Welling: Unsere Errungenschaft – denn das ist Teamarbeit. Wir haben den Verein erfolgreich durch die Insolvenz geführt, haben ihn wirtschaftlich konsolidiert und eine zukunftsfähige Struktur geschaffen. Wir haben die Mitgliederzahlen mehr als verdoppeln können, das Sponsoringvolumen bei massivem Rückgang kommunaler Zuwendungen vervierfacht, somit auch die Abhängigkeit von wenigen Sponsoren reduziert und den Partnerstamm von einst knapp 60 auf einen Kreis von 450 Unternehmen ausgebaut. Wir haben das Profil von Rot-Weiss Essen geschärft und den Verein in der Stadtgesellschaft etabliert. Mit den Essener Chancen nehmen wir, was das soziale Engagement angeht, sicherlich eine Vorreiterstellung ein. Ich gebe zu, das macht mich durchaus stolz.

Da höre ich schon die Kritiker aufschreien, die da meinen: Aber sportlich haben wir uns nicht von der Stelle bewegt.

Michael Welling: Oberflächlich betrachtet ist das sicherlich zutreffend. Wir haben aber den wirtschaftlichen Rahmen geschaffen, um in einer Liga mit Mäzenaten-Vereinen und durch die Bundesliga--Gelder der Profiklubs alimentierten U-23 Mannschaften wettbewerbsfähig zu sein. Wir sind regionalligaweit sicherlich der einzige Verein, der sich aus dem operativen Geschäft finanziert. Dennoch sind wir sportlich in den letzten Jahren stets hinter unseren eigenen Möglichkeiten zurückgeblieben. Das ist durchaus zermürbend.

Der Letztverantwortliche im Vorstand

Und trotzdem hatte man in den letzten Monaten den Eindruck, Sie allein wären für manch sportliche Entscheidung verantwortlich. Hat das zusätzlich zu der Zermürbung beigetragen und letztlich zu Ihrem Schritt, die RWE-Zeit nun beenden zu wollen?

Michael Welling: Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass mich dies komplett kalt gelassen hat, gleichzeitig ist es in unserer Struktur nun einmal so, dass ich als alleiniger Vorstand für alles letztverantwortlich bin, unabhängig davon, wo ich selbst meine Schwerpunkte sehe, oder wie intensiv ich selbst an sportlichen Entscheidungen mitgewirkt habe.

Sportvorstand Harttgen hat nicht den Erfolg gebracht

Was bereuen Sie im Nachhinein mehr: Das „sportliche Missverständnis“ namens Uwe Harttgen oder die Enttäuschung über die Entwicklung des jetzigen Nachwuchsleiters Andreas Winkler, mit dem es zurzeit auf ein unschönes Ende hinsteuert?

Michael Welling: Man muss Entscheidungen immer im Kontext der Umstände sehen, unter denen sie getroffen wurden. Mit dem Wissen von später würde man manche Entscheidung von früher sicherlich anders treffen. Es ist aber müßig, dies im Konjunktiv zu diskutieren. Was man festhalten muss, ist, dass die damalige Entscheidung, mit Uwe Harttgen einen hauptamtlichen Vorstand Sport zu installieren, nicht den Erfolg gebracht hat, den sich alle gewünscht haben. Die Entscheidung für Andreas Winkler als sportlich Verantwortlichem war damals konsequent. Dass sich die Dinge so entwickelt haben, wie sie sich jetzt darstellen, ist vor allem menschlich enttäuschend, ich denke aber, dass Andreas dies genauso formulieren würde.

Versöhnliche Worte, aber wie ist denn der Stand der Dinge, es scheint ja doch auf einen langwierigen Arbeitsprozess hinaus zu laufen.

Michael Welling: Das kann ich aktuell nicht einschätzen, das ist sicherlich abhängig von vielen Aspekten, hier sind unser Aufsichtsrat, Marcus Uhlig und unsere Anwälte im Thema.